Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Besser spät als nie, gilt auch hier. Warum jedoch bei uns Irritation entstand, hat damit zu tun, daß wir es für eine DDR-Bürgerin wie Angela Merkel, die nach 1989/1990 in die Politik ging, so oder so, also zu DDR-Zeiten oder nach dem Anschluß, für natürlich gehalten hätten, daß sie den verstörenden, aber notwendigen Besuch des in Polen liegenden deutschen Vernichtungslagers sehr viel früher als pure Selbstverständlichkeit angesehen hätte.
Das hängt sicher mit eigenen Erfahrungen zusammen. Im Nachhinein kann ich sagen, daß nichts auf der Welt mich so verändert hat, wie auf der großen Straße im KZ Auschwitz zu stehen, die sogenannte Schwarze Wand anzuschauen, wo die erschossen wurden, die noch besser dran waren, als diejenigen, die in die Gaskammern gepfercht, ermordet und in den Krematorien ‚entsorgt‘ wurden. Ihre ‚Reste‘, die Koffer, die Haare, die Schuhe, die Brillen....all das ist dann in den Gebäuden zu sehen und ist ein Anblick, den und seine Wirkung man nie wieder vergißt.
Aber darum geht es hier nicht, sondern um die Erinnerung an das Ende der 70er Jahre, wo ich in einem Jahr gleich viermal in Auschwitz war, weil ich dorthin als Reiseleiterin mit Reisegruppen unterwegs war, Auschwitz also ein Teil einer Woche Polen war. Die Gruppen nach Polen bestanden meist aus sogenannten Bildungsbürgern, also Menschen, denen Kultur wichtig war, die aber auch den Opfern dieses verbrecherischen Teils deutscher Geschichte ihren Tribut leisten wollten.
Das Folgende ist auf einer Fahrt geschehen, in der hauptsächlich hessische Lehrer dabei waren. Um nach Auschwitz zu gelangen, mußte man in Krakau übernachtet, was sowieso touristisches Reiseziel war und wo es nur ein internationales Hotel gab – Ende der 70er Jahre! - , in der auch die damalige Prominenz übernachtete. So konnte man im Aufzug beispielsweise dem damaligen Außenminister Genscher begegnen, aber auch vielen anderen bundesdeutschen Prominenten. Noch im Hotel am Abend zuvor, sprach mich ein Filmemacher an, Arend Agthe, ob er am nächsten Tag mit unserer Reisegruppe Interviews in Auschwitz führen könne. Er selbst mache im Auftrag des Hessischen Rundfunks einen Film, der in eine Serie gehörte DIE STRASSE VON...., hier eben AuUSCHWITZ. Ich erwiderte, das sei Sache der Gruppe, das könne nicht ich bestimmen, aber ich würde mich dafür verwenden.
Die Gruppe jedoch sagte nein. Die Teilnehmer wollten nicht im Fernsehen erscheinen, wenn sie in Auschwitz sind. Am nächsten Morgen vor der Abfahrt sagten einige, sie hätten schlecht geschlafen, eine hatte sich die ganze Nacht übergeben, ob sie dableiben könne....Das kannte ich schon von den vorherigen Gruppenreisen, aber das Programm sah vor, daß wir von Auschwitz aus in eine andere Richtung weiterfuhren, also alle mitmußten. Derjenigen, die überhaupt nicht geschlafen hatte und der es schlecht war, sagte ich nur, sie könne ja in Auschwitz im Bus bleiben. Doch als wir ankamen, machten sich alle auf den Weg.
Als wir mitten auf der Straße von Auschwitz unterwegs waren, tauchte auf einmal Arend Agthe mit der Kamera auf der Schulter auf und sprach die Frau, der es schlecht ging, an: „Haben Sie es gewußt?“ Die Angesprochene wurde noch bleicher als sie schon war und sagte: „Ja!“ Noch heute kann ich die Sensibilität dieses Regisseurs nur bewundern, vielleicht war diese Frau, eine Schulleiterin aus Frankfurt, auch einfach vom Alter her für diese Frage geeignet. Daran kann ich mich nicht mehr weiter erinnern. Was ich aber bis heute fast fotografisch im Gedächtnis behielt, war ihre anschließende ‚Beichte‘. Sie erzählte, sie habe die ganze Nacht darüber nachgedacht, was sie sagen solle, wenn der Regisseur sie frage, ob sie von den Naziverbrechen und den tödlichen KZs gewußt habe. Und sie habe sich die ganze Nacht hindurch entschlossen, auf diese Frage mit „NEIN“ zu antworten.
Darum also war ihr schlecht gewesen, darum konnte sie nicht schlafen, darum wollte sie nicht mitfahren – und vielleicht hatte eben darum auch der Filmemacher genau ihr diese Frage gestellt, auf die sie angesichts dessen, was man in Auschwitz fühlt, nicht mehr lügen konnte, sondern mit „JA“ die Wahrheit sagen mußte. Und in diesem Sinn ist auch die Überschrift gemeint, daß es einem gut tut, Auschwitz zu erleben. Dort passiert etwas mit einem, von dem man nicht mehr zurück kann. Eine Form der Wahrheit, des Grauens, die einen für immer immunisiert gegen Menschenfänger, die der Welt Haß gegen spezielle Gruppen einbläuen wollen. Und wo einem noch stärker als sonst das Unwirkliche von industriellem millionenfachen Morden, wie es die Nazis durchführten, in eine Wirklichkeit versetzt, der man sich nicht entziehen kann, weil sie gesamtkörperlich und geistig zugleich wirkt. Das eben meint diese Aussage, daß man sich Auschwitz und die anderen Vernichtungslager nicht vorstellen kann – und auf einmal ist man da und sieht das Unglaubliche, Ungeheuerliche. Was ich auch noch in Erinnerung habe, das ist, daß egal zu welcher Jahreszeit sich man in Auschwitz aufhält, es immer saukalt ist, man immer friert. Leicht zu erklären. Denn die Kälte kommt auch von innen.
Fortsetzung folgt
Foto:
© de.wikipedia.org
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