Zur Machtergreifung der Anti-Demokraten in Thüringen
Klaus Philipp Mertens
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – „Kemmerich hätte nie kandidieren dürfen.. Zumindest hätte er die Wahl ablehnen müssen.“
So der ehemalige Bundesinnenminister Gerhart Baum (FDP) in einer ersten Reaktion auf die Ministerpräsidenten-Wahl in Erfurt. Und er ergänzte: "Ich bin ein alter Mann, 87 Jahre alt. Mir stecken die Schrecken der Nazis und übrigens auch der Nachkriegszeit, in der das Naziwesen noch lebendig war, tief in den Knochen. Und ich sehe in dieser Entscheidung in Thüringen einen Schritt in Richtung Weimar.“ Die Parallele bestehe darin, dass der Rechtsextremismus wieder tief aus der Mitte des Bürgertums komme.
Und ähnlich äußerte sich die Vorsitzende der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, Charlotte Knobloch. Sie bezeichnete die Wahl von Thomas Kemmerich als "Tabubruch ohne Beispiel in der jüngeren Geschichte unseres Landes". Einen Ministerpräsidenten, „der nur mit Stimmen der Rechtsradikalen ins Amt gelangt, darf es in einer Demokratie nicht geben."
Auch Katrin Göring-Eckardt, Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, reagierte mit Empörung: „Die Wahl mit Stimmen der AfD ist kein Unfall, sondern ein bewusster Verstoß gegen die Grundwerte unseres Landes. Mit Feinden der Demokratie lässt sich keine Zukunft für Thüringen gestalten.“
Thüringens bisheriger Ministerpräsident Bodo Ramelow wollte das seit 2014 regierende rot-rot-grüne Bündnis fortsetzen. Nach der Landtagswahl vom letzten Oktober verfügen Linke (29), SPD (8) und Grüne (5) zusammen aber nur noch über 42 Mandate. AfD (22), CDU (21) und Liberale (5) kommen insgesamt auf 48 Stimmen. Union und FDP lehnten bisher eine formale Zusammenarbeit sowohl mit der Linken als auch mit der AfD kategorisch ab. Doch zumindest größere Teile von CDU und FDP haben durch ihr Bündnis mit der AfD den Weg in den Unrechtsstaat beschritten und sind in die Fußstapfen des Faschisten Björn Höcke getreten. Auch wenn Kemmerich nach seiner Wahl betonte: „Ich bin Anti-AfD, ich bin Anti-Höcke." Er appellierte an CDU, SPD und Grüne, sich einer Zusammenarbeit nicht zu verweigern.
Ein Scharfmacher aus der Bundesregierung, der Ostbeauftragte Christian Hirte (CDU), ließ es bei seiner Gratulation an Eindeutigkeit nicht mangeln: "Deine Wahl als Kandidat der Mitte zeigt noch einmal, dass die Thüringer Rot-Rot-Grün abgewählt haben." Und der FDP-Vize Wolfgang Kubicki übte sich bereits in Geschichtsklitterung ein: „Ein Kandidat der demokratischen Mitte hat gesiegt.“
Die Abwahl von Bodo Ramelow betrifft nicht nur die Linke, sondern in gleichem Maße auch seine bisherigen Koalitionspartner, die SPD und die Grünen. Die SPD koaliert auf Bundesebene mit der CDU und in einigen Ländern mit CDU und FDP. Die Grünen sind in Hessen und in Schleswig-Holstein Partner der CDU. SPD-Chef Norbert Walter-Borjans gab zwar unmittelbar nach dem Wahlausgang in Erfurt zu Protokoll: „Die Geschehnisse in Thüringen sind ein unverzeihlicher Dammbruch, ausgelöst von CDU und FDP. Dass die 'Liberalen' den Strohmann für den Griff der Rechtsextremisten zur Macht geben, ist ein Skandal erster Güte." Die Thüringer SPD werde weder im Parlament noch in der Regierung einen Ministerpräsidenten von Gnaden der AfD unterstützen.
Doch mit Worten allein sollte es nicht getan sein. Denn jetzt schlägt die Stunde der Demokratie, jetzt ist es Zeit, die Große Koalition zu verlassen, und nicht nur diese. Denn wenn nicht jetzt, wann dann?
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Der entlarvte Thomas Kemmerich
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