Kurt Nelhiebel
Bremen (Weltexpresso) – Es ist schwer zu begreifen – zur selben Zeit, da sich alle Gedanken darüber machen, wie es nach der Coronakrise weitergehen soll, weil überall das Geld fehlen wird, verhandelt die deutsche Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer mit der US-Regierung über den Kauf von 45 amerikanischen Kampfjets vom Typ F-18, und just zur selben Zeit steigert Deutschland seine jährlichen Rüstungsausgaben um 6,4 Prozent auf 50 Milliarden Euro. Keines der 15 führenden Länder hat seinen Militäretat prozentual so stark erhöht.
Um welche Summen es bei den geplanten Rüstungskäufen geht, lässt sich am besten an einem Einzelbeispiel ablesen. Allein ein moderner Kampfjet-Pilotenhelm kostet derzeit so viel wie 30 VW-Golf zusammen, nämlich 737.800 Dollar. Tragen werden den Helm Piloten des US-Tarnkappen-Mehrzweckflugzeuges F-35. An dem Super-Flieger ist die Bundesregierung derzeit gottlob noch nicht interessiert ist. Aber sie hat zusammen mit Frankreich bereits die Entwicklung eines Nachfolgemodells angeschoben; es soll 2040 einsatzbereit sein.
Beschönigend sprach Kramp-Karrenbauer im Zusammenhang mit dem F-18-Kampfjet von einer Brückentechnologie. Auf die Frage, wozu Deutschland heute neue Atombomber brauche, gab sie zur Antwort, so lange es Atomwaffen gebe, diene die „atomare Teilhabe“ unserer Sicherheit und unserer Mitsprache auf Augenhöhe im Bündnis. Gebraucht würden die in den USA hergestellten Kampfflugzeuge, weil der von der Bundeswehr für den Transport von Atomwaffen vorgesehene Tornado in die Jahre gekommen sei.
Ersetzt werden soll auch Kriegsgerät für den Bodeneinsatz. Dazu wurde vom Haushaltsausschuss des Bundestages am 11. März eine Studie für das -. wie es im Militärjargon heißt – bodengebundene Hauptkampfsystem der Zukunft als innovative Nachfolge der derzeitigen Kampfpanzergeneration in Auftrag gegeben. Es soll in deutsch-französischer Kooperation den deutschen Leopard 2, der nach Herstellerangaben 340 Liter Diesel pro 100 Kilometer verbraucht, und den französischen Leclerc-Kampfpanzer ablösen.
Militärs und Rüstungsindustrie brauchen sich also um ihre Zukunft nicht zu sorgen. Gleichwohl argwöhnt NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg, die rosigen Zeiten könnten im Gefolge der Coronakrise zu Ende gehen. „Aus der Gesundheitskrise darf keine Sicherheitskrise werden“, zitierte ihn dieser Tage die Süddeutsche Zeitung, nicht ohne von sich aus hinzuzufügen, die Weltlage bleibe in der Tat bedrohlich. Die Nato sei zwar nicht Europas einzige Lebensversicherung, „aber Corona erinnert daran, wie wichtig sie auch in Friedenszeiten ist.“
Umgekehrt wird ein Schuh daraus. Das Coronavirus erinnert uns daran, wie unwichtig Kampfflugzeuge und Panzer werden, wenn es um Gesundheit, Leben und Tod geht. Da kommt es darauf an, wie ein Gesundheitswesen für Heimsuchungen gerüstet ist, wie wir sie seit Beginn der Coronakrise erleben. Verglichen mit den Aufwendungen für militärische Sicherheit spielen die Aufwendungen des Staates für die gesundheitliche Sicherheit seiner Bürgerinnen und Bürger allerdings eine untergeordnete Rolle. Nur knapp ein Drittel der Summe, die der Verteidigungsetat ausweist, steht dem Gesundheitsministerium zu Verfügung.
Vor zwölf Jahren gingen in Berlin 130 000 Ärzte, Pflegekräfte, Klinikdirektoren und Gewerkschafter auf die Straße, um gegen die finanzielle Unterversorgung der Krankenhäuser zu protestieren. Damals versuchte die Gesundheitsministerin Ulla Schmidt die Gemüter durch die Zusage einer Drei-Milliarden-Euro-Spritze zu besänftigen, aber die reichte nach Ansicht der Betroffenen schon damals vorn und hinten nicht aus, um die kränkelnden Hospitäler zu heilen. Jetzt hören wir von dem deutschen Zukunftsforscher Matthias Horx, das Virus sei vielleicht nur ein Sendbote aus der Zukunft gewesen. Nach Meinung der Frankfurter Rundschau führt uns die erzwungene neue Lage vor Augen, dass eine andere Welt möglich ist. Das Unbehagen am Kapitalismus, die Debatte um Klimaschutz und weltweites Wirtschaftswachstum, all das rumore ja schon länger.
Aber nur wenn die verantwortlichen Politiker jetzt einen radikalen Schnitt wagen und die Militärausgaben zugunsten der allgemeinen Wohlfahrt um die Hälfte kürzen, wird es eine Wende zum Besseren geben. „Das Virus wird sterben“, schreibt der senegalesische Sozialwissenschaftler Felwine Sarr in der Süddeutschen Zeitung, „Weniger sicher aber ist, dass die schlechten Gewohnheiten dieser Welt, ihre Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten, ihre Raffgier, ihre Maßlosigkeit mit ihm sterben werden. Gerade diese sind es doch, die wir bekämpfen müssen.“
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Ausschnitt aus der Karikatur aus dem Weser-Kurier vom 29. 4. 2020.
Ausschnitt aus der Karikatur aus dem Weser-Kurier vom 29. 4. 2020.