DSC04319 2 optimiertEin Viertelahrhundert herrschte die Meinung vor, dass es der Wirtschaft nur gut gehe, wenn die ehrenwerte und ehrliche Arbeit eins draufkriege und gedeckelt werde

Heinz Markert

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Die menschliche Tätigkeit erlitt das Etikett Humankapital. Die Bezeichnung wurde Unwort des Jahres 2004. Nicht aber der Arbeitsprozess macht das Problem, sondern das Versagen eines 25jährigen Systemansatzes, der als Shareholder Value von Alfred Rappaport hochgezurrt wurde.
 
Seriöse Ökonomen verzogen schon immer die Mundwinkel - bekamen sie diesen Ausdruck zu hören.

Margret Thatcher hat die Londoner U-Bahn privatisiert. Zwei Konsortien wurden jegliche Baulichkeiten und Einrichtungen übertragen. Metro-Net aber wurde zum Milliardengrab, meldete 2008 Konkurs an. Die Stadt London sah sich vor die Aufgabe gestellt, das Metro-Netz wiederaufzukaufen und milliardenschwere Investitionen zu tätigen. So rammt der Shareholder Value Schneisen in die Gemeinwesen die, nachdem das Kind in den Brunnen gefallen ist, die Wiedererrichtung kommunaler Aufgabenbewältigung einfordern. Der Ausverkauf öffentlicher Güter dreht an einer Abwärtsspirale. Langsam beginnt sich in den Köpfen eine Wende zu vollziehen. Corona hilft dabei.

Paradigma Deutsche Bahn – oh wär´ sie wie zu Kaisers Zeit geblieben

Damals war sie mustergültig organisiert. Alte Kursbücher legen davon Zeugnis ab. Die umgegründete Deutsche Bahn ist seit 25 Jahren dem Zerfall ausgesetzt, ist unzuverlässiger denn je, zeigt sich durch Verspätungen, Zugausfälle, marode Schienen, veraltetes Material, Personalmangel und Rückbau entstellt. Tag für Tag fährt sie mehr als 800 Stunden Verspätungen ein. Die wohlfeile Staatsphobie hatte der heilspolitischen Marktgläubigkeit den Weg gebahnt. Das neue Fieber begab sich in den Wahn, dass Privatisierung öffentliche Dienstleistungen besser, billiger und gar bürgernäher machen. Seit Helmut Kohl (1982) hat sich der Bund von mehr als 900 Beteiligungen getrennt, er besitzt nur noch unter 100. Alles kam unter den Hammer, wurde dann abwärts gekurbelt, kaum etwas blieb außen vor, auch die Bildung nicht. Daseinsvorsorge, Telekommunikation, Wasserbetriebe, Abfallwirtschaft, Sicherheit, die Reinigung der Schultoiletten durch Betriebe, die sparen, woran sie nur können, alles sollte sich zuvorderst rechnen. Die Rentenpolitik mit Walter Riester ging daneben. Inzwischen hat – aufgrund schlechter Erfahrungen - eine Welle der Rekommunalisierung eingesetzt. Die Inthronisierung des ach so freien Marktes wird zurückgenommen, weil die Entstaatlichung und ‚Vermarktlichung‘ zunehmend als unheilvolle Entwicklung erkannt wird.

Die Deutsche Bahn - das Musterbeispiel für das Versagen der Freien-Markt-Ideologie

Die Deutsche Bahn hat man neu antreten lassen, damit sie zum Global Player aufgehübscht werde. Damit verzettelte sie sich so sehr, dass sie inländisch völlig versagt. Die Bediensteten schleppen sich frustriert und unmutig von Tag zu Tag dahin, haben resigniert. 1994 wurde die Bahn zur Bundes AG gemacht, aber Staat und Politik haben sie einem betriebswirtschaftlichen Amoklauf ausgesetzt. Sie verfügt über mehr als 1500 Repräsentanten in 152 Staaten, hat 2006 die Stinnes AG gekauft und ist damit zum größten Straßenspediteur! geworden, womit sie ihrem ureigenen Geschäft in die Parade fährt. Das ist einkalkuliert. Sie hat sich auch in den amerikanischen Luftverkehr eingekauft und konkurriert damit mit dem Schienenverkehr, der ihr eigentlich angelegen sein sollte.

Damit ist die sattsam eingeführte Autoshow verbunden. 2018 haben Mitarbeiter der Ministerien und nachgeordnete Behörden 220 116 Inlandsflüge unternommen, 628 Flüge pro Tag. Wie soll auf diese Weise auch der klimaschädliche Luftverkehr eingeschränkt werden, wenn so gegen grundlegende Einsichten verstoßen wird. Gleichzeitig ist zu vermerken, dass bis 1990 die Fahrpläne besser aufeinander abgestimmt, die Schienen besser gepflegt und die Räder besser in Schuss waren – obwohl es noch keine ICEs gab. Davon künden noch die alten Kursbücher von 1876 von Kleber, von einer Bahn, die holde Vergangenheit ist. Weil aber die Bahn dem Prestige von durchdrehenden Managern ausgesetzt ist, konkurriert sie gegen ihre eigene ursprüngliche, durchaus weiterhin zukunftsträchtige Bestimmung, bedenkt man den Unterschied des Bahnpotentials auf der Schiene mit erneuerbarer Energie im Unterschied zum klimaschädlichen Fliegen mit Kerosin und Diesel-Brettern auf Autobahnen.

Ausfall auf ganzer Linie

Die Bahn, die von Experten für nicht reformierbar gehalten wird, versenkt in vielen Weltteilen Geld in einem Reich, in dem die Sonne nicht untergeht. Eigentlich hat sie sich aus dem eigenen Land zurückgezogen. Die Hochgeschwindigkeit (10 Prozent der Strecken) ist wegemäßig schwindsüchtig, die Fläche aber (obwohl 90 Prozent des Aufkommens) wird immer weniger bedient. Die 50 Prozent Investitionen im Ausland amortisieren sich nicht. 2017 fielen im Land 140 000 Züge aus. Der Vorsitzende des Vorstands Richard Lutz ließ sich wie folgt hören: „Ein Zug, der nicht kommt, kann nicht zu spät kommen“. Zu diesen Bahnzerstörern wurden Schröder und Fischer.

Seit 1994 will keiner sich ernsthaft noch mit dem Schienenverkehr befassen, obwohl doch mehr Verkehr auf die Schiene soll. Von 40 000 km Schiene blieben 33 000 übrig. Die Züge sind voller. Von 252 Millionen Fahrgästen im Jahr 1998 ging es bis 2018 runter auf 145 Millionen. 1998 wurde der Interregio aus unerfindlichen Gründen abgebaut. Er war die populärste Zugart und das in der so vordringlichen Fläche. 20-25 Prozent des Bahnsystems verkommen oder sind verfallen. Bahnhöfe hauchen überall ihr letztes Stadium aus. Gleichzeitig aber wurde die Straße von 600 auf 900 000 Kilometer ausgebaut. Dahinter stehen Interessen. Und sei's von Posern der Straße.
Gleichzeitig behindern Megaprojekte den Alltagsverkehr. So wie S21, ein Denkmal des strukturellen Irrsinns. Das alte Stuttgart war der Höhepunkt der Bahnhofstradition. Es hatte eine sehr günstige Verspätungsstatistik, auf 3 Ebenen ging es fast weichenfrei in den Bahnhof. Der Megalomanische Bahnhof aber geht auf die schiefe Bahn mit 15 pro Mille Neigung. Für Eltern mit Kindern ist das eine Unmöglichkeit. Die Neigung beträgt 6,50 Meter auf eine Zuglänge. Wegrollende Züge werden zum Problem. Das Brandschutzkonzept ist eine Katastrophe mit Ansage zwischen Ersticken oder Verbrennen à la Kaprun. Aber man bleibt angefixt vom ganz Großen. In Stuttgart will man München nämlich zeigen, was STG draufhat. Entgegen der Vorgabe wird S21 nicht 4,6 Mrd. kosten, sondern 8-10.

Verhökern einleiten anstatt Ausbessern und noch Bessermachen

Die Bahn ist trotz AG-Eitelkeit mit 25 Mrd. verschuldet, aber die AG sieht sich als reich an. Weil er Mitarbeiter bespitzelte, wurde Mehdorn entlassen, bekam 6 Mill. Abfindung. Grube warf den Bettel hin, erhielt 3 Mill., ergeben zusammen 9 Millionen. Lokführer klagen: Klimaanlage im Führerstand ausgefallen, Frontscheibe hat sich wahnsinnig erhitzt, es macht keinen Spaß mehr. Sie ersehnen die Rente, haben keine Nerven mehr. Seit mindestens 25 Jahren zerfallen Bahnhöfe, Strecken werden stillgelegt.

Der Bahnhof Eschersheim bei Frankfurt war vor 55 Jahren ein Schmuckstück. Da fuhr man cool von Offenbach-Alter-Friedhof (Trambahn) über fm-Hauptbahnhof nach Bad Nauheim und weiter mit dem Butzbach-Licher Schienenbus, auf dessen ehemaligen Schienen heute nur noch wochenends die historische Dampfbahn eilends unterwegs ist. Sonst fahren Züge auf der letzten Rille. Im ICE 4 wurden die Sitzabstände geringer, durch den Mittelgang passen größere Koffer nicht mehr. Die Leseleuchte fehlt ganz. In Tschechien wurde alles elektrifiziert, in Deutschland sind es nur 60 Prozent. 2500 Dieselloks fahren ohne Dieselfilter. Die DDR-Dampfloks waren schneller als die ICEs. 1936 betrug die Fahrzeit für die Strecke Berlin – Dresden 1 St. 42 Min, das waren 23 Min. weniger als unter der heutigen Bahn-AG. In Anbetracht von 600 Meter langen Zügen fehlt es an Überholgleisen und Weichen, die herausgerissen wurden. Daher bleibt es bei der Beobachtung: ICE fährt hinter Güterzug, weil Reserve fehlt. Ein Drittel der fahrenden Züge kann nicht mehr verkraftet werden. Daher heißt es häufig: Störung im Betriebsablauf oder Schäden in der Oberleitung.

Ein eminent politischer Skandal

Die Politik lässt das alles zu, schreitet nicht ein. Über 100 Städte wurden vom Fernverkehr abgehängt. Der Städtetag klagt an. Auch ist, mithin, die Verlagerung der Güter auf die Schiene nicht realisierbar wie auch nicht das europäische Zusammenwachsen auf der Schiene. 20 Verbindungen ins Ausland wurden gekappt. Zuviel wurde über die Jahre kaputt gemacht. Ein Mehr von 25 000 km Strecke wäre nötig. 344 Strecken müssten ausgebaut werden, doch 242 Bahnhöfe wurden geschlossen, 205 Haltepunkte aufgegeben. Lutz wirkt gleichermaßen negativ. Hingegen finden Autobahnen großzügigen Ausbau, Flugtaxis werden als zeitnahes Konzept vom Verkehrsminister verkündet. 1990 war die Bahn schneller, obwohl es noch keine Schnellstrecken und ICEs gab. Trotz all dem Skandal wurden Bahngelände noch und nöcher verhökert. Wo mal Bahn war, stehen jetzt renditemäßig sich lohnende Wohnkolosse. Überholgleise wurden abgebaut. Daher stehen ICE und Güterzug dauernd im Konflikt.
Aber Lutz ist stolz darauf, dass die Bahn AG in 800 – 1000 Gesellschaften diversifiziert ist. Sie betreibt u.a. Wein- und Minenlogistik in Australien, lässt Schnellzüge zwischen Bakersville und San Jose fahren, betreibt in Großbritannien Krankentransporte, eine große Flotte für Carsharing in Kopenhagen und vieles vieles mehr.

Foto:
© Heinz Markert

Info:
Vortrag: 'Schaden in der Oberleitung', Das Desaster der Deutschen Bahn, Tele-Akademie 24.05.2020, SWR, gehalten an der VHS Reutlingen
(Nachfolgend: ‚Ausverkauf mit Abwicklung‘)