Richard C. Schneider
Tel Aviv (Weltexpresso) - Während Riad und Jerusalem enger zusammenrücken, warten Ramallah, Teheran und Ankara skeptisch-optimistisch auf die neue Führung in Washington – eine szenarische Analyse.
Obwohl es ein «geheimes» Treffen war, ist klar, dass Israels Premier Binyamin Netanyahu und Saudis Kronprinz Muhamad bin Salman, kurz MbS genannt, in der saudischen Stadt Neom zusammenkamen. Mit dabei: Noch-US-Außenminister Mike Pompeo. Während viele in der jüdischen Welt hoffen, dass dieses Meeting den Auftakt zu einem offiziellen Frieden zwischen beiden Staaten bilden könnte, standen bei den Gesprächen wohl ganz andere Dinge im Vordergrund. Die Beziehungen zwischen Saudi-Arabien und Israel sind bereits eng, das ist längst bekannt. Doch solange Salman bin Abdulaziz amtierender König ist, wird wohl keine saudische Botschaft in Tel Aviv eröffnet werden. Zumindest steht er öffentlich noch auf dem Standpunkt, dass sich Israelis und Palästinenser geeinigt haben müssen, ehe Riad Entscheidungen trifft.
Doch das kann Netanyahu für den Moment egal sein. Er, ebenso wie die Saudis, macht sich Sorgen um die politischen Signale, die aus den USA kommen. Der neu gewählte Präsident Joe Biden hat schon angekündigt, dass seine Administration das Gespräch mit dem Iran wieder aufnehmen will. Und das bedeutet, dass Washington einen neuen Deal mit Teheran aushandeln will. Der von der Obama-Biden-Administration zusammen mit der EU, Russland und China geschaffene Nuklear-Deal 2015, das sogenannte JCPOA-Abkommen, war von Netanyahu grimmig bekämpft worden. Doch auch die sunnitischen Staaten, insbesondere die Saudis und die Golfstaaten, waren damals «not amused». Das JCPOA hatte klare Schwächen: Die Laufzeit zur Eindämmung einer nuklearen iranischen Bedrohung war zu kurz angelegt, gerade mal zehn bis fünfzehn Jahre, das Raketenprogramm des Iran wurde nicht weiter erwähnt und schliesslich wurden die Gelder auf den eingefrorenen Konten des Iran wieder freigegeben, was zur Aufrüstung und noch massiveren Unterstützung der sogenannten Stellvertreter wie etwa der Hizbollah im Libanon und Syrien führte.
US-Präsident Donald Trump drehte den Spiess um. Unter seiner Führung stiegen die USA einseitig aus dem Vertrag aus und setzten wieder Sanktionen gegen Teheran ein, die das Regime dazu zwangen, selbst in Syrien die iranischen Aktivitäten zu reduzieren, noch dazu, nachdem die USA den militärischen Mastermind Irans, Qassem Soleimani, ausgeschaltet hatten.
Neue Achsen in Nahost
Wenn sich also Netanyahu und der saudische Kronprinz treffen, dann ist das als klares Signal an Washington zu verstehen. Die beiden Staaten bündeln ihre Interessen, um der Biden-Administration, in der viele alte Bekannte auftauchen, die aktiv an der Entstehung des Nuklear-Deals 2015 beteiligt waren, deutlich zu machen, dass sich der Nahe Osten in den vergangenen vier Jahren deutlich verändert hat. Die Interessen sind heute andere, die Machtstrukturen ebenso. Die Achse Israel – Golfstaaten – Saudi-Arabien – Ägypten steht in vielen Bereichen einer Achse Türkei – Katar – Palästina – Iran gegenüber.
Der Jubel bei der israelischen Rechten und der Regierung Netanyahu über die Friedensabkommen mit den Vereinigten Arabischen Emiraten, Bahrain und Sudan, die Verkündung einer «neuen Zeit» im Nahen Osten, ist sicher richtig. Doch die Furcht, ein Präsident wie Biden könnte versuchen, die Uhr zurückzudrehen, ist gross. Doch wie realistisch ist sie?
Es gibt erste Hinweise, dass die neue Administration bereits verstanden hat, dass man nicht einfach in das alte JCPOA-Abkommen wieder einsteigen kann, sondern neu verhandeln muss. Wenn die Iraner sich denn darauf einlassen. Doch allein die Tatsache, dass man mit den Mullahs in Teheran wieder sprechen will, könnte diesen einen neuen «Boost» geben und sie stärken, was dem wackeligen Machtgefüge in der Region alles andere als helfen würde. Gleichzeitig scheint Joe Biden die Fehleinschätzungen zu erkennen, die in der Obama-Ära im Nahen Osten gemacht wurden. Michèle Flournoy, die sehr wahrscheinlich neue amerikanische Verteidigungsministerin wird, hat sich mehrfach dazu geäussert, dass es ein Fehler der Obama- und erst recht der Trump-Administration war, Syrien so gänzlich der Türkei und Russland zu überlassen. Sie machte in der Vergangenheit immer wieder darauf aufmerksam, dass die Folgen an der Nordgrenze Israel zu sehen sein werden und stellte die Frage, ob die USA das zulassen könnten. Wenn sie und der «president-elect» da auf einer Seite miteinander stehen, würde das für Israel und die Region tatsächlich bedeuten, dass Washington dem Iran stärker und deutlicher Einhalt bei dessen Expansionspolitik gebieten will, als man im Augenblick in Riad oder Jerusalem glaubt.
America First ade
Die komplexe Situation, mit der Türkei ein Nato-Mitglied zu haben, das sich inzwischen andere Allianzen sucht und die Interessen der USA, geschweige denn der EU, nicht mehr in die eigene politische Strategie mit einbezieht, wird Washington noch vor grosse Pro-bleme stellen. Wie Biden und sein zukünftiger Aussenminister Antony Blinken das regeln wollen, ist noch offen. Doch Bidens Statement ist klar: Die USA wollen wieder führen. Es geht nicht mehr um eine isolationistische «America First»-Politik à la Trump, sondern um die Wahrung amerikanischer Interessen durch Multi-lateralismus und enge Zusammenarbeit mit den Verbündeten. Das dürfte allerdings die Ambitionen eines Erdogan erst einmal nicht bremsen. Immer noch sieht er sich in der Nachfolge des Osmanischen Reiches und hat Machtvorstellungen, die mit der Realität nichts zu tun haben. Doch die Saudis müssen auf der Hut sein. Einerseits die sehr reale iranische Gefahr, andererseits der Konkurrenz- und Machtkampf in der sunnitischen Welt mit Ankara, das sich längst zum Schutzpatron der Hamas und der palästinensischen Sache gemacht hat. Und dann ist da die reale Befürchtung Riads, dass Biden den Schmusekurs mit Riad wegen der Menschenrechtsverbrechen des saudischen Herrscherhauses, um es euphemistisch auszudrücken, extrem reduzieren könnte. Und niemand weiss im Augenblick, wie Biden Erdogan disziplinieren könnte.
Neben dem gemeinsamen Feind Iran hat Israel natürlich auch noch viele andere Gründe, die neue Allianz-Achse mit Saudi-Arabien weiter auszubauen. Joe Biden wird die Beziehungen mit der Palästinensischen Autonomiebehörde wieder aufnehmen und normalisieren. Und auch wenn wohl keiner in Washington ernsthaft glaubt, dass ein Abkommen zwischen einem inzwischen erratischen, greisen Mahmud Abbas und einem Premier Netanyahu zu machen ist, der zwar keine ernsthaften Absichten hat, das Westjordanland zu annektieren, sich aber einen Palästinenserstaat nur noch in Form mehrerer Bantustans à la Trump-Plan vorstellen kann, so wird das Thema Palästina doch wieder auf die politische Agenda zurückkehren. Und da ist es schon mal wichtig, die Saudis an der eigenen Seite zu haben. Zwischen Riad und Jerusalem wird es nun immer deutlicher zu einem politischen Geben und Nehmen kommen, weil es da den gemeinsamen oder sagen wir besser gegnerischen Freund im Weissen Haus gibt.
Obama, der Zögerer
Alles wird davon abhängen, wie realistisch die neue amerikanische Führung auf den Nahen Osten blicken wird. Machen wir uns nichts vor: Obamas Politik führte die Region in vielen Bereichen mit ins Chaos. Syrien ist ganz gewiss das negativste «Vermächtnis» der Obama’schen Aussenpolitik. Sein Zögern und Zaudern erwiesen sich als Katastrophe für das Land. Der Nuklear-Deal, der mit Teheran sicher mit der richtigen Absicht abgeschlossen worden war, war ein Teilerfolg, keine Frage. Aber er hat auch den aggressiven Machtausbau des Iran befördert. Obamas Versuch, den Israelis einen Siedlungsbaustopp aufzuzwingen, war ebenfalls ein Flop und mitverantwortlich dafür, dass die Palästinenser wieder einmal keinen Schritt mit ihren Aspirationen weiterkamen. Als Obama bereits aufgegeben hatte, hatte sein Aussenminister Kerry geglaubt, er könne die Quadratur des Kreises in «nur neun Monaten» doch noch schaffen. Doch auch er musste 2014 frustriert aufgeben.
Hinzu kommen natürlich neue Fakten, die Trump geschaffen hat, positive Fakten. Die Beziehungen zwischen Israel, den Emiraten, Bahrain und Sudan könnten eine Basis bilden, um den Nahen Osten neu zu gestalten. Erst kürzlich erklärte ein arabischer Diplomat, seine Hoffnung sei, dass Israel sich gegenüber den Palästinensern offener zeigen werde, wenn es begreife, dass es aus der arabischen Welt keine Feindseligkeit mehr zu befürchten habe. Joe Biden und sein Team müssen all diese neuen Aspekte berücksichtigen, wenn sie eine halbwegs vernünftige Politik für die Region machen wollen. Denn alle werden auf Washington schauen: Teheran, Ankara, Ramallah, Kairo, Jerusalem, Riad, Amman. Alle.
Foto:
© tachles
Info:
Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 27. November 2020
Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 27. November 2020