c ich war hitlerjungeSally Perel trug die Geschichte seiner Rettung vor: als jüdischer Hitlerjunge überlebte er den Holocaust unter einer unerkannten doppelten Identität, die überzeugte, Teil 2/2

Heinz Markert

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - So ging es auf die russische Seite von Polen. Die Brüder wurden in ein Kinderheim eingeliefert, nur 15 km entfernt von Ostpreußen. Von dort gingen sie zur Schule. Sally erlitt seelische Qualen, denn er liebte seine Schwester sehr. 1939 setzte Hitler an, ganz Europa zu erobern. Großmufti Mohammed Amin al-Husseini von Jerusalem und zugleich Antisemit, schloss ein Abkommen mit Hitler. Spätestens seit dieser Zeit begann der totale Krieg gegen das Judentum.

Pogrome gegen Juden gab es zuvor schon lange im Heiligen Land. Am 22. Juli 1941 überfiel Hitlerdeutschland die Sowjetunion. Sally: Es wurde die Hölle auf Erden, alles brannte, es hagelte Stuka-Bomben. Es war das Inferno. Juden wurden gruppenweise aussortiert und sofort im Wald erschossen. Er murmelte: Ich will noch nicht sterben – er war jetzt 16 -, da vergrub er schnurstracks alle seine Ausweise. Als es wieder vorwärtsging ertönte es unvermittelt: Hände hoch! - Die Brüder wurden gestellt. Da ging es um Leben oder Tod. Er erinnerte sich an die Mutter, nach deren Ansage das Menschenleben heilig sei, kondensiert in dem Auftrag: „Du sollst leben“. Das Leben soll keiner Ideologie oder Religion wegen geopfert werden.

Das Stigma pro toto

In diesen Sekunden des Chaos und Wirrwarrs sprach er zu sich: nö, ich bin doch kein Jude, ich bin Volksdeutscher. Und auf die Befragung hin brach es aus ihm heraus: „Ich bin Wolgadeutscher!“ – so wurde er stracks in die nächst stationierte Stabskompanie für Wolgadeutsche aufgenommen. Es war dennoch ein Wunder: denn erstmal mussten sonst alle die Hosen runterlassen, um nach der Beschneidung Ausschau zu halten.

Das kommt beim Autor dieser Zeilen denkwürdig an, denn er ist auch beschnitten, entstammt aber einer gemischt-christlichen Familie. An den Akt des Beschneidens kann er sich nicht erinnern, empfand diese Gegebenheit aber immer als besonders, da sie ihn von der Volksgemeinschaft schied. Es wurde nie als besonderes Thema besprochen. Eine negative Erinnerung zur Beschneidung liegt nicht vor. Die katholische Großmutter, die immer alles in die Wege leitete, kann er heute nicht mehr zu dem Motiv befragen, mit dem sie den Ritus der Beschneidung begründet hat. Unter Hitler hätte er das Todesurteil bedeutet. Na, ja, vielleicht hätte das Blondsein das gerade noch erspart. Eher aber nicht. Dies tödlich Unkalkulierbare lässt dem Beschnittenen die Rechts- und Nazi-Ideologie als ein nicht mehr zu toppendes größtes Idioten-Machwerk der Weltgeschichte erscheinen.

Sally sprach: „Ich bin Josef“. Daraus wurde ‚der Jupp‘; er wurde mit 16 zum russisch-deutschen Dolmetscher ernannt. ‚Der Jupp‘ ist er bis heute, denn er hat die Einheit liebgewonnen. Es finden noch Veteranentreffen statt. Zurecht ist Sally die allerdurchtriebenste Notlüge zur Waffe geworden, sie hat ihn gerettet, und das war gut so. Denn jetzt können wir unsere depperten Nazis noch besser kennlernen. Doch es kam für Sally noch was hinterher. Sally geriet nämlich unter die Fittiche eines Sanitätsunteroffiziers, der dazu neigte sich an ihn zu drängen; er wollte etwas von ihm; lange kam kaum was, aber dann ist doch was passiert, es kam zum einem Vergewaltigungsversuch. Während Sally ausgezogen neben der Wanne stand erblickte der Sanitätsunteroffizier, dass er beschnitten war. Sally dachte: jetzt holt er die Pistole und erschießt mich! Aber er erfuhr den so seltenen Moment der Menschlichkeit und der Unteroffizier hauchte ihn an: sei nicht laut, ich tue Dir nichts. Der Offizier war homosexuell. Da zeigte sich: Es gibt noch ein anderes Deutschland.


Sally, der alle Hitlerjungen an Intelligenz überragte, siegte über den NS

Sally wurde den Umständen entsprechend, gezwungenermaßen, zum Hitlerjungen, er musste sich das ideologische Korsett und die Uniform der Hitlerjugend überziehen, wurde Nationalsozialist, damit er nicht enttarnt werde. Er musste sich so perfekt wie möglich der Umgebung anverwandeln. Es durfte keine Rolle sein, wie er angibt. Die Doppelnatur, die er annehmen musste, ist bis heute für ihn eine schwere Belastung, denn er musste perfekt sein. Aber die damit verbundenen Schuldgefühle hat er überwunden. Doch noch verfolgen ihn Szenen, es kann passieren, dass er in der Straße im Getto Lodge aufwacht.

Ein Rabbiner aber klagte ihn an: Deine Geschichte ist unmoralisch! Du hast Gott verleugnet, um Dein Leben zu retten! – Sally aber setzte reflexhaft hinzu: Ich wollte nicht moralisch sterben! Die früheren Kameraden der Hitlerarmee fragen ihn bis heute: Wir waren doch Tag und Nacht zusammen, warum haben wir nie etwas Verdächtiges gemerkt? – Er sagt dann: Ich wurde Nationalsozialist, es war keine Rolle. Auch fragen sie ihn: Aber Jupp! Wir waren damals so gute Freunde, warum hast Du Dich uns nicht offen erklärt?“ – Die Antwort erklärt sich von selbst. Und Sally ergänzt: Ein kleines Geheimnis muss sein, sonst ist keine echte Freundschaft!

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Cover

Info:
Die Teile der Serie in WELTEXPRESSO

1. Von der Selbstentblödung des Nationalsozialismus in Rassefragen
https://weltexpresso.de/index.php/buecher/17920-von-der-selbstentbloedung-des-nationalsozialismus-in-rassefragen

2. Immer rein ins volksdeutsche Massaker
https://weltexpresso.de/index.php/zeitgesehen/17931-immer-rein-ins-volksdeutsche-massaker

„Ich war Hitlerjunge Salomon“, Ein Abend mit Sally Perel, Montag, 16. Dezember 2019, 19.00 Uhr, Evangelische Akademie Frankfurt, Römerberg 9, 60311 Frankfurt

Buch:
‚Ich war Hitlerjunge Salomon‘, Sally Perel, Nicolaische Verlagsbuchhandlung Beuermann GmbH und autorenagentur lansk mehr, beide Berlin, 1992, 7. Auflage 2013, ISBN 978-3-87584-424-5