In Erinnerung an den Freund Paul Mutangadura

Kaus Jürgen Schmidt

Nienburg/Weser (Weltexpresso) – Ich hatte mich an ihn erinnert, und ich hätte ihm gerne von meinem Versuch erzählt, ihn und seine realen Erfahrungen in einer fiktiven Romanfigur festzumachen, in der Figur des Ex-Befreiungskämpfers „Paul“, der sich im Thriller „TROMMELN IM ELFENBEINTURM“ einem mentalen Konflikt zwischen alter und neuer Zeit ausgesetzt sieht, zwischen Trommelzeichen aus afrikanischer Geisterwelt und digitalen Chiffren globaler Computer-Kommunikation.

Doch auf meine mails kam keine Antwort. Im Januar 2012 erhielt ich dann die Nachricht von seinem Tod.


In Zimbabwe beginnt die Spur einer internationalen Konspiration, die von Afrika über Europa bis nach Asien reicht. Zimbabwe steht stellvertretend für die Heimat afrikanischer Menschen, die mühsam versuchen, die Fremde zu verkraften, die als Ideologien und materielle Strukturen über ihr Denken und Fühlen hereingebrochen ist. Bei ihrer Spurensuche sehen sich die Zimbabwerin Lainet Musora, eine Häuptlingstochter aus dem Sambesi-Tal, und ihre Freundin Gertrud Steiner aus Bremen, eine ehemalige KBW-Anhängerin mit Berufsverbot, konfrontiert mit ideologischen und spirituellen Verirrungen von Lebenswegen, die im Geflecht ihrer jeweiligen Kultur auf unterschiedliche Weise gebrochen sind. Vor dem afrikanischen Hintergrund spielt dabei eine wesentliche Rolle der mentale Konfikt zwischen Signalen aus alter und neuer Zeit, den Trommelzeichen aus afrikanischer Geisterwelt und den digitalen Chiffren globaler Computer-Kommunikation.

Einunddreißigstes Kapitel

Gertrud war es gelungen, das Vertrauen von Lainets Bruder zu gewinnen. ... Das Feuer war längst heruntergebrannt, als er ihr – erst stockend, später mit panikerfüllter Stimme – davon berichtete, wie mühsam es für ihn gewesen sei, nach seinem Ausscheiden beim Rundfunk einen neuen Job zu finden. Seine Entscheidung, sich im Umgang mit Computern vertraut zu machen, hatte ihm schließlich eine Stelle als Programmierer des National Archives verschafft. Von dort sei er dann illegal, aber regelmäßig mit der Organisation der Rainbow Warriors in Kontakt getreten, denen er zuvor eher sporadisch Informationen habe zukommen lassen.
Und dann – nach einer weiteren Pause – entschloss er sich, von der schlimmsten Erfahrung seines Lebens zu erzählen:
Lange, bevor Getrud bei ihm in Chitungwiza aufgetaucht und viele Monate bevor sie zusammen mit seiner Schwester in die Erlebnisse am Sambesi verwickelt worden sei – habe er eines Nachts d i e Trommel gehört, zum ersten Mal seit jenen grauenhaften Monaten im Busch vor mehr als fünfzehn Jahren – das geheime Signal, den Notruf eines Freundes!

Und dann habe er ihn entdeckt, in seiner heruntergekommenen Uniform, zwischen den glimmenden Abfällen des Müllplatzes am Rande der Township, wo er sich verborgen gehalten hatte bis weit nach Sonnenuntergang, um dann auf einem verrosteten Kanister dieses Signal zu schlagen, alle fünfzehn Minuten einmal.
Paul hatte ihn gefunden und sich zu ihm gekauert in den Dreck mit ausgestreckten Armen, doch die Annäherung war beiden nicht leicht gefallen.
»Warum ... warum hast du nicht telefoniert?«
Der Freund blickte an ihm vorbei, mißtrauisch mit unruhigen Augen. Dann erhob er sich mühsam, versetzte dem Kanister mit dem Fuß einen Stoß.
»Dein Telefon im Archiv, vielleicht wird es schon abgehört. ... Ich werde gesucht, Paul ...
Sie sind hinter mir her. Es ist wie damals! Aber du hast dich erinnert, nicht wahr?«

Erst jetzt akzeptierte er die Berührung und Paul starrte in das hagere Gesicht des Mannes, der ihm seinerzeit mit einem Befehl das Leben gerettet hatte, mit dem Befehl wegzulaufen – nicht zu warten auf einen gerechten Ausgang des Militär-Tribunals, das am Ende ihrer gescheiterten Rebellion gestanden hatte.
Der spontane und deshalb schlecht organisierte Aufstand der Feldoffiziere gegen die als korrupt erkannte politische und militärische Führung der Exil-Partei Mugabes war in den Camps mit Massen-Exekutionen beendet worden. Die Widersprüche im Kampf waren ungelöst hinübergeschleppt worden in die ersten Jahre der Unabhängigkeit und sie vergifteten noch immer das politische Klima des neuen Staates zwischen Sambesi und Limpopo.
Paul hatte endlich im National Archive eine Nische im Elfenbeinturm des schwarzen Managements gefunden, wo allerdings keine Fleischtöpfe anzuzapfen waren in diesen Jahren anhaltender Akkumulierung von raschem Reichtum in wenigen schwarzen Händen. Vielleicht war es diese mangelnde Gelegenheit gewesen, die ihn in eine kritische Distanz zu den Unabhängigkeitsverwaltern in Regierung und Partei hatte geraten lassen, begleitet von einer dumpfen Frustration in seinem Kopf und in seinem Herzen.
Er hatte einmal versucht, mit einer Frau zusammenzuleben, aber ihre ständigen Vorhalte, nichts aus seinem Leben zu machen, sich nicht wie die anderen an der Jagd nach Pfründen zu beteiligen, hatten aus dieser Verbindung ein Fiasko werden lassen. Die Frau hatte ihn schließlich aufgegeben. Paul mußte lernen, wieder alleine zu leben.
So hatte er in jener Nacht den Freund unbemerkt in die kleine Wohnung schleppen können.
»Bist du ... desertiert?«

Er hatte Wasser aufgesetzt in großen Pötten auf dem Herd, um die Wanne zu füllen, hatte Bier aus dem Kühlkasten geholt, in dem das vor Tagen gekaufte Eis zu einer lauwarmen Suppe zerschmolzen war. Jetzt saß er vor der auf dem Sofa zusammengekrümmten Gestalt, den Freund hatte ein offenbar lange entbehrter Schlaf übermannt.
»Was ist mit dir geschehen, Bothwell?« flüsterte Paul und die alte Angst kroch ihm in den Nacken. Die Angst von damals – als Verräter in den eigenen Reihen Oberhand gewannen. Ihre Truppen hatten Jagd auf die Dissidenten gemacht. Die blieben, wurden standrechtlich erschossen – es gab nichts zu verhandeln.
Bothwell war sein Kommandeur gewesen und der einzige nachdenkliche Freund in dieser verwilderten Gesellschaft halbwüchsiger Buschsoldaten. Bei ihrer Flucht hatten sie das Trommelsignal vereinbart. Für den Fall, dass einer in eine Falle lief, sollte er – wo immer es möglich war – dieses Signal trommeln. Paul hatte es nie gebraucht und es auch nie gehört – bis zu diesem Abend, zehn Jahre nach Erreichen der Unabhängigkeit.
Er löschte das Feuer unter dem Badewasser und trank das lauwarme Bier.
Das Trommelsignal auf dem rostigen Kanister inmitten glimmenden Mülls!
Es hatte ihn zurückgeworfen in die Zeit von Hoffnung und Glauben, schon damals angenagt durch Angst und Zweifel.
Paul betrachtete das erschöpfte Gesicht des Freundes, der sich nach der Unabhängigkeit auf das waghalsige Experiment der Versöhnung mit den Weißen eingelassen hatte und nun in der aus Kolonialisten und Guerillakämpfern zusammengeführten Armee diente.
»Willkommen, Bothwell – in der Hütte eines Veteranen des Befreiungskampfes.«
Paul sah hinauf unter das nackte, verrußte Asbestdach.
»Wir sind wieder da, wo wir hergekommen sind, nicht wahr?«
Uns fehlt das Prinzip der Liebe, hatte kürzlich ein Marxist an der Nationalen Universität in einem ketzerischen Artikel konstatiert.
> Wir sind unfähig, uns Armut, Entwürdigung und Leid zuzuwenden. Offensichtlich fehlt uns eine grundsätzliche Liebe für unsere Menschen, und deshalb sind wir nicht in der Lage, für sie Opfer zu bringen. Dies steht in scharfem Gegensatz zu den Kolonisten, die alles aus Liebe zu ihren weißen Mitmenschen entwickelten. Wir sollten zuerst lernen, unsere Menschen zu lieben, bevor wir etwas entwickeln. Es gibt kein Prinzip der Liebe in unserer Politik und in unserer Ökonomie ... <
Paul trug den Zeitungsausschnitt seit Wochen in der Jackentasche.
»Das würde dir gefallen, Bothwell!«
Er leerte die Bierflasche, schloss Fenster und Tür und legte sich auf den Boden.

Paul wendete den Speck und die Eier in der Pfanne. Im grauen Licht der frühen Morgenstunde hatte er die Insignien auf der verschmutzten, abgelegten Uniform erkannt: Sein Freund hatte es in der neuen Armee bis zum Hauptmann gebracht – im Guerillakampf war er bereits Feldkommandeur gewesen!
Bothwell kam, ein Tuch um die Hüften, aus dem dampfenden Baderaum. Als er sich umwandte, glänzte die faserige Narbe unter seinem Schulterblatt. Nach einem Bombenangriff hatte Paul Kräuter auf der Wunde plaziert, mit Bindfäden um den Leib befestigt – sie hatten nichts anderes zur Hand gehabt, damals im Busch.
»Du bist desertiert?«
»Sie haben mich für verrückt erklärt!« sagte Bothwell und senkte den Blick auf die Hände, die jetzt müde im Schoß lagen. »Ich bin dahinter gekommen, Paul ... Es ist wie damals, nichts hat sich geändert!«
Er blickte auf als der Freund ihm Teller und Löffel reichte. »Und wie ist es bei dir?«
Dann sah er sich um in der Hütte, in der er vor zwanzig Jahren den Schulfreund überredet hatte, mit ihm über die Grenze zu gehen, in die Guerilla-Lager des Nachbarlandes am Meer.
»Das ist also dein Profit als alter Kämpfer, Paul?«
Dieser ballte den kalten Sadza-Klumpen in der Hand und tunkte schweigend das Fett von seinem Teller.
»Drüben in Mozambik kannst du jetzt reich werden, Paul – wußtest du das?«
Bothwell lachte böse und schlug die Hand auf den Tisch. »Reich, mein Lieber! Oder wofür hast du damals dein Fell hingehalten?«
»Wir hatten anderes im Sinn! Bothwell – du hast mir das erklärt. Du warst doch zugleich unser politischer Kommissar ...«

»Wir haben geträumt, mein Lieber ... wir haben einen Traum gehabt, jawohl. Und schon damals haben sie uns hintergangen!«
Paul würgte an dem fettigen Sadza-Kloß.
»Es ging immer nur um Macht und um Geld. Und du und ich – wir beide sind bis heute das Fußvolk geblieben! Ich hab´ gewusst, daß ich dich nicht in irgendeinem noblen Vorort suchen mußte, Paul ... dass du hier hängen geblieben bist. Du bist immer viel zu anständig gewesen, nicht wahr?«
Paul zog den Zeitungsartikel aus der Jacke. Seine Finger verursachten einen Fettfleck als er die Stelle suchte, die er dann mit leiser Stimme vorlas:
> Der ehrliche, hart arbeitende, sich selber aufopfernde Zimbabwer wird jetzt als naiv, sogar als dumm angesehen. Was also wird aus einem Land, wenn die ´Respektablen´ und ´Cleveren´, die ´Schnellreichen´ soziale Gangster sind? Solch ein Land kann nur in den Abgrund stürzen! <
Bothwell riss ihm den Ausschnitt aus der Hand und zerknüllte ihn.
»Noch ein Verrückter!« schrie er. »Nichts stürzt in den Abgrund, wenn weiße Ausbeuter durch schwarze Betrüger ersetzt werden. Die Lektion kam bloß nicht vor in unserem Politunterricht! Ich hab´ sie gerade gelernt, drüben in Mozambik, wo wir solidarische Hilfe leisten zum Schutz unserer Transportwege zum Meer. Ich war da, Paul! Ich Idiot hab´ gemeldet, was ich sah!«
Paul glättete den auf den Tisch geworfenen Zeitungsausschnitt, bevor er ihn wieder sorgfältig in der Jackentasche verstaute.
»Was hast du gesehen?

Er hörte die Trommel zum zweiten Mal, viele Abende später, nachdem er die Paraffin-Funzel angezündet hatte.

Der alte Freund, der nach so langer Zeit in sein tristes Leben eingebrochen war, hatte ihn nur zwölf Stunden später wieder alleine gelassen, mit einer neuen Unruhe im Kopf und mit dem Drang, sich einzumischen – gegen die ausdrückliche Warnung Bothwells, die Finger davon zu lassen. Paul starrte durch die geöffnete Tür in die Nacht. Er wartete fünfzehn Minuten, aber das Signal kam nicht wieder. Dennoch machte er sich auf den Weg. Er fand auf der Müllhalde den rostigen Kanister, dort, wo ihn vor einer Woche der Fuß des Freundes hinbefördert hatte. Niemand hatte getrommelt!
»Wenn du die Trommel wieder hörst, wird es kein Hilferuf sein, Paul!«
Er hockte sich auf den Kanister und dachte über die Weisung des Freundes nach: »Sie wird dich warnen, Paul – dich nicht in Gefahr zu bringen! Es ist mein Kampf ... vielleicht mein letzter ... und niemand kann mir helfen!«
War das ferne Geräusch nur eine Imagination gewesen? Oder doch ein Warnsignal, das ihn über eine spirituelle Beziehung zum flüchtenden Freund erreicht hatte – weil er seit dem Treffen mit ihm schon zu weit gegangen war, bei seinen vorsichtigen Recherchen?
Paul schüttelte den Gedanken ab. Es gab zu viel Geisterglaube, gewuchert in den Seelen schwarzer Menschen. Er war bei seiner Arbeit im National Archive dieser allmählichen Pervertierung traditionellen Glaubens auf die Spur gekommen.
An die Stelle des althergebrachten Vertrauens gegenüber Geistermedien, die den Rat der Ahnen für die Nachgeborenen eingeholt und dafür in einer hierarchischen Sippen-Ordnung Gehorsam verlangt hatten, war jetzt in das tägliche Leben eine Angst getreten, die bedingungslose Unterwerfung auch gegenüber Vorgesetzten und politischen Führern forderte.
In der unbewältigten Konfrontation mit der modernen Welt schien dieser Rückgriff auf längst verlorengegangene, schwarze Identität zur Manipulation von Aberglauben verkommen, zum Kontrollinstrument beim immer rascheren Auseinanderdriften von Oben und Unten.
Paul war überzeugt, dass dabei die überfällige Anpassung an Erfordernisse einer demokratischen Entwicklungsgesellschaft schon auf der Strecke geblieben war. Mit Bitterkeit erinnerte er sich daran, wie viele der jungen Rekruten in den Buschcamps an das Muti, das Amulett geglaubt hatten, das sie vor feindlichen Kugeln schützen sollte – bis die ersten Kameraden gefallen waren!
Er hatte an das rote Banner geglaubt, Bothwell war sein Lehrer gewesen und Paul hatte die Empörung in sein Herz sinken lassen, die Empörung darüber, dass es zweierlei Recht gab – für Weiße und für Schwarze, für oben und für unten! Aber sie konnten es alleine nicht schaffen und sie stellten fest, dass die Welt der Weißen auch unterteilt war – in oben und in unten. Sie nannten es die Erste und die Zweite Welt – die kapitalistische und die sozialistische Welt.
»Wir gehören zur Dritten Welt – noch ein Stückchen weiter unten!« hatte Bothwell ihn aufgeklärt. »Also haben wir uns mit denen aus der Zweiten Welt zusammengetan. Sie helfen uns in unserem Kampf – mit Waffen und mit einem Modell!«
Mit einem Modell für eine neue Gesellschaft – davon hatte Paul geträumt, als die Kameraden fielen. Unter diesem roten Banner waren sie im Kampf um schwarze Unabhängigkeit angetreten – und hatten nicht begriffen, daß ja dieses Banner ebenfalls von Weißen genäht worden war, die jetzt gerade dabei waren – in Erkenntnis eines historischen Irrtums – jenes rote Tuch zu zerreißen, das sie einst mit den Völkern in der Dritten Welt verbunden hatte!
Der rote Stern war Pauls Muti gewesen, er hatte ihn längst auf den Müll geworfen und geschworen, sich niemals mehr manipulieren zu lassen.

Und dennoch hatte er an diesem Abend erneut die Trommel gehört!
Bothwell hatte nur für eine Nacht einen sicheren Platz zum Ausruhen gebraucht, auf seiner Flucht vor den Häschern, die er mit einem sorgfältig ausgearbeiteten Report an die Armeeführung mobilisiert hatte. Sie hatten ihn sofort isoliert!
Sein Bericht über die heimlichen Geschäfte von Vorgesetzten mit gewildertem Elfenbein musste – davon war Bothwell überzeugt gewesen – auf dem Weg zum Armee-Direktorat in der Hauptstadt abgefangen worden sein.Paul hatte gleich widersprochen.
Zwar lebte und arbeitete er jetzt in einer politikferne Nische des schwarzen Elfenbeinturms, doch war ihm der Mechanismus des untergründigen Repressionsapparates durchaus vertraut geblieben.
»Sie hätten dich umgelegt, Bothwell, wenn es nur um die Machenschaften von ein paar Kriminellen gegangen wäre!«
Aber sie hatten das Netz viel feiner gesponnen.
»Siehst du das nicht? Irgendwer hat angeordnet, dich aufzubewahren ... als Verrückten, den man noch ´mal gebrauchen kann – als Zeugen, falls sich das Blatt wenden sollte!«
Aber Paul hatte den Freund nicht davon überzeugen können, daßsser zur Figur in einem Schachspiel reduziert worden war – dass sein Report mit Sicherheit das Armee-Direktorat erreicht hatte, wo Zug um Zug ein wahrscheinlich viel größeres Intrigenspiel im Gange war.

Zwanzig Meter entfernt schwelte es im Müll. Paul erhob sich von dem Kanister und trat zu der Brandstelle, deren Glut von Zeit zu Zeit durch eine leichte Brise aufglimmte.
Aus der Brusttasche zog er das kleingefaltete Kuvert, in dem er die Notizen aufbewahrte, die das Ergebnis seiner bisherigen Recherchen zusammenfaßten. Er hatte gehofft, Bothwell werde sich noch einmal melden, um mit ihm die Fragen durchgehen zu können, die sich in seinem Kopf bewegten:
A) Welche politischen Verbindungen waren mit dieser Konspiration verknüpft?
B) Welche Kanäle nutzten die in Mozambik stationierten Offiziere, um gewildertes Elfenbein mit einem so großen Gewinn loszuschlagen, dass sich ihr immenses Risiko lohnte?
C) Auf welchem Weg verließ die Konterbande das Land am Meer und mit welchem Markt als Ziel?
Misch dich nicht ein, Paul! Noch haben sie mich nicht!

Aber Paul hatte begonnen, sich einzumischen – und jetzt hatte er die Trommel gehört!
Er blickte zurück zu dem rostigen Behälter – und die Angst war da!
Bothwells imaginäres Signal begann seinen mit Daten und Fakten gefüllten Kopf zu durchdringen, fand Resonanz in jenem Teil seiner frühen Gefühlsprägung, die er verschüttet geglaubt hatte und die ihn doch – mehr als seine schwarze Hülle – Afrikaner bleiben ließ, Erbe einer spirituellen Welt, unerschüttert bis in die Gegenwart.
Impulse aus diesem verborgenen Inneren kommandierten nun seine Hand, mit weitgeöffneten Augen registrierte er die – seinem Verstand zuwiderlaufende – Bewegung:
Zwischen schmorendem Gummi erfaßte die Glut das zerknäuelte Kuvert, dann erinnerte ihn der aufsteigende Rauch an die Zeremonien alter n´angas, die er als Knabe heimlich beobachtet hatte. Und schaudernd wurde er gewahr, daß er ein Opfer darbrachte – dem Willen seines fernen Freundes gehorchend!

Bothwell Nyandoro, Hauptmann der Nationalen Armee, starb in jener Nacht.

Seine verweste Leiche wurde drei Monate später von Spaziergängern auf einem Hügel in der Nähe einer Militärbasis im Matabeleland gefunden.
Eine Notiz in der Hauptstadtzeitung erwähnte, der Hauptmann habe angeblich gedroht, einen großen Skandal in der Armee zu enthüllen. Vorgesetzte hätten bei einer ersten Befragung vermutet, Nyandoro müsse Selbstmord begangen haben. Es sei allgemeine Auffassung unter seinen Kameraden gewesen, dass er unter geistigen Störungen gelitten habe. ...

Paul dröhnte es in den Ohren – das Trommeln verfolgte ihn jetzt bis in den unruhigen Schlaf. Doch diesmal hatte er sich widersetzt: Er war es Bothwell schuldig! Und seine Trommel-Warnungen konnten ihm gestohlen bleiben!
Verbissen hatte er die Recherche wieder aufgenommen. Zunächst war es ihm gelungen, die geheimgehaltene Kommandostruktur zu erkunden, unter der Hauptmann Nyandoros Einheit im Nachbarland eingesetzt gewesen war. Als er alle Namen der vorgesetzten Offiziere beisammen hatte, meinte er plötzlich ein Raster erkennen zu können.
In der Mehrzahl waren es ehemalige Feldkommandeure der ZAPU, jener konkurrierenden Exil-Partei, die seinerzeit von Moskau umworben worden war. Die massive Unterstützung mit Geld, Waffen und ideologischem Rüstzeug für diese Partei des Minderheitsstammes, der Ndebele, hatte sich jedoch nicht ausgezahlt: In den ersten Jahren nach der Unabhängigkeit hatten die Russen einen schweren Stand gehabt; die Konkurrenz aus Peking war erfolgreicher gewesen! Wie Fische im Wasser hatten sich die Partei-Kader des Mehrheitsstammes, der Shona, unter der Landbevölkerung bewegt. Als sie dann in der ersten freien Wahl an die Oberfläche tauchten, war noch nicht abzusehen gewesen, dass sich einige zu Haien entwickeln würden. Und sieben Jahre lang hatten sie sich weiter bekämpft – die beiden Stammesparteien – mit entsetzlichen Gräueln unter den Menschen in den Dörfern und Städten der ethnischen Minderheit.
Und dann war es zur Vereinigung beider Parteien gekommen. Paul hatte es als Chance begriffen, endlich zu einer nationalen Identität zu finden, sich endgültig von jenem roten Tuch zu trennen, das die schwarzen Köpfe auf andere Weise kolonialisiert hatte – von Marxismus, Leninismus, Maoismus. In diesem Moment aber war die alte Weltordnung zusammengebrochen – die Solidarität der Zweiten Welt mit der Dritten Welt hatte sich als fauler Zauber erwiesen, sie beeilte sich, Teil der Ersten Welt zu werden. Diese Erkenntnis hatte Paul auf eine Spur gebracht!

Er wusste, dass er der Lösung näher kam, denn die Trommel ließ ihm keine Ruhe mehr.

Bothwells Geist warnte den Freund, doch Paul ahnte, dass SIE wieder da waren, diesmal ohne Maske. Ihre Ideologien waren verrottet, ihr Atem ließ alles verrotten, Tiere, Menschen, Moral ... Bothwell war verrottet!

Es lag auf der Hand, Paul hatte viele Wochen später die Nachricht in der Zeitung gelesen.
Das zuständige Provinzgericht hatte über die Todesursache zu entscheiden gehabt und war zu einem außergewöhnlichen Spruch gekommen:

HERALD-Correspondent:
> ... In der Begründung seiner Entscheidung sagte Mr. Masimba, der Hauptmann habe bis zu seinem Tod unter illegaler Beobachtung gestanden. Er sagte, Hauptmann Nyandoros Verhalten in diesem Zeitraum sei normal gewesen und er wies damit Vermutungen bestimmter Kreise über geistige Störungen zurück. Wörtlich heißt es in der Begründung: ´Vor seinem Verschwinden teilte er in einen Brief seiner Ehefrau die Befürchtung mit, von Mitgliedern des Geheimdienstes oder von Staatssicherheitsagenten abgeholt zu werden. Nach allem Augenschein, den wir haben, befand sich der Verstorbene nicht in irgendwelchen finanziellen, ehelichen oder persönlichen Problemen.´ Mr. Masimba stellte fest, Hauptmann Nyandoro habe, vor allem in den letzten beiden Monaten vor seinem Tod, Schrecklichstes erlebt; wörtlich sagte der Richter: ´Er ist gejagt und gefoltert worden. Für die meisten Menschen ist das Leben, das er zu jener Zeit führen musste, nur vergleichbar mit Fiktionsromanen,´ und er fügte hinzu: ´Es ist dieser Mafia-Stil, der seinen Weg in unser Leben gefunden hat. Es ist äußerst unglücklich, dass die Verantwortlichen nicht identifiziert und zur Verantwortung gezogen werden können!´ <

Agenten hatten Bothwell umgebracht! Agenten, die außerhalb des Zugriffs von Gerichten handeln konnten! Gedeckt aber von welchen ungeheuerlichen Interessen?
Paul hatte sich weit entfernt von Bothwells einschüchternden Trommelsignalen, die ihn mit immer stärkerer Intensität aus der ihm unbegreiflichen Geisterwelt zu erreichen suchten. Er hatte sich modernste Elektronik zunutze gemacht und in einsamen Nachtstunden begonnen, den mit Wissenschaftszentren in aller Welt vernetzten Computer des National Archives zu missbrauchen.
Ihm war längst klargeworden, welche Kontakte die in Mozambik stationierten Offiziere bei der Vermarktung des gewilderten Elfenbeins benutzten – es mussten die alten Kontakte sein, die Verbindungen ehemaliger Kommandeure des Minderheitsstammes zu ihren Finanziers in der russischen Armee! Da würden sich auch die Interessen treffen.
Generale in Moskau – zutiefst verunsichert durch dramatische Veränderungen in der Sowjetunion, in der gesamten sozialistischen Welt – würden Verbündete suchen, die – wie sie – nicht zulassen wollten, dass ihre Ordnung zusammenbrach!
Die Reformen konnten ja nur gelingen, wenn die sowjetische Rüstungsmaschine abgebaut würde. Sie aber war seit fast siebzig Jahren der mächtigste Apparat, sie war eine Weltmacht!
Generale dieser Roten Armee – würden sie sich das Ruder ohne weiteres aus der Hand nehmen lassen? ...
 

Politisch-kulturelle Zusammenhänge der Achtziger Jahre bilden den fiktiven Rahmen des Zimbabwe-Romans

TROMMELN IM ELFENBEINTURM © 2005 Klaus Jürgen Schmidt



Das Buch kann über den ONLINE-SHOP des Autors bezogen werden.

Dort gibt es auch ein Audio-Album, produziert vom Autor.

Eine Übersicht mit Hör- und Leseproben gibt es HIER.
 
 


Fotos:
©KJS

Info:
http://www.radiobridge.net/uebersichttrommeln.html