Kurt Nelhiebel
Bremen (Weltexpresso) Von nuklearer Teilhabe wird auf deutscher Seite immer dann verharmlosend gesprochen, wenn es darum geht, der Rüstungsindustrie neue Aufträge zuzuschanzen und neue Kampfflugzeuge für die Bundeswehr zu beschaffen, mit denen deutsche Piloten amerikanische Atombomben dorthin tragen sollen, wohin die USA sie haben wollen. Sie allein verfügen über die nötigen streng geheimen Codes. Ein deutsches Vetorecht gibt es nicht. Die britischen und die französischen Nuklearwaffen waren in die Nato-Strategie der nuklearen Teilhabe zu keiner Zeit eingebunden.
Die Bundesrepublik Deutschland als Abschussrampe für die tödlichsten Waffen der Welt - diese Vorstellung müsste allen Deutschen die Haare zu Berge stehen lassen. Das zu akzeptieren setzt die Bereitschaft zum kollektiven Selbstmord voraus. Unser Land macht sich damit zum atomaren Angriffsziel. Es würde im Ernstfall binnen weniger Stunden in ein mit verstümmelten Leichen übersätes radioaktiv verseuchtes Trümmerfeld verwandelt , vergleichbar den japanischen Städten Hiroshima und Nagasaki nach dem Abwurf amerikanischer Atombomben am 6. August beziehungsweise 9. August vor 75 Jahren.
Damit unserem Land das erspart bleibt, schloss sich die Bundesrepublik während der Kanzlerschaft von Willy Brandt (SPD) gegen den heftigen Protest von CDU und CSU 1969 dem Atomwaffensperrvertrag an. Sie verzichtete damit für immer auf den Besitz solcher Waffen und die Teilhabe an ihnen Den Kritikern hielt Brandt seinerzeit entgegen: „Es ist Vorsorge getroffen, dass der Nichtverbreitungsvertrag in keiner Weise unsere militärische Sicherheit und die Zusammenarbeit im Nato-Bündnis beeinträchtigt.“ (Deutschlandfunk 27. 11. 2019).
Die uniformierten militärischen Berater von Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) und die Lobbyisten in ihrer Umgebung halten die bisher für den Transport von Atombomben vorgesehenen Tornado-Kampfflugzeuge für veraltet. Sie sollen demnächst durch 45 modernere Jets ersetzt werden, die Hälfte davon durch Flugzeuge aus den USA. Der Hersteller Boeing könnte sich nach Angaben der Süddeutschen Zeitung vom 29. Juli über einen Auftrag im Wert von mindestens etwa vier Milliarden Euro freuen, sehr zum Ärger des europäischen Herstellers Airbus, dessen Gesamtbetriebsrat angeblich nicht verstehen kann, dass Steuergelder für ein Produkt in die USA gehen sollen, „das wir selbst herstellen können“.
Der Abrüstungsexperte bei Greenpeace, Alexander Lurz, bezeichnete das riesige Beschaffungsprogramm gegenüber der genannten Zeitung als ein abrüstungspolitisch verheerendes Signal und in Corona-Zeiten eine Verschwendung bald knapper finanzieller Mittel. Angesichts dieses Wahnsinns müssten die Grünen eigentlich auf die Barrikaden gehen und ihn zu einem Hauptthema des nächsten Bundestagswahlkampfes machen. Aber da sie selber Regierungspartei werden möchten und dadurch an die Abmachungen ihrer Vorgänger gebunden wären, wird sich an ihrer Verteidigungspolitik nichts ändern. Die SPD hat zwar hinsichtlich der nuklearen Teilhabe und der Stationierung amerikanischer Atomwaffen auf deutschem Boden gewisse Vorbehalte, aber das will bekanntlich nichts heißen.
Die Schreckensbilder aus Hiroshima und Nagasaki, die in diesen Tagen aus Anlass des 75. Jahrestages ihrer Zerstörung durch Atombomben wieder einmal um die Welt gehen, werden bis auf wohlfeile Bekenntnisse zur atomaren Abrüstung folgenlos bleiben. Das Gedächtnis der meisten Menschen ist leider viel zu kurz, als dass die Regierenden, gleich wo, daraus den Schluss ziehen müssten, ihren schönen Worten endlich Taten folgen zu lassen. Auch das Mantra von Annegret Kramp-Karrenbauer lautet: Jockele, geh du voran. So lange es Atomwaffen gebe, so lange müssten wir uns die Option offen halten, selber zu diesen Waffen greifen zu können. Die Bereitschaft zum kollektiven Selbstmord eingeschlossen.
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aus © Chronik des 20. Jahrhunderts
Chronik-Verlag der Harenberg Verlagsgesellschaft, Dortmund 1990, Seite 669