Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Am Frankfurter Flughafen wurde die Gruppe von meinem Mann empfangen, der die Kati-Koffer übernahm und zu uns nach Hause brachte. Ich war natürlich im Jemen geblieben, denn mein Plan sah vor, daß ich noch einige Tage im Jemen blieb und dann mit Kati und Sohn nach Frankfurt fliegen wollte, denn Ahmed hatte in den Gesprächen versprochen, seine Frau fliegen zu lassen. Und es gab ein Flugticket für die beiden! Allerdings brauchte er ein Argument gegenüber seiner jemenitischen Gesellschaft, warum seine Frau in die Heimat fliegt.
Wichtig: dazwischen lag der 9. November 1989 und der Anschluß der DDR an die BRD. Da deutsche Krankenhäuser und deutsche Ärzte im Jemen hochangesehen sind – in den 80er Jahren flogen 5mal soviel Jemeniten zur ärztlichen Untersuchung nach Deutschland wie deutsche Touristen in den Jemen! - lag die Begründung der Reise auf der Hand: ärztliche Untersuchungen für die kränkelnde Ehefrau zu Hause.
Doch nach der Heimkehr der deutschen Reisegruppe, die ich zudem motiviert hatte, Ahmed, mit dem die Teilnehmerinnen nicht zufrieden gewesen waren, dennoch ein außergewöhnlich hohes „Trinkgeld“ zu überreichen, das ich, was die Gruppe nicht mitbekam, noch einmal verdoppelt hatte, um seine gute Laune zu garantieren, ging meine Planung nicht auf. Er wurde noch übellauniger und zog seine Aussage, seine Frau mit dem Kind fliegen zu lassen, zurück. Ihren Paß hatte er sowieso. Ich besaß zwar Katis Fotos, aber es gab noch keinen neuen Paß. Und es mußte ganz offiziell sein: die Ausreise.
Und seine Perfidie gipfelte dann darin, Kati darf mit mir fliegen, aber der kleine Junge bleibt im Jemen!
Nun kommen Katis wundervolle Schwiegereltern ins Spiel. Und richtig kann nur sie selbst die Geschichte erzählen. Aber meine Geschichte gibt es auch und zu der gehört, daß ich mit Ahmed um den Flug stritt, aber auch mit Ahmeds Mutter positiv übereinkam. Ich kannte sie allerdings von vorherigen Besuchen mitsamt der ganzen Familie und konnte auf guter Basis mit ihr über die Situation" sprechen". Dazu muß man sagen, daß der kleine Junge der einzige Enkel dieser kinderliebenden Großeltern war. Und daß Kinder und Familie im Jemen Kapital bedeuten, das Wichtigste sind. Und man muß dazu auch sagen, daß ich kein fünf Worte auf Jementisch kannte und meine Gastgeberin zwei auf Englisch. Wir konnten uns also sprachlich nicht verständigen, aber mit dem Herzen und mit der Seele!! Ich schilderte ihr die ausweglose Situation von Kati und daß sie mit dem Kind heimwill. Diese wunderbare Frau wußte genau, um was es geht. Daß sie ihren einzigen Enkel nicht wiedersieht, wenn er mit seiner Mutter nach Deutschland fliegt, auch wenn es offiziell hieß: nur zu ärztlichen Untersuchungen und es ein Rückkehrflugticket gab. So sahen wir uns an und weinten zusammen. Und so geht es mir noch heute, wenn ich daran und an sie denke.
Zwar dominieren im Jemen in der Außenwahrnehmung die Männer, aber die Frauen sagen in den Häusern, wo es langgeht. Und diese Frau zwang in den letzten Stunden vor dem Abflug, als alles verloren schien, ihren Sohn Ahmed, als der sich querstellte, seiner Frau ihren Paß auszuhändigen und sie begleitete uns sogar mit ihm zum Flughafen, wo Kati und ihr Sohn offiziell mit wenig Gepäck für die paar Tage in Deutschland mit mir abflogen. Ganz klar, ohne sie, wäre Kati nie aus dem Jemen, der für sie Gefängnis geworden war – vom Gefängnis DDR ins Gefängnis Jemen, war ihr Spruch - , herausgekommen. Mir wird im Gedenken an Ahmeds Mutter das Herz warm. Aber mir war auch klar, daß ich nach diesem Manöver nicht mehr als Reiseleiterin in den Jemen fliegen konnte. Leider. Denn für Männer war das eine schändliche Tat, ich eine Fluchthelferin.
Das war der Hintergrund dafür, daß ich auf der Rolltreppe nach oben ins Flugzeug nach Deutschland Kati davon abhielt, ihre so verständliche Reaktion „Arschloch“, auch laut zu äußern. Denn das hätte dem Ganzen eine Wahrheit gegeben, die wir ja im Verbund mit der Mutter extra als Arztuntersuchungsreise falsch gespielt hatten. Und Ahmed wäre als der verlassene Ehemann dagestanden, der er zwar war, was aber für seine Reputation in seinem Land und auch die seiner Mutter verschleiert werden mußte. Und auf dieser offiziellen Verabschiedung von ihm an der Rolltreppe auch richtig gut verschleiert worden war. Denn eine kranke Frau, die nach Deutschland fährt und dann so krank ist, daß sie dort bleibt, weil sie gesunden muß, klingt in jemenitischen Ohren sehr plausibel.
Das war nun die sachlichste Darstellung einer aufwühlenden Begebenheit, die sich denken läßt. Wahrlich ein Filmstoff, wenngleich Wahrheit. Allein wie toll sich die Geschichte mit den Koffern darstellen ließe. NEIN, Schluß, hier ging es nur um die wahre Geschichte einer Flucht mit weiblicher List und weiblicher Hilfe, die einem zum Weltfrauentag gerade rechtzeitig einfiel.
Fotos:
Alle aus dem Jemen. Wir wollten die Kraft von Kindern zeigen, so arm sie auch sind. Wie man sieht, sind Frauen in der Öffentlichkeit nicht existent, sondern total verhüllt. In den Städten allerdings nicht. Da tragen sie häufig, wie die Mädchen Kopftücher. Doch das obere Bild kann leicht täuschen. Das Mädchen trägt keinen Kopfputz, sondern sie hält unter dem Tuch auf dem Kopf Palatschinken warm.
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