Bildschirmfoto 2020 01 30 um 23.56.42Oder: Wie politisch dürfen gemeinnützige Vereine agieren?  Serie: Teil 2/4

Rolf Gössner

Bremen (Weltexpresso) - Die Folgen einer Aberkennung der Gemeinnützigkeit können für die betroffenen Organisationen tatsächlich existentiell sein. Der Staat fördert über Steuervorteile mittelbar solche Vereinigungen, die die Finanzämter als gemeinnützig und damit förderwürdig anerkennen. Wird ihnen der Status der Gemeinnützigkeit wieder entzogen, dann können Spenderinnen und Spender ihre Spenden an den betreffenden Verein steuerlich nicht mehr absetzen und damit ihre Einkommenssteuer nicht mehr mindern.

Das bedroht die Vereine in ihrer Existenz, weil dann weit weniger an sie gespendet wird. Gemeinnützige Vereine sind auch abgabenbefreit, etwa hinsichtlich Umsatz-, Grund-, Erbschafts- und Schenkungssteuer. Wird die Gemeinnützigkeit entzogen, müssen die Vereine solche Abgaben, zum Teil auch rückwirkend, nachzahlen, wobei sich oft hohe Steuerschulden aufsummieren.  Beim Entzug der Gemeinnützigkeit geht es aber um mehr als um den Verlust von Steuerprivilegien: Es geht auch um den dann möglichen Verlust öffentlicher Fördermittel, um das Vertrauen der Spender in die Tätigkeit „ihres“ Vereins und um dessen Ansehen in der Öffentlichkeit.

Aus all diesen Gründen ist die Aberkennung der Gemeinnützigkeit für einen Verein in aller Regel der Super-GAU und hochgradig ruinös. Längst wächst die Sorge, dass diese Entwicklung – nun abgesichert und untermauert durch das „Attac“-Urteil – zu einer verfassungsrechtlich bedenklichen Einschränkung freier und demokratischer Willens- und Meinungsbildung führen könnte. Tatsächlich bestätigt ja nun die Entscheidung des Bundesfinanzhofs eine Kehrtwende in der Gemeinnützigkeitsfrage – und das mit bedrohlicher Signalwirkung in Richtung kritisch-engagierter Teile der Gesellschaft: Das Urteil sorgt nicht etwa für mehr Rechtssicherheit, sondern stürzt viele aufklärerische, handlungs- und gemeinwohlorientierte Organisationen in erhebliche Verunsicherung. Denn politische Einflussnahme auf die Willens- und Meinungsbildung und auch auf Parlamente und Regierungen wird nach diesem Urteil künftig vermehrt mit Verweigerung oder Entzug der Gemeinnützigkeit „bestraft“ werden – mit der fatalen Folge, dass sich viele Vereine und Nichtregierungsorganisationen womöglich in ihrer Arbeit und Außenwirkung selbst beschränken und auf politische Einmischung verzichten.

Bezeichnenderweise betrifft die Aberkennung der Gemeinnützigkeit in besonderem Maße Vereine und Organisationen, die alternative Politikentwürfe zur Regierungspolitik anbieten und in den politischen Willensbildungsprozess einführen. Letztlich führt die jetzige Situation dazu, dass einerseits mächtige Konzerne ihre Lobbyausgaben steuerlich absetzen können, nicht aber Spender ihre Zuwendungen an Organisationen der kritischen Zivilgesellschaft, sobald diese auf den demokratischen Willensbildungsprozess einwirken.  Dabei ist „politische Willensbildung des Volkes“ nach dem Grundgesetz nicht etwa allein Aufgabe politischer Parteien – nach Artikel 21 I Grundgesetz wirken diese dabei nur mit. Deshalb ist die politische Willensbildung letztlich auch Aufgabe der Gesellschaft insgesamt. Dass sich Menschen organisiert und selbstbewusst, kritisch und mit Engagement in öffentliche Belange einmischen, sollte in einer Demokratie eigentlich selbstverständlich sein – und wird künftig immer wichtiger, um ein dringend nötiges politisches Korrektiv repräsentativer Demokratie zu schaffen.

Wir brauchen bürgerschaftliche Impulse und verfassungsrechtliche Antworten etwa auf Auswüchse des globalisierten Kapitalismus mit all seinen sozialen und ökologischen Verwerfungen und auf die wachsende politische Entfremdung, die auch mangelnder direktdemokratischer Mitentscheidung geschuldet sein dürfte.  Zweierlei Maß? Neoliberale und extrem rechte Vereine unangefochten „gemeinnützig“ Neoliberale und rechtsextreme Vereine scheinen bislang nur wenig Probleme mit Entzug der Gemeinnützigkeit zu bekommen – weder die Bertelsmann-Stiftung mit ihrer kommerzorientierten Einflussnahme auf Politik und Gesellschaft noch die der Rüstungslobby nahestehende „Deutsche Gesellschaft für Wehrtechnik e.V.“. Auch nicht der als extrem rechts geltende Verein „Uniter“, in dem sich unter anderem KSK-Soldaten zusammengeschlossen haben.

Angesichts der neuerlichen Aberkennungswelle reibt man sich tatsächlich die Augen, wenn man erfährt, welche Vereine mit welcher Vereinspolitik schon lange und weiterhin als gemeinnützig anerkannt sind: darunter solche, die Rüstungslobbyismus betreiben, die die aggressive Privatisierung öffentlicher Aufgaben fördern und solche, die – wie Uniter e.V. – berufliche Kontaktpflege unter ehemaligen und aktiven Angehörigen bundesdeutscher Sicherheitsorgane fördern und dabei im Verdacht stehen, Teil eines rechtsextremen Netzwerks zu sein.  Da stellt sich dann doch die Frage, nach welchen Kriterien eigentlich entschieden wird, welche Organisation gemeinnützig ist und welche nicht oder welcher die einmal zugestandene Gemeinnützigkeit rückwirkend wieder aberkannt wird. Das alles richtet sich nach Paragraf 52 der Abgabenordnung, abgekürzt AO, wo 25 gemeinnützige Tätigkeitsbereiche abschließend aufgezählt sind. (Fortsetzung folgt).

Foto:
Karikatur © Privatarchiv Kurt Nelhiebel

Info:
Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung  des Autors und der NachDenkSeiten  vom 23. Januar 2020