Vom Umgang mit unserem geschichtlichen Erbe

Klaus Jürgen Schmidt

Nienburg/Weser (Weltexpresso)  -> Das Mosaik im Hauptbahnhof ...feiert ungebrochen Kolonialismus und die an NS-Verbrechen beteiligte Firma Brinkmann. Ein offener Brief ruft den Bundes-Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) nun dazu auf, das zu ändern. ... <
Die Bremer Bundestagsabgeordnete der Grünen, Dr. Kirsten Kappert-Gonther hat es in die Medien geschafft, u.a. in einen umfangreichen Artikel auf der Bremen-Seite der „taz“ vom 24.11.2020.


Bei Brinkman hat man wahrscheinlich gesagt: „Alter Tobak!“ – und hat dann noch 'mal ins Archiv geguckt:

Weser-Kurier, 18.05.2017: > Radtour von „Decolonize Bremen / Düsteres Erbe im Stadtbild / ... In der Halle des Hauptbahnhofs prangt es an der Wand, doch viele schauen es nicht an: das Brinkmann-Mosaik. Es ist Sinn- und Abbild der Bremer Rolle im deutschen Kolonialismus. Die Kulturwissenschaftlerin und Aktivistin des Bündnisses „Decolonize Bremen“, Kim Annakathrin Ronacher, leitete nun eine Radtour mit mehreren Zwischenstopps in Schwachhausen sowie rund um den Bahnhof. Dabei wies sie auf vielfältige Verstrickungen und den bremischen Umgang mit der belasteten Vergangenheit hin. ... <

Nun also eine neue Initiative – auf der Abgeordneten-Website von Dr. Kirsten Kappert-Gonther heißt es: > In einem Offenen Brief fordern das Afrika Netzwerk Bremen e.V., die Bürgerschaftsabgeordneten Kai Wargalla und Sahhanim Görgü-Philipp und ich Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer auf, einen kritischen Umgang mit diesem Wandmosaik voranzutreiben. Ein Werk im öffentlichen Raum, das einen nachweislichen NS-Verbrecher ehrt, erfordert eine deutlich erkennbare historische Kontextualisierung und darf nicht ohne eine solche präsentiert werden. Darüber hinaus erfordert auch die plakative Weise, in der koloniale Machtverhältnisse portraitiert werden, eine kritische Einbettung. ...< https://kappertgonther.de/2020/11/offener-brief-zum-umgang-mit-dem-brinkmann-wandmosaik-im-bremer-hauptbahnhof/



Was könnte mit einer deutlich erkennbaren historischen Kontextualisierung gemeint sein?

Vielleicht so etwas wie beim „Bremer Elefanten“?

Der steht hinter dem Bahnhof und war 'mal ein Kolonial-Denkmal.
Am 18. Mai 1990 wurde der Elefant beim Namibia-Freiheitsfest als „Anti-Kolonial-Denk-Mal“ umbenannt. Bei diesem feierlichen Akt wurde eine große Bronzetafel rechts am Fuß des Denkmals enthüllt – eine deutlich erkennbare historische Kontextualisierung!


Vielleicht sollte aus dem Deutschen Bundestag der Bundes-Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) als politisch Verantwortlicher für das deutsche Eisenbahnwesen und dessen Geschichte an eine Verpflichtung erinnert werden, bei der es nicht bloß um die eine oder andere Kontextualisierung ginge?

Hier Spuren aus dem Internet:
> Wer mit der Bahn reist, braucht eine Fahrkarte – selbst wenn die Reise höchst unfreiwillig ist und in den Tod führt. Das ist ebenso zynisch wie wahr. Denn die Reichsbahn, die den größten Teil der rund vier Millionen in deutschen Vernichtungslagern ermordeten Juden auf ihrer letzten Reise beförderte, rechnete jede Fahrt ab. ... Obwohl viele der Deportierten in einfache Güterwaggons getrieben wurden, galt nach den gültigen Tarifbedingungen jeder Transport als Fahrt dritter Klasse, einfach. Kinder zwischen vier und zehn Jahren zahlten die Hälfte, Kleinkinder fuhren kostenlos nach Auschwitz, Belzec, Treblinka oder die anderen Mordstätten im Osten Europas. Doch räumte die Reichsbahn ihrem „Großkunden“ Heinrich Himmler, dem Chef der SS, einen großzügigen Sonderrabatt ein: Bei Transporten von mindestens 400 Personen wurde nur der halbe Regeltarif berechnet. Die Fahrt in den Tod kostete das Reichssicherheitshauptamt dann nur noch zwei Reichspfennig pro Kopf und Kilometer. Für die SS lohnte es sich also, so viele Menschen wie möglich auf einmal zu deportieren. Da die Gaskammern in den Vernichtungslagern ab 1942 allesamt genug Kapazität für mindestens tausend Morde am Tag hatten, wurden die Todeszüge immer länger. Errechnet man den Durchschnitt aller erhaltenen Transportlisten, so umfasste jede einzelne Deportation in Ostmitteleuropa, also aus den Gettos im besetzten Polen und den besetzten Gebieten der Sowjetunion, mehr als 3500 Menschen. In den Zügen aus Deutschland und dem besetzten Westeuropa in die KZs und Vernichtungslager dagegen fuhren durchschnittlich rund tausend Menschen. ...

                                                                                              Bielefeld, 13. Dezember 1941

... Hauptverantwortlich für die Rolle der Reichsbahn im Holocaust war Albert Ganzenmüller, Diplomingenieur und Reichsbahn-Karrierebeamter. ... Nach 1945 tauchte Ganzenmüller unter und arbeitete zehn Jahre lang als Eisenbahnexperte in Argentinien. Seit 1955 wieder in Deutschland, scheiterte er mit seinem Versuch, eine Pension als Staatssekretär oder eine Einstellung bei der Bundesbahn einzuklagen. Seit 1957 wurde gegen ihn strafrechtlich ermittelt, doch mehrere Anläufe zu einem Gerichtsverfahren scheiterten. 1973 schließlich erlitt Ganzenmüller einen Herzinfarkt. Das Verfahren wurde erst ausgesetzt, dann eingestellt – aber der Fahrdienstleiter des Todes lebte noch bis 1996: Er wurde 91 Jahre alt. <
https://www.welt.de/geschichte/zweiter-weltkrieg/article113200916/Zwei-Pfennig-pro-Kopf-und-Bahnkilometer-ins-KZ.html

Seit sieben Jahren gibt es eine deutsche Website der israelischen Gedenk- und Forschungsstätte Yad Vashem. Die umfasst auch eine Datenbank aller Deportationen per Zug. Das waren vermutlich mehr als alle Mosaiksteinchen im Bremer Hauptbahnhof. Es wären nützlich, aus dem Bundestag beim Bundesverkehrsminister nachzufragen, wann damit begonnen werden wird, die Bücher der Reichsbahn mit den Listen der „Bahnreisenden“ in Yad Vashem abzugleichen.

Muss man nicht mehr?

Sind fast alle längst dem „Fahrdienstleiter des Todes“ gefolgt!

Und außerdem: Die Deportationslisten auf der deutschsprachigen Website von „Yad Vashem“ waren für diese Recherche leider nicht zu erreichen: http://db.yadvashem.org/deportation/page.html?language=de
In Bremen muss sich noch ein anderes Unternehmen dem Wissen stellen, von Juden-Vertreibung profitiert zu haben:

Bremen / DE, 3. Februar 2020 – 130 Jahre nach der Unternehmensgründung in Bremen eröffnet Kühne + Nagel sein neues Stammhaus. Das August-Kühne-Haus befindet sich an prominenter Stelle am Eingang der Bremer Innenstadt und dient als Sitz von Kühne + Nagel Deutschland.

WIKIPEDIA:
https://de.wikipedia.org/wiki/K%C3%BChne_%2B_Nagel

> Das Unternehmen Kühne+Nagel machte bis 2015 keine öffentlichen Aussagen zu seiner Rolle und Beteiligung in der NS-Zeit; speziell zu Möbeltransporten und anderen Logistik-Dienstleistungen für NS-Organe in der Zeit von 1933 bis 1945. Auf Anfrage der „taz“ erklärte das Unternehmen im Januar 2015, „der Rolle von Kühne+Nagel in diesen Zeitperioden mangelt es an Relevanz“. „Unklar“ sei zudem, „in wessen Auftrag die Transporte durchgeführt wurden“. Es wird weiter darauf verwiesen, dass das Unternehmen in einer wirtschaftlich schwierigen Situation gewesen sei. Der Historiker Jaromir Balcar geht allerdings davon aus, dass leitende Mitarbeiter von Kühne+Nagel sehr genau wussten, welches Gut sie im Rahmen der M-Aktion transportierten.
Nach mehreren Artikeln in der „taz“, die auch auf den vergessenen früheren jüdischen Teilhaber von Kühne+Nagel, Adolf Maass, hinwies, wurde die Rolle von Kühne+Nagel auch in einem Beitrag des Politik-Magazins Kontrovers (BR) im Frühjahr 2015 aufgegriffen. Nach diesen Recherchen profitierte das Unternehmen indirekt von Enteignungen der Nazis, da die Habseligkeiten von deportierten Juden aus Frankreich, Belgien, den Niederlanden und Luxemburg von Kühne+Nagel nach Deutschland transportiert wurden. Kühne+Nagel war damit an der sogenannten „M-Aktion“ beteiligt. 1942 begannen NS-Stellen unter diesem Decknamen die Plünderung jüdischer Wohnungen in den besetzten Ländern. Etwa 70.000 Wohnungen deportierter und geflohener Juden waren betroffen. Mit den angeeigneten, offiziell „beschlagnahmten“ Möbeln sollten deutsche NS-Behörden im Osten ausgestattet werden.[64] Kühne+Nagel verwies gegenüber dem Bayerischen Rundfunk auch darauf, dass das Firmenarchiv 1944 im Krieg abgebrannt sei und man keine Unterlagen zu dem Zeitraum habe.
Unter dem Druck der Recherchen von Kontrovers und „taz“ gab Kühne+Nagel am 17. März 2015 eine Presseerklärung heraus, in der das Unternehmen erstmals einräumte, „zum Teil“ im Auftrag des NS-Regimes gehandelt zu haben. <

.                                                                          Bremens Bürgermeister Sieling neben Konzernchef Kühne

https://www.butenunbinnen.de/nachrichten/gesellschaft/kuehne-und-nagel-grundstein100.html
Der Logistik-Konzern Kühne und Nagel hat den Grundstein für den Neubau seines Stammhauses in der Bremer Innenstadt gelegt.
Klaus-Michael Kühne äußerte sich bei dem Festakt noch einmal zum Streit um das Arisierungs-Mahnmal, das ursprünglich neben dem Stammhaus platziert werden sollte, weil das Unternehmen besonders von der Enteignung der Juden durch die Nazis profitiert hatte:
"Wir sind der Meinung, dass es da viele unerfreuliche Entwicklungen gab, dass es viele Beteiligte gab und dass es deshalb etwas ist, was man nicht mit uns einseitig identifizieren darf, sondern insgesamt eine Rolle gespielt hat. Ich glaube, man hat jetzt einen guten Standort gefunden, mit dem wir uns auch identifizieren können. Aber mit uns direkt hat es nichts zu tun und schon gar nicht mit unserem Neubau hier."


FOTOS:
©Wikipedia / angegebene Websites

Info: https://www.welt.de/geschichte/zweiter-weltkrieg/article113200916/Zwei-Pfennig-pro-Kopf-und-Bahnkilometer-ins-KZ.html