Stimmen aus einem Pflegeheim für ältere Menschen (Teil 1)
Hanswerner Kruse und Heike Link
Steinau an der Straße (Weltexpresso) - Vor zwei Jahren schloss das Langer-Kaufhaus in Schlüchtern, das gesamte Personal wurde arbeitslos. Wir berichteten seinerzeit unter anderem über die Verkäuferin Heike Link, die ihre erzwungene Neuorientierung - nach fast dreißigjähriger Tätigkeit im Warenhaus - als Chance begriff. Mit Unterstützung des Arbeitsamtes macht sie eine Ausbildung zur Altenpflegerin. „In fünf Jahren hätte ich das nicht mehr machen können“, sagte sie damals als 48-jährige.
Als „Schülerin“ wechselt sie zwischen den Unterrichtswochen im Fuldaer Berufsbildungszentrum „Medi Campus“ und ihrer praktischen Arbeit im Steinauer Pflegeheim „Doreafamilie“. Derzeit ist die Schule geschlossen, der Unterricht findet zuhause online am Computer statt. Gerade in der letzten Woche konnte sich Link mit dem Thema Stressbewältigung beschäftigen: Wie geht man mit persönlichem Stress um, wie lernt man positiv zu denken und sich auch in der Corona-Krise notwendige Auszeiten zu nehmen?
Sie vermisst den Unterricht im direkten Kontakt mit den Lehrerinnen und anderen Auszubildenden. „Zum Thema Mobbing haben wir mal Rollenspiele gemacht“, erzählt sie. „Ich war das Mobbing-Opfer, aber da ich die älteste und erfahrenste in der Klasse bin, konnte ich die Situation schnell umkehren.“
„Jetzt in Corona-Zeiten darf man im Alltag nicht leichtsinnig sein“, sagt sie. „Man sollte unnötige körperliche Kontakte unterlassen. Aber in der Pflege lassen sich Berührungen einfach nicht vermeiden, dazu muss man die Menschen anfassen, sie brauchen auch den Körperkontakt“, weiß sie. „Deshalb ist die Hygiene noch wichtiger als je zuvor.“
Grundsätzlich findet die „Schülerin“ den Wechsel zwischen Schule und Heim sehr gut, so könne sie das theoretisch Gelernte sofort in die Praxis umsetzen. „Die Fachkräfte helfen dabei und fragen immer, was bringst Du denn diesmal von der Schule mit?“ Besonders wichtig findet sie im Moment den Umgang mit Medikamenten und das Thema Diabetes, denn viele alte Leute sind von dieser Krankheit betroffen.
Zum Schluss des Gesprächs erzählt Heike Link noch eine kleine persönliche Geschichte:
„Neulich fiel mir ein Liederbuch meiner Großeltern in die Hände. Das nahm ich mit zur Arbeit, denn beim Singen fehlen mir immer die letzten Strophen. Nachdem ein Bewohner in dem Buch geblättert hatte, griff er plötzlich in seine Tasche, holte eine Mundharmonika heraus und begann zu spielen: ‚Kommt ein Vogel geflogen, setzt sich nieder auf mein Fuß, hat ein Zettel im Schnabel, von der Mutter einen Gruß.’ Mit viel Inbrunst sangen alle das Lied weiter: ‚Lieber Vogel flieg weiter, nimm einen Gruß mit und ein Kuss, denn ich kann dich nicht begleiten, weil ich hier bleiben muss.’ Wie passend ist doch dieses Lied in der heutigen Zeit, ich war davon sehr gerührt.“
Fotos:
© Hanswerner Kruse
Oben: Ein von den Bewohner*innen gestaltetes Transparent
Unten: Porträt von Heike Link im Berufsbildungszentrum „Medi Campus“