Andreas Mink
New York (Weltexpresso) - Donald Trump und große Teile der republikanischen Partei kämpfen eine Woche nach den Präsidentschaftswahlen weiter gegen das offenkundige Ergebnis: Der Sieger heisst Joe Biden. Dieser dürfte am Ende der vielerorts immer noch laufenden Auszählungen auf 306 Stimmen im Kollegium der Wahlmänner kommen – und damit auf die gleiche Zahl, die Trump vor vier Jahren ins Weisse Haus gebracht hat.
Dabei steht fest, dass Biden in besonders umkämpften Gliedstaaten eine deutlich höhere Stimmenzahl errungen hat, als Trump 2016. So liegt der Demokrat nun in Michigan mit 130 000 Stimmen in Führung. Trump konnte seinerzeit nur ein Mehr von 10 700 Voten erzielen. Zudem dürfte Biden landesweit bis zu 80 Millionen Stimmen und einen Vorsprung von mehr als fünf Millionen auf Trump erzielen, ein historischer Rekord. Dennoch tweetet der Präsident unermüdlich über Wahlbetrug seitens der «radikalen Linken» und erfindet Unterschiede zwischen angeblich legalen und angeblich illegalen Stimmzetteln. Gleichzeitig stellen seine und Anwälte der republikanischen Partei Wahlergebnisse in Michigan, Pennsylvania und weiteren Gliedstaaten mit einer Flut von Klagen in Frage.
Kein Einspruch
Die Ergebnisse müssen bis zum 28. November auf Gliedstaatsebene offiziell bestätigt werden. Der nächste, wichtige Termin im Wahl-Prozedere ist der 14. Dezember. Dann geben die «Wahlmänner» in den einzelnen Staaten ihre Stimmen für den Präsidenten ab. Diese «Elektoren» sind dabei an die Wähler-Entscheidung gebunden. Dies hat das Verfassungsgericht im Sommer noch einmal betont. Aber Anfang Woche erklärte Jake Corman, der republikanische Mehrheitsführer im Senat von Pennsylvania, dabei könne es «Ausnahmen» geben. Zu diesen besonderen Umständen gab Corman keine näheren Erklärungen ab.
Aber Trump wütet besonders gegen die Auszählungen in von Demokraten regierten Großstädten wie Detroit und Philadelphia. Diese seien notorisch für Wahlbetrug. Bekanntlich sind diese Metropolen in Michigan und Pennsylvania aufgrund hoher Anteile von Afroamerikanern und Hispanics demokratische Hochburgen. Von daher ist es durchaus vorstellbar, dass republikanische Parlaments-Mehrheiten in den umkämpften Gliedstaaten Arizona, Georgia, Michigan, Pennsylvania und Wisconsin Mitte Dezember zumindest den Versuch unternehmen, ihre Wahlmänner für eine zweite Amtszeit von Trump stimmen zu lassen. «Wahlbetrug» und «illegale Stimmzettel» könnten dafür einen fadenscheinigen Vorwand liefern. Wie der politische Journalist Ronald Brownstein moniert, erheben Demokraten anhin keinerlei Proteste gegen diese Möglichkeit.
Theater oder Staatsreich?
So steht Mitte Woche keineswegs fest, dass Jake Sherman mit seiner Einschätzung richtig liegt. Der Reporter bei «Politico» betrachtet diese in der amerikanischen Geschichte einzigartigen Anstrengungen Trumps und der «Grand Old Party» (GOP) schlicht als «Theater» ohne reale Konsequenzen zumindest auf den Wahlausgang. Experten wie der Historiker Timothy Snyder und Konservative wie Bill Kristol oder Demokraten wie David Rothkopf erkennen in den Aktionen Trumps jedoch die Vorbereitung eines Staatsstreiches. Dabei könnte wie in Lateinamerika oder im Nahen Osten während des 20. Jahrhunderts auch schon geschehen auch das Militär eingesetzt werden, sobald Manipulation im Wahlmännerkollegium massive Proteste auslösen.
Immerhin hat der Präsident diese Woche den Pentagon-Chef Mark Esper entlassen. Der hatte die Wut Trumps provoziert, weil er Militär-Einsätze gegen Demonstranten Anfang Juni für verfassungswidrig erklärt hatte. Diese Woche warnte Esper in einem Interview mit der «Military Times» im Falle seiner Ersetzung durch «Ja-Sager» vor «finsteren Tagen»: Dann sei Amerika auf den Beistand Gottes angewiesen. Inzwischen hat Trump nicht nur Esper abgelöst, sondern Gefolgsleute auch an Schlüsselpositionen in Geheimdiensten und im Pentagon installiert.
Alternative Realitäten
Was also steckt hinter dieser Kampagne aus Lügen, Klagen und Personal-Entscheidungen? Wie durchsichtig die Behauptungen des rechten Lagers sind, wird schon an einem Tweet von Ivanka Trump vom Mittwoch deutlich. Republikaner schäumten gegen die «Lügenpresse», die anhand vorläufiger Ergebnisse Biden in Arizona oder Pennsylvania zum Sieger erklärt hatte. Als die Nachrichten-Agentur AP dann Trump zum Gewinner in Alaska erklärte, brach Ivanka umgehend in Jubel aus. Doch derlei Feinheiten gehen an der Masse republikanischer Wähler vorbei. Obwohl Fox News seit dem Wahltag vorsichtig die Rolle des Jubelchors aufgibt, haben Trump und rechte Medien seit 2016 eine alternative Realität konstruiert, die ihn als hart arbeitenden Erfolgsunternehmer im Dienste des «wahren Amerika» und Bollwerk gegen böse Feinde von China bis zu den Demokraten darstellt.
Dieses Weltbild verleiht Trump eine singuläre Macht über die Republikaner: Er hat mindestens 72 Millionen Stimmen und damit etwa zehn Prozent mehr gewonnen, als 2016. Diese Wähler versetzen Trump in die Rolle eines Geiselnehmers, der einer eingeschüchterten GOP die Pistole seiner populären Unterstützung an die Schläfe hält: Ohne Trump drohen die Republikaner ihre relativ neue Massenbasis unter Weißen ohne höhere Bildung zu verlieren. Wohl angezogen von seiner Macho-Persönlichkeit und einer tiefen Frustration über ihre Lebensumstände, wechselten bei diesen Wahlen auch männliche Latinos und Schwarze zu den Republikanern. Dies hat demokratische Hoffnungen in Florida oder Texas zerstört und löst bereits Fraktionskämpfe bei den Linksliberalen aus. Denn die Demokraten haben ihre Mehrheit im Repräsentantenhaus nur unter erheblichen Verlusten halten können. Dennoch bestehen dort keinerlei Aussichten auf eine Erneuerung des Führungsteams um die nunmehr 80-jährige Nancy Pelosi.
Zerstörung amerikanischer Demokratie
Trump ist es damit gelungen, seiner Niederlage einen Triumph abzugewinnen: Die Wähler haben dem «Trumpismus» keine vehemente Absage erteilt und die Republikaner scheinen heute mehr auf ihn angewiesen als vor den Wahlen. Wie Timothy Snyder auf Twitter erklärt, schmieden der Präsident und seine Anhänger bereits eine neue «Dolchstoß-Legende», die ihn als Opfer linker Ränke und eigentlichen Wahlsieger darstellt. Der Harvard-Historiker erkennt darin eine Zerstörung der amerikanischen Demokratie von innen heraus. Dass Trump die «Normen, Regeln und Institutionen der Demokratie verachtet», steht auch für den Historiker David Greenberg fest. Aber Trump sei deshalb noch kein Hugo Chávez und schon gar kein Hitler, so der Professor an der Rutgers University in einem E-Mail an tachles: «Die amerikanische Zivilgesellschaft ist zu stark für einen Putschversuch.» Denn 80 Prozent der Nation und drei Fünftel der Republikaner würden Biden als Wahlsieger betrachten. Und nur ein sehr geringer Teil der Bevölkerung würde einen illegalen, verfassungswidrigen und bewaffneten Versuch Trumps unterstützen, im Amt zu bleiben. Liegt der prominente Zeithistoriker richtig, käme für das derzeitige Drama in Amerika folgende Erklärung in Frage: Die Republikaner machen sein Theater vorerst mit, weil sie Trump für die Motivierung rechter Wähler und Spender für die Senatsnachwahlen in Georgia am 5. Januar benötigen. Ohne die Galionsfigur Trump droht der GOP der Verlust ihrer Mehrheit in der oberen Kongresskammer und damit die Möglichkeit, Biden das Regieren zum Alptraum zu machen. Der Präsident nutzt den Kampf gegen die Wahlergebnisse derweil zum Spendensammeln. Angeblich sollen diese Klagen gegen linke Manipulationen dienen. Doch aus dem Kleingedruckten auf den E-Mail-Annoncen geht hervor, dass Spenden primär Wahlkampf-Schulden Trumps begleichen sollen.
So verwandelt Trump seine Niederlage am Ende einer für Amerika und die Welt verheerenden Präsidentschaft womöglich in eine Geldquelle, die seiner Eitelkeit eine zukünftige Plattform im öffentlichen Leben bereitet. Dies hätte den Vorteil, dass Trump dann sämtlicher Amtspflichten entledigt dem Golfspiel frönen kann. Seinen Lebensunterhalt würde er mit Spenden für ein bereits geplantes «politisches Aktionskomitee» oder gut dotierten Reden bestreiten.
Foto:
Pentagon-Chef Mark Esper (links) wurde diese Woche entlassen. Er warnt vor «finsteren Tagen». Welchen Putsch könnte Donald Trump im Schilde führen?
© tachles
Info:
Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 13. November 2020
Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 13. November 2020