
Kurt Nelhiebel
Bremen (Weltexpresso) - Redaktionelle Anmerkung: Am 27. Januar jährt sich zum 75. Male die Befreiung der letzten noch lebenden Insassen des deutschen Vernichtungslager Auschwitz durch die sowjetische Armee. Nicht von ungefähr hat Bundespräsident Roman Herzog diesen Tag 1996 mit Zustimmung aller Parteien zum Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus erklärt. Auschwitz ist der Inbegriff allen Schreckens, den die Welt mit dem Naziregime verbindet. Unser Mitarbeiter Kurt Nelhiebel, der zu den wenigen noch lebenden Zeitzeugen gehört, die eigene Erinnerungen an dieses Regime haben, schildert im Folgenden, was ihn im Zusammenhang mit Auschwitz bewegt.

Wie es zu dem Massenmord kommen konnte, wissen heute die Wenigsten. Auch damals bekämpften Rechtsextremisten den demokratischen Rechtsstaat zunächst nur mit Worten. Zielscheibe waren Juden, Marxisten und Intellektuelle, Kommunisten, Sozialdemokraten, Gewerkschafter und bürgerlich-liberale Politiker, die als undeutsch und national unzuverlässig hingestellt wurden. Wer sich mit den Anfängen der Naziherrschaft vertraut macht, wird die Warnzeichen für neues Unheil rechtzeitig erkennen. Wer weiß, was in Auschwitz geschah, ist für immer gefeit gegen alles, was auch nur im Entferntesten mit Nazi-Ungeist zu tun hat. Ohne Erinnerung an das Böse, so Bundespräsident Roman Herzog 1996, gibt es weder die Überwindung des Bösen, noch Lehren für die Zukunft. Dass Angehörige eines Kulturvolkes in der Mitte Europas regelrechte Todesfabriken errichteten, Schlachthäuser für Menschen, darüber werden noch in hundert Jahren Menschen in aller Welt grübeln.

Wie Schlachtvieh wurden die Opfer in Güterwagen aus allen besetzten Ländern Europas in die Todeslager transportiert. Noch auf der Bahnrampe rissen SS-Angehörige die Familien auseinander gerissen. Der arbeitsfähige Vater und der Bruder mussten nach rechts, die Mutter mit dem Kleinkind auf dem Arm und die Oma nach links. Sie wurden auf direktem Weg in den Tod geschickt. Vor den Gaskammern mussten sie sich - angeblich zum Duschen - nackt ausziehen. Eng aneinander gedrängt starben sie an den giftigen Dämpfen eines Mittels zur Schädlingsbekämpfung. Zyklon B hieß das Blausäurepräparat.
Die für arbeitsfähig gehaltenen Ankömmlinge vermietete die SS an deutsche Firmen, die Auschwitz in Erwartung billiger Arbeitskräfte als Standort für neue Produktionsstätten ausgewählt hatten. Die Opfer selbst bekamen keinen Lohn. Nutznießer waren namhafte Unternehmen wie Krupp und der Chemiekonzern IG Farben. Wenn die Kräfte der Arbeitssklaven versiegten, wenn sie arbeitsunfähig wurden, kamen auch sie in eine der Gaskammern oder wurden mit einer giftigen Phenolspritze durch einen Stich direkt ins Herz getötet. Einer dieser „Phenolspezialisten” saß während des Auschwitzprozesses nur wenige Meter von mir entfernt. Nichts in seinem Gesicht ließ etwas von seiner grauenvollen Vergangenheit erkennen.
Die planmäßige Ermordung von Millionen Menschen war nicht - wie manche meinen - kriegsbedingt, sondern das Ergebnis des Rassenwahns. Angst vor zuviel Juden in Deutschland brauchte niemand zu haben. Ihr Anteil an der deutschen Bevölkerung betrug nur ein Prozent. Dennoch behaupteten die Nationalsozialisten, an allem Unheil seien die Juden schuld. Ihr Blut sei verdorben und dürfe sich niemals mit dem Blut von Nichtjuden vermischen. Intime Beziehungen eines Juden zu einer nichtjüdischen Frau wurden mit dem Tode bestraft.
Bevor die Nazis daran gingen, die Juden aus der menschlichen Gemeinschaft auszuschließen, unterdrückten sie brutal ihre politischen Gegner. Als erste kamen Kommunisten und Sozialdemoraten an die Reihe. Dann wurden Gewerkschafter, liberale Politiker und Intellektuelle in Konzentrationslager und Gefängnisse gesperrt. Konservative Politiker, die nicht mit den Wölfen heulten, blieben gleichfalls nicht verschont. Aufrechte Priester mussten sterben, weil sie Gott mehr gehorchten als den Machthabern des so genannten Dritten Reiches. Neben Juden, Sinti und Roma und anderen starben auch viele politische Gegner Hitlers in Auschwitz.
Fotos:
©
©