Wie der Despot die Trauer in Hanau zu instrumentalisieren versuchte
Klaus Philipp Mertens
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Die Morde von Hanau haben mich erschüttert.
Indessen kam neue Hoffnung auf, als ich die entschiedene Verurteilung des Verbrechens durch die Bevölkerung wahrnahm. Auch bei den großen Faschingsveranstaltungen wurde so eindeutig wie selten zuvor heftige Kritik an Rassismus und Rechtsradikalismus geäußert.
Doch dann irritierte mich die Fernsehaufzeichnung vom Trauermarsch in Hanau. In der Menschenmenge waren mehrere kleinere türkische Fahnen deutlich erkennbar. Und eine riesengroße, die wie ein Baldachin von Dutzenden Teilnehmern getragen wurde. Für mich waren das unmissverständliche Symbole: Recep Tayyip Erdoğan, der Menschenschinder, hatte seine fünfte Kolonne in Marsch gesetzt. Protest und Trauer von großen Teilen der Hanauer Bevölkerung sollten für seine Interessen instrumentalisiert werden. AfD und Pegida haben das in ähnlicher Weise im September 2018 in Chemnitz praktiziert.
Beide Gruppierungen, türkische Nationalisten mit ihrem reaktionären Islam-Verständnis und deutsche Rechtsextremisten, bekämpfen sich zwar einerseits gegenseitig bis aufs Messer. Andererseits aber einigt sie ihre totalitäre und antihumanistische Gesinnung, die sie rücksichtslos durchsetzen wollen. Ein Beispiel für diese unheilvolle Tendenz sind jene türkischen Communities, die sich gegen die aufgeklärte deutsche Zivilgesellschaft und deren multikulturelles Selbstverständnis erkennbar abgrenzen. Vergleiche zur identitären Bewegung sind naheliegend, also zu einem der ideologischen Stichwortgeber der Rechten mit besten Verbindungen zur AfD.
Was ist zu tun, um die offensichtlichen Gefahren, die von politischen und weltanschaulichen Despoten drohen, zu benennen und abzuwehren? Es ist das Gebot der Stunde, unüberhörbar und nachdrücklich alle, die in diesem Land leben, zur Mitgestaltung einzuladen. Jede und jeder soll sich unabhängig von ihrer und seiner Herkunft gleichberechtigt einbringen. Und gleichzeitig müsste betont werden, dass diese Gesellschaft sowohl das Erbe der Aufklärung und der erkämpften Freiheit als auch die Erinnerung an die schlimmsten Formen menschlicher Destruktivität bewahrt. Und dass sie deswegen nicht bereit ist, die Feinde von Vernunft, Demokratie, Humanität und Solidarität zu akzeptieren.
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Trauerzug in Hanau
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