Jacques Ungar
Tel Aviv (Weltexpresso) - Auch für gestandene Journalisten mit jahrzehntelanger Erfahrung lösen die letzten Tage der Debatten im israelischen Parlament nur noch resigniertes Kopfschütteln aus. In zwei stürmischen Sitzungen verabschiedete die Organisationskommission der Knesset am Montag zwei Vorschläge zur Erleichterung des Prozederes, welches das Immunitätsgesuch von Premier Netanyahu in seinen drei Anklagepunkten wegen Bestechung, Betrug und Vertrauensmissbrauch zurückweisen würde.
Die Kommission befürwortete die sofortige Einsetzung der Knesset-Hauskommission, obwohl diese normalerweise erst nach Wahlen eingesetzt wird. Daneben wurden auch andere reguläre Knessetkommissionen geschaffen, doch bedürfen diese noch der Zustimmung durch das Plenum des Parlamentes. Blauweiss von Benny Gantz setzte Knessetsprecher Yuli Edelstein unter Druck, dass er das Plenum noch diese Woche einberuft. Netanyahus Gefolgschaft hingegen wollte Edelstein veranlassen, diese Einberufung zu verhindern oder mindestens zu verzögern.
Verhärtete Fronten
Hier bewies der normalerweise staatsmännisch auftretende und handelnde Edelstein, dass er letzten Endes nicht aus seiner Likud-Haut schlüpfen kann: Er lehnte es ab, die Schritte zur Bildung der Hauskommission, so wie es Blauweiss forderte, noch auf die Schnelle in der Berichtswoche über die Bühne zu zwängen, sondern stellte dies frühestens für kommende Woche in Aussicht, «falls es ihm dann richtig erscheint». Kreise aus Netanyahus Umgebung dementierten, dass der Regierungschef wütend auf den Knessetsprecher sei, weil dieser die Diskussion über die Bildung der Hauskommission überhaupt zugelassen habe. Der Premier soll in diesem Zusammenhang von «Messerstichen in den Rücken» gesprochen haben. Laut den genannten Kreisen bezog Netanyahus Ärger sich einzig auf Blauweiss.
Disput mit Blauweiss
Auf Twitter schrieb der Premier: «Blauweiss kann sich auf keine Erfolge für Israels Bürger berufen, weshalb sie die Knesset usurpierten, um ihre einzige Kampagne zu fördern: Alle, nur nicht Bibi». – Netanyahu wollte noch in der Berichtswoche mit den Vorsitzenden seiner Koalitionsparteien konferieren, um ihre gemeinsame parlamentarische Attacke zu planen, welche die Gewährung der Immunität für den Regierungschef durchsetzen soll. – Likud-Fraktionschef Miki Zohar und andere Abgeordnete der Koalition waren mit dem Argument aus der Sitzung der Organisationskommission gestürmt, die Tagungen seien illegal, weil Knessetsprecher Edelstein sie nicht offiziell genehmigt hatte. Die Knesset sei zu einem «politischen Zirkus» geworden, den es zu boykottieren gelte.
Der Rechtsberater der Kommission bestimmte aber, dass die Sitzungen rechtens seien. – Eine an Durcheinander und Animositäten kaum noch zu überbietende Stimmung im Jerusalemer Parlament, die für die wenigen Wochen bis zu den Wahlen vom 2. März wenig Gutes erahnen lässt. Die Divergenzen verschärften sich im Vorfeld des Schlusstermins vom Mittwochabend für die Abgabe der Kandidatenlisten durch die Parteien noch: Netanyahu benutzte zur Durchsetzung seines Willens gegenüber Verteidigungsminister Naftali Bennett die altbekannte Drohung: Entweder du schliesst alle rechtsnationalen Elemente – die Kahanistenpartei Osmat Jehudit von Itamar Ben Gvir eingeschlossen – in deinen entstehenden Block rechts vom Likud ein oder du wirst entlassen. So einfach präsentiert sich das. Die definitive Entscheidung der Neuen Rechten Bennetts, Ayelet Shakeds und des Transportministers Bezalel Smotrich war bis vor Druckschluss dieser Ausgabe noch nicht bekannt. Die Partei, die bei den Wahlen vom April 2019 nicht über die Mindestklausel hinaus gelangte und die bei den Wahlen vom vergangenen September mit verschiedenen anderen Rechtsparteien auf einem gemeinsamen Ticket antrat, bezeichnet den Alleingang als den einzigen Weg zur Sicherung eines breitangelegten rechtsgerichteten Siegs. Die Neue Rechte gab ferner ihre Absicht bekannt, bei Avigdor Liebermans rechter Partei Israel Beiteinu und der Zentrumspartei Blauweiss von Gantz auf Stimmenfang zu gehen. Gegen den Einschluss der Kahanisten in sein Ticket legte Bennett, wie gesagt, sein Veto ein, doch ob dieses stärker ist als Netanyahus brutale Rauswurf-Drohung, muss bezweifelt werden.
Gemeinsame Liste der Linken
Auch auf der linken Seite der Parteienpalette tat sich in der Berichtswoche einiges. Die Israelische Arbeitspartei (IAP, Amir Peretz) und deren «Tochter» Gesher (Orly Abecassis-Levi) werden zusammen mit der linksliberalen Meretz (Nitzan Horowitz) bei den kommenden Wahlen mit einer gemeinsamen Liste ins Rennen gehen. Das verkündeten IAP und Meretz nach einer mehrstündigen Nachtsitzung. An der Spitze der gemeinsamen Liste figuriert erwartungsgemäss Peretz, während der zweite Platz Orly Abecassis-Levi zugeteilt worden ist. Auf dem dritten Rang folgt Meretz-Chef Nitzan Horowitz, dann kommen die Abgeordneten Tamar Zandberg (Meretz) und Itzik Shmuli (IAP) auf den nächsten Plätzen. Stav Shaffir hingegen, die als ein aufsteigender Star in der IAP galt, sucht man vergeblich auf der kombinierten Links-Liste. Während des Wochenendes war Shaffir eine Platzierung zwischen dem fünften und zehnten Platz auf der Liste offeriert worden, doch offensichtlich hatte dies der ehrgeizigen Politikerin nicht gereicht. Auf die Frage, ob Stav Shaffir einen Platz auf dem gemeinsamen Ticket erhalten werde, meinte Itzik Shmuli (IAP) im Interview mit dem Armeeradio: «Wir schauen nach vorne. Ich beschäftige mich nicht mit Dingen, die sich in der Vergangenheit zugetragen haben. Stav hat ihre Wahl getroffen und die IAP verlassen.» Damit spielte Shmulik darauf an, dass Shaffir sich in den Wahlen vom September 2019 erfolglos in der Demokratischen Union mit Meretz, Ex-Premier Ehud Barak und dem ehemaligen Vizegeneralstabschef Yair Golan zusammengetan hatte. Letzterer fand nun Unterschlupf in der fusionierten Links-Liste. Ob und wie die Knesset sich letztlich von diesem Parteiengerangel befreien kann, weiss derzeit niemand vorauszusagen.
Foto:
Turbulente Debatten und taktisches Geplänkel im israelischen Parlament diese Woche im Hinblick auf die Wahlen
© tachles
Info:
Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 17. Januar 2020
Gemeinsame Liste der Linken
Auch auf der linken Seite der Parteienpalette tat sich in der Berichtswoche einiges. Die Israelische Arbeitspartei (IAP, Amir Peretz) und deren «Tochter» Gesher (Orly Abecassis-Levi) werden zusammen mit der linksliberalen Meretz (Nitzan Horowitz) bei den kommenden Wahlen mit einer gemeinsamen Liste ins Rennen gehen. Das verkündeten IAP und Meretz nach einer mehrstündigen Nachtsitzung. An der Spitze der gemeinsamen Liste figuriert erwartungsgemäss Peretz, während der zweite Platz Orly Abecassis-Levi zugeteilt worden ist. Auf dem dritten Rang folgt Meretz-Chef Nitzan Horowitz, dann kommen die Abgeordneten Tamar Zandberg (Meretz) und Itzik Shmuli (IAP) auf den nächsten Plätzen. Stav Shaffir hingegen, die als ein aufsteigender Star in der IAP galt, sucht man vergeblich auf der kombinierten Links-Liste. Während des Wochenendes war Shaffir eine Platzierung zwischen dem fünften und zehnten Platz auf der Liste offeriert worden, doch offensichtlich hatte dies der ehrgeizigen Politikerin nicht gereicht. Auf die Frage, ob Stav Shaffir einen Platz auf dem gemeinsamen Ticket erhalten werde, meinte Itzik Shmuli (IAP) im Interview mit dem Armeeradio: «Wir schauen nach vorne. Ich beschäftige mich nicht mit Dingen, die sich in der Vergangenheit zugetragen haben. Stav hat ihre Wahl getroffen und die IAP verlassen.» Damit spielte Shmulik darauf an, dass Shaffir sich in den Wahlen vom September 2019 erfolglos in der Demokratischen Union mit Meretz, Ex-Premier Ehud Barak und dem ehemaligen Vizegeneralstabschef Yair Golan zusammengetan hatte. Letzterer fand nun Unterschlupf in der fusionierten Links-Liste. Ob und wie die Knesset sich letztlich von diesem Parteiengerangel befreien kann, weiss derzeit niemand vorauszusagen.
Foto:
Turbulente Debatten und taktisches Geplänkel im israelischen Parlament diese Woche im Hinblick auf die Wahlen
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Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 17. Januar 2020