Jacques Ungar
Tel Aviv (Weltexpresso) - Der israelische Premierminister Binyamin Netanyahu rückt zwar von den geplanten Annexionen im Jordantal und in der Westbank nicht ab, doch offenbar wird vor den bevorstehenden Wahlen nichts mehr ohne das Einverständnis der USA gemacht.
Je näher die Knessetwahlen vom 2. März heranrücken, umso hektischer und emotionaler werden in Israel die Diskussionen. Die Bereitschaft, sich die Meinungen anderer auch nur anzuhören, nimmt rapide ab. Umso spannender wird die Stimmung, verfolgt man die Wortmeldungen einflussreicher Entscheidungsträger im Staat. Kraft seines Amtes macht Premier Netanyahu hier am meisten von sich hören.
Ein Thema stach diese Woche klar hervor: der Zeitpunkt, zu dem Israel die Annexion des Jordantals und diverser Westbanksiedlungen vorzunehmen gedenkt. Und hier hat sich bei Netanyahu ein Gesinnungswandel vollzogen, wie er drastischer kaum sein könnte. Nicht, dass der Regierungschef vom Grundsatz der Annexion abgerückt wäre. Doch dazu gleich. Prinzipiell sind nach der Veröffentlichung von Präsident Trumps Jahrhundert-Deal die Leute, die nichts von einer Annexion von Gebieten wissen wollen, höchstens noch am linken Ende des politischen Spektrums anzutreffen. Aber die gemässigte israelische Mitte, die sich noch immer in der Mehrheit befindet, äussert sich höchstens hinter vorgehaltener Hand noch kritisch zum Annexionsplan.
Nichts ohne grünes Licht aus Washington
Nun also zu Netanyahu: Mehr der Not als eigenen Gefühlen gehorchend, zeigt er einen drastischen Gesinnungswandel. Heute steht der israelische Regierungschef in aller Öffentlichkeit dazu, dass jene Territorien dereinst annektiert werden sollen, keinesfalls aber ohne amerikanische Zustimmung oder gar gegen ein Einverständnis Washingtons oder noch vor den Wahlen. Bis der Premier sich aber dazu breitschlagen liess, und zwar gegen den ausdrücklichen Willen seiner Gesinnungsgenossen von noch weiter rechts, bedurfte es einer konzertierten Aktion amerikanischer Entscheidungsträger. Allen voran Jared Kushner, Trumps Schwiegersohn und geistiger Vater des Jahrhundert-Deals. Aber auch der agile US-Botschafter in Jerusalem David Friedman, der für gewöhnlich als ideologischer Überholer Netanyahus von rechts auftritt, musste dieses Mal nach der Pfeife seines Chefs tanzen. Trotz des unüberhörbaren Protests der Siedler und deren Gefolgschaft in der Knesset warnte Friedman Netanyahu vor einem Annexionsalleingang ohne grünes Licht aus Washington. Ein solcher würde laut Friedman Trump gar nicht freuen und vielleicht sogar die Anerkennung der Annexion aufs Spiel setzen.
Spätestens jetzt wurde Netanyahu und dessen Siedler-Anhänger klar, dass zwischen Trump und ihm wohl eine interessengebundene Freundschaft besteht. Im Ernstfall gibt aber das Weisse Haus die Gangart an. Dies offenbar ohne Widerrede, da können die Siedler nur drohen. Denn wenn es um die Wurst geht, so wird man sich in Washington vermutlich nicht ganz zu Unrecht sagen, werde man den Kopf wieder hinhalten müssen (wie dies bei der US-Botschaftsverlegung der Fall war), um die israelischen Freunde vor der Wut der fast ganzen internationalen Völkergemeinschaft abzuschirmen. Wenn die USA es für richtig befinden, dass vor den israelischen Wahlen auch kein einziger Qua- dratmeter Land annektiert werden darf, bleibt auch einem noch so patriotischen Netanyahu nichts anderes übrig, als servil zuzustimmen. Wer weiss, ob nicht in stillen Kämmerchen im Weissen Haus einflussreiche Entscheidungsträger bereits heute damit beschäftigt sind, neue Konzepte zu entwickeln, die davon ausgehen, dass nach den Wahlen eine andere Person als Netanyahu sich anschicken wird, die neue israelische Regierung zu bilden. Und dann könnte sich das Thema Annexion plötzlich als nicht mehr so dringlich erweisen. Das alles sind momentan aber nur Spekulationen oder vielleicht sogar blosse Wünsche.
Potenzielles Gipfeltreffen mit Saudi-Arabien
Im Zusammenhang mit dem bevorstehenden Urnengang befasst sich aber das Ausland dieser Tage auch noch mit ganz anderen Aspekten der politischen Entwicklungen im Nahen Osten. Knapp gesagt, geht es darum, ob es in absehbarer Zeit zu einem historischen Gipfeltreffen zwischen Premier Netanyahu und dem saudischen Kronprinzen Mohammad bin Salman kommt. Sollte dieses Gerücht Tatsache werden und würde dieses Treffen noch vor den Wahlen vom 2. März stattfinden, wäre dies allerdings eine unerwartete Wahlhilfe für Netanyahu. Gerüchten zufolge führen Teams aus Israel, Saudi-Arabien, Ägypten und den USA bereits Gespräche über ein potenzielles Gipfeltreffen. Einen Bericht dazu veröffentlichte das Jewish News Syndicate (JNS), das sich auf arabisch-diplomatische Quellen stützt. Die Quellen weisen darauf hin, dass US-Aussenminister Mike Pompeo und seine Leute schon seit zwei Monaten zwischen Repräsentanten Israels und Saudi-Arabiens vermitteln, um ein solches Treffen auf die Beine zu stellen. Eine arabische Quelle meinte zu JNS: «In den letzten Tagen hat es intensive Diskussionen gegeben zwischen Washington, Israel, Ägypten und Saudi-Arabien, um vielleicht schon in den kommenden Wochen und noch vor den israelischen Wahlen in Kairo ein Gipfeltreffen zu organisieren. An diesem sollten neben dem ägyptischen Gastgeber die USA, Israel und Saudi-Arabien teilnehmen sowie die führenden Persönlichkeiten der Vereinigten Arabischen Emirate, Sudans, Bahrains und Omans.» Der Bericht deutete ferner an, dass auch Jordanien zu einem solchen Treffen eingeladen worden sei. König Abdullah soll die Einladung jedoch zurückgewiesen haben, da er auf der Anwesenheit von Palästinenserpräsident Mahmoud Abbas bestanden haben soll. Israel soll die Einladung dem Vernehmen nach akzeptiert haben. Ein hochrangiger Offizieller der Palästinensischen Behörde (PA) deutete an, dass die PA die Einladung wahrscheinlich auch ablehnen würde, da Abbas und die Führungsspitze in Ramallah weiterhin an ihrem Boykott von Washington und an der Einfrierung der diplomatischen Kontakte zu Israel festzuhalten gedenken. Die amerikanischen Hinweise an die Palästinenser, der allfällige Gipfel von Kairo könnte die letzte Chance für die Palästinenser sein, von ihrem hohen Ast hinabzuklettern, scheint in Ramallah keine Aufregung ausgelöst zu haben, von Gaza ganz zu schweigen.
Nur einen Tag nach der reisserischen Schlag- zeile bezüglich eines Treffens von Netanyahu mit dem saudischen Kronprinzen folgte Mitte Woche bereits die kalte Dusche. Ein solches Treffen fände, wenn überhaupt, erst nach den israelischen Wahlen statt. Das erklärte Rabbiner Marc Schneier, Präsident der ökumenischen Dialogorganisation und der Stiftung für ethnisches Verständnis, gegenüber der «Jerusalem Post». Arabische Führer seien zwar an einem Rendezvous der genannten Art interessiert, wollten aber, wie Schneier präzisierte, zuerst den Ausgang der Knessetwahlen abwarten. Damit nahm Schneier den Gerüchten von einem bevorstehenden Gipfeltreffen in Kairo den Wind aus den Segeln. «Der Zeitpunkt des genannten Treffens widerspricht vielem, was ich von arabischen Spitzenpolitikern gehört habe», meinte der Rabbiner. Auf die heutige Machtsituation angesprochen, fügte er hinzu: «Es gibt hier ein regionales Macht-Gleichgewicht. Um eine wirkliche Änderung herbeizuführen, müssten die Saudis mit dem israelischen Premier zusammensitzen.»
Israelische Lockerungen und keine Brandballone mehr
Was den Gazastreifen betrifft, dauerte in der Berichtswoche einerseits die palästinensische Gewalt im Süden Israels an, andererseits jedoch scheinen die Ägypter entschlossen zu sein, einmal mehr ihre Vermittlungskünste spielen zu lassen. Die ägyptische Sicherheitsdelegation, die Anfang Woche den Gazastreifen besucht hat, hat die Hamas dringend aufgerufen, eine Eskalation des militärischen Konflikts mit Israel zu vermeiden und aufzuhören, Iran zu unterstützen. Das meldete die TV-Station al-Arabyia. Während ihres Treffens forderten die Ägypter von Hamas unmissverständlich, von der Unterstützung aller Milizen abzusehen, welche die Region schädigen. Gleichzeitig verliehen die Gäste aus Kairo ihrer Reserviertheit gegenüber der Beziehung zwischen Hamas und Iran sowie der Terrorgruppe der Hizbollah Ausdruck. Auch wurde Hamas gewarnt, sich nicht in jede von Iran ausgelöste Eskalation verwickeln zu lassen. Die Delegation diskutierte mit ihren Gastgebern die Stärkung der palästinensisch-ägyptischen Beziehung, das Wachstum des Importvolumens via die Passage Rafah in den Gazastreifen, den «Jahrhundert-Deal» der Amerikaner sowie die Bemühungen, die für eine Versöhnung zwischen Hamas und PA nötig seien. Dem Vernehmen nach übermittelte die ägyptische Delegation keine Drohungen aus Israel an Hamas. Die Ägypter reisten von Gaza nach Israel weiter, wo die Gewährung humanitärer Hilfe an den Gazastreifen ebenso im Mittelpunkt gestanden habe wie eine Beendigung der kürzlichen Eskalation zwischen Israel und Hamas.
Ein sehr vorsichtiger Optimismus scheint aber angebracht. Hamas will offenbar keine Brandballone mehr nach Israel loslassen. Das berichteten die Zeitung «al-Quds» und die Nachrichtensite Ynet. Und Walla will zudem wissen, dass auch der Islamische Jihad beschlossen habe, keine Brandballone mehr zu lancieren. Israel seinerseits sagte den Berichten zufolge zu, die Export- und Importbeschränkungen von Gaza und in den Streifen zu erleichtern, obwohl keine Details über die Abmachungen geliefert worden sind. Gegenüber der TV-Station «al-Arabiya» sagte die ägyptische Delegation den Israeli, sie arbeite an der Einrichtung eines langfristigen Waffenstillstands, habe Israel allerdings gebeten, den gegenwärtigen Waffenstillstand ohne Vorbedingungen zu befolgen.
Foto:
Blick auf die israelische Siedlung Ofra im Westjordanland: Offenbar ist Netanyahu nun dem Druck diverser Parteien ausgesetzt, Gebiete der jüdischen Siedlungen im Westjordanland offiziell als Teil der...
© tachles
Info:
Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 14. Februar 2020
Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 14. Februar 2020