Zum 117. Geburtstag von Fritz Bauer, Teil 4/4
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Heute wäre Fritz Bauer 117 Jahre geworden, doch er ist schon am 1.Juli 1968, noch nicht 65jährig, gestorben. Unter bis heute ungeklärten Umständen. Aufgeweckt, ja aufgeschreckt hatte mich 2010 auf der BERLINALE 2010 Ilona Zioks Film FRITZ BAUER- TOD AUF RATEN, denn auch mir war er entschwunden, hatte ihn doch noch gekannt, auch persönlich erlebt, den Hessischen Generalstaatsanwalt Fritz Bauer, der in Frankfurt residierte und lebte, den Nazis die Leviten las und die Jugend aufbaute.
Immer wieder füge ich deshalb in offizielle Berichte über Bücher, Filme, Ereignisse, wie jüngst die Enthüllung seiner Büste im Foyer des Bundesjustizministeriums in Berlin, ein, daß er ein echter Citoyen war, der auch außerhalb seines Dienstzimmers, von dem er immer sagte, daß er, wenn er es verlasse, in Feindesland gerate, was sich nur auf das Gerichtsgebäude auf der Zeil bezog, sich in der Frankfurter Kultur, in der er unterwegs war, wohl- und aufgehoben fühlte, und nicht, wie im Gericht, von seinem Stellvertreter, ehemaliger NSDAP-Parteigänger und sonstigen Konsorten überwacht und verfolgt. So waren die Verhältnisse. Aber in der sehr lebendigen Frankfurter Kulturszene konnte man ihn bei den Opern- und Theaterpremieren sehen – und immer wieder danach zum Austausch auch beim Griechen in der Hochstraße, die eigentlich Griechinnen waren.
Na, und dann lernte ich seine Bedeutung durch Besuche der Auschwitzprozesse im Haus Gallus kennen, wo er nicht persönlich anwesend war, die er aber als Ankläger in Gang gesetzt hatte. Und eben auch aus dem Hessischen Fernsehen, wo er im Kellerklub die Jugendlichen zur Demokratie ermutigte. Das waren noch Zeiten, als junge Leute freiwillig sich von Älteren Rat einholten und über ein besseres Deutschland diskutierten. Immer war die Demokratisierung der Gesellschaft und gemäß Kantscher Aufklärung, den eigenen Verstand zu gebrauchen, soziale Fragen dabei nicht zu vergessen, die Leitlinie von Fritz Bauer, der seine Erziehung durch das Elternhaus, nein, man müßte sagen, durch seine Mutter, in dem alten Sprichwort zusammenfaßte, das wirklich viele Gesetzesbücher ersetzen könnte: „Was Du nicht willst, daß man Dir tu‘, das füg‘ auch keinem anderen zu.“
Ich persönlich war beeindruckt, daß er uns Jugendliche motivierte, nach Bonn zu den Demos gegen die Notstandsgesetze zu fahren, was wir dann taten. Erinnerungen für‘s Leben. Die Leute seiner Dienststelle sollen nicht so begeistert wie wir gewesen sein, als er sie ebenfalls gerne dort sehen wollte.
Vielleicht bin ich durch diese Erinnerungen auch so widerständig gegenüber den peinlichen Versuchen, aus dem, alle Religionen ablehnenden Atheisten und deshalb die HUMANISTISCHE UNION mitgründenten Fritz Bauer einen Juden, gar noch einen homosexuellen zu machen, – wirklich peinlich, erst recht, weil es nicht stimmt – oder auch einen eifernden Nazijäger und bornierten Wutbürger, dem es doch überhaupt nicht um die Strafen für diese Verbrecher ging, sondern um uns Deutsche, daß wir nämlich daraus lernen sollten, damit solches wie dies Nazi-Deutschland und seine Massenmorde nie wieder geschehe. Ja, ich denke oft daran, wie er heute auf die AfD und ihre Aktionen oder Demonstrationen reagieren und was er zu dem gegenwärtigen Skandal um die hessische Polizei und deren Verstrickungen in rechte Netzwerke sagen täte, wie er darauf politisch reagieren würde – eben auch handelte. Denn er war ebenso ein Mann der Tat. Nicht nur der Gedanken, die aber schon in der Nachkriegszeit von Bauer verschriftlicht für einen bornierten Konservativen wie Helmut Kohl zu demokratisch waren. Denn, nachdem das durch die CDU regierte Land Rheinland-Pfalz die Verteilung einer Broschüre an den höheren Schulen des Landes, in der sich Fritz Bauer zu den Wurzeln faschistischen und nationalsozialistischen Handelns geäußert hatte, verboten hatte, hielt ihm 1962 Kohl die ungeheuerliche Aussage entgegen, für ein abschließendes Urteil über das DRITTE REICH sei es noch zu früh, der zeitliche Abstand sei zu kurz. Das muß man sich mal vorstellen! Wo doch nicht Populismus die Sache von Fritz Bauer war, sondern die ernst- und ehrenhafte juristische Aufarbeitung der NS-Verbrechen. Mit denen wollte er in aller Öffentlichkeit „Gerichtstag halten über uns selbst und über die gefährlichen Faktoren in unserer Geschichte“ - und hat es getan.
Fritz Bauer, der eben nicht nur der glänzende Jurist und seit 1930 jüngste Amtrichter Deutschlands - weshalb die Nazis den SPD Mann gleich 1933 vorsorglich ins KZ sperrten, wo er erst einmal frei kam, dann 1936 nach Dänemark emigrierte- war, sondern über allem ein Zoon politikon, weshalb er auch schon als Jugendlicher 1917 in die SPD eintrat, um die sozialen Verhältnisse so zu ändern, daß Menschen gar nicht erst in Schieflagen geraten. Aus dieser Gesinnung heraus begrüßte er im Nachkriegsdeutschland im Darmstädter Jugendgefängnis die Insassen mit : „Liebe Kameraden...“ Jedesmal, wenn ich daran denke, sehe ich den Sturm der Entrüstung der damaligen hessischen CDU-Opposition vor mir und muß lächeln.
Zudem war Fritz Bauer hochgebildet, hat nicht nur die neu erscheinende Literatur gelesen und mit anderen darüber diskutiert, sondern wußte mit dem Begriff Zoon politikon etwas anzufangen, dessen Thesen auf Aristoteles zurückgehen:der Mensch ist ein
Zoon politikon
– ein soziales, auf Gemeinschaft angelegtes und Gemeinschaft bildendes Lebewesen
- die Polis ist die vollkommene Gemeinschaft
- die Polis ist natürlich
- die Polis „ist von Natur aus früher als das Haus und die Individuen.
Ach, wir wollen nicht weiter hadern mit dem Bild, das gewisse Filme von ihm gegen die historische Wahrheit erzeugt haben, als Wurzelsepp und Berseker. Aber heute zu seinem Geburtstag wollen wir anmerken, daß gegenüber den früheren Artikeln, die wir immer wieder mal zu seinem Geburtstag veröffentlichten, seit dem Film FRITZ BAUER – TOD AUF RATEN eben doch seine gesellschaftliche Wiederentdeckung erfolgt. Langsam, aber kontinuierlich. Und irgendwann werden zumindest die Jura-Abgänger der Frankfurter Universität Namen und Person Fritz Bauers kennen. Und irgendwann werden auch die Braunschweiger ihren großen Sitzungssaal nach ihm benennen. Denn in der Tat ist es Fritz Bauer gelungen, durch einzelne Gerichtsverfahren den Gang der Bundesrepublik Deutschland unveränderbar in Richtung Demokratie und Gerechtigkeit zu lenken.
Das gilt für den sogenannte Remerprozeß 1952 in Braunschweig, wo er so erfolgreich Generalstaatsanwalt war, daß ihn der Hessische Ministerpräsident Georg-August Zinn – damals hieß es lange noch mit der SPD ‚Hessen vorn‘ - nach Hessen holte. Damals zog so ein ewiger Nazi namens Remer öffentlich über die Hitlerattentäter vom 20. Juli als ‚Vaterlandsverräter‘ her und in der Tat bekamen zwar alle SS-Witwen eine Rente, die Witwen der Widerständler als angebliche Landesverräter aber nicht! In der Anklageerhebung gegen Remer formulierte Bauer Sätze für die Ewigkeit, denen das Gericht in der Urteilsfindung folgte. Nazi-Deutschland wurde als Unrechtsstaat qualifiziert und deshalb der Widerstand gegen Hitler und auch das Attentat dem Tyrannenmord der Antike gleichgesetzt, Remer wegen übler Nachrede verurteilt und die Witwen erhielten Pension. Das nur nebenbei.
Bundesweit bekannt wurde Fritz Bauer dann durch die Auschwitzprozesse, die er initiierte, das ist eine eigene Geschichte, spannend wie ein Krimi und schon oft erzählt. Aber sein eigentliches Anliegen war ein anderes, die Euthanasieprozesse, für die er jahrelang seine Untersuchungsrichter mit großem Erfolg hatte forschen lassen, dann aber in eine Zeit geriet, wo nach den Vietnamkriegen die Jugend Deutschlands mit der Studentenbewegung und internationaler Solidarität erst einmal eine andere Orientierung hatte. Entscheidend aber war für das Ende der geplanten Prozesse sein plötzlicher Tod, wie gesagt, einen halben Monat vor Vollendung seines 65. Lebensjahres, über das hinaus er die Sondergenehmigung zum Weitermachen als Generalstaatsanwalt schon hatte. Erst viel später wurde bekannt, welche ruhmreiche Rolle er bei der Aufspürung von Adolf Eichmann spielte und der Tatsache, daß dieser vor Gericht kam. In Israel. Es wäre ihm ein bundesdeutsches Gericht lieber gewesen, aber er wußte, daß er bei den deutschen Behörden, die er auf der Bonner Rosenhöhe, dem Bundesjustizministerium , in fröhlicher Nazirunde wußte – Hans Globke als Mitverfasser und Kommentator der Nürnberger Rassegesetze und verantwortlicher NS-Ministerialbeamter für judenfeindliche Verordnungen ,war von 1953 bis 1963 Chef des Bundeskanzleramtes unter Adenauer – er wußte also, daß diese Behörden eher den SS-Mann in Argentinien warnen würden, denn ihn festnehmen und ihm den Prozeß machen. Da ahnte noch keiner, was Eduard Dreher, ein besonders intriganter und durch mehrfache Todesurteil wegen eines gestohlenen Stücks Brot Anfang 1945 in Innsbruck zu üblem Ruhm gekommener Staatsanwalt, Ende 1968 anrichten würde, nämlich die Verjährung für Naziverbrechen heimlich in eine Gesetzesvorlage zu schmuggeln, die um Ordnungswidrigkeiten ging. Sachlich also damit nichts zu tun hatte, weshalb es ihm ohne weitere Diskussion gelang.
Das in schamvoller Kürze, denn bei Fritz Bauer hat man immer das Gefühl, noch etwas hinzufügen zu müssen, so eindrucksvoll ist sein lebenslanger Kampf für die demokratischen Grundlagen Deutschlands.
Für das nächste Jahr wünschen wir uns von der Hessischen Landesregierung, vertreten durch die Ministerien für Wissenschaft und Kunst sowie das Justizministerium, eine Gedenkveranstaltung für Fritz Bauer, die man mit dem Film FRITZ BAUER – TOD AUF RATEN sehr lebendig machen kann. Und als Sternchen wünschen wir uns, daß auch das FBI, das Fritz Bauer Institut, dabei ist.
Denn Hanno Loewy hatte vor 25 Jahren sehr vorausschauend die -heute wissenschaftliche Stätte der Aufarbeitung des Holocaust an der Frankfurter Universität - nach Fritz Bauer gegründet und benannt, weil auch er ihn noch aus Frankfurt kannte. Für Loewy ist die spätere Ansiedlung des Instituts an die Universität im Jahr 2000 nicht gut ausgegangen. Persönlich schon, denn er hat aus dem Jüdischen Museum Hohenems/ Voralberg, wohin er ging, als ihn die Uni mangels formaler wissenschaftlicher Reputation nicht als Leiter des FBI übernahm, das weltbekannteste und am meisten besuchte jüdische Museum der Welt gemacht!
Foto:
Haben Sie überhaupt schon gesehen, daß Fritz Bauer einer der Säulenheiligen in der Bilderleiste von WELTEXPRESSO ist. Sozusagen unsere Referenzen. Hier ein
Ausschnitt: Fritz Bauer ist eingefaßt von Karl Max auf der Rechten, beide haben als Fundament Hegel, neben dem links Hannah Arendt zu sehen ist, die allen drei nahesteht.
Info:
Unbedingt zu erwähnen sind die Fritz-Bauer-Experten
Kurt Nelhiebel
https://weltexpresso.de/index.php/zeitgesehen/19562-spaete-ehrung-fuer-fritz-bauer
https://www.kurt-nelhiebel.de/portraets/fritz-bauer/
Ilona Ziok
http://www.fritz-bauer-film.de
Irmtud Wojak
mit der wissenschaftlichen und überhaupt ersten Biographie "Fritz Bauer 1903–1968. Eine Biographie, München 2009"
www.fritz-bauer-forum.de