Bonhoeffer Statue an der Westminste AbbeyKetzerische Gedanken zum Advent, II

Klaus Philipp Mertens

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – „Wir können nicht redlich sein, ohne zu erkennen, daß wir in der Welt leben müssen - »etsi deus non daretur« (so als ob es Gott nicht gäbe).

Diese Worte des evangelischen Theologen Dietrich Bonhoeffer (1906 - 1945), niedergeschrieben während der NS-Haft in einem Brief an seinen Freund und späteren Biografen Eberhard Bethge, sind gleichermaßen Erkenntnis und Bekenntnis. Mit der Formulierung „etsi deus non daretur“ knüpft er an Ansichten des niederländischen Rechtsgelehrten, Philosophen und Theologen Hugo Grotius (1583 - 1645) an. Der frühe Aufklärer aus der Zeit des Dreißigjähren Krieges sah im Streben nach Gerechtigkeit einen ursprünglichen und eigenständigen Prozess des menschlichen Seins, der auch wirken würde, falls (ein) Gott nicht existierte.

Bonhoeffer ging es in dieser Phase seines Lebens, das zu erwartende Todesurteil der Nazis vor Augen, um eine nichtreligiöse Interpretation biblischer Texte und einer darauf basierenden weltlichen Rede von Gott. Denn einen Glauben an Gott könne es nur im Diesseits geben. Bislang habe der Glaube an den jenseitigen Gott das Gottesbild entscheidend bestimmt. Die Moderne, aber auch die weltlichen Herrschaftsverhältnisse samt ihrer Unmenschlichkeit hätten die Bedeutung eines solchen Religionsverständnisses jedoch deutlich schwinden lassen. Die Zeit der Innerlichkeit, des isolierten, nicht aufbegehrenden und unsolidarischen Gewissens und einer überkommenen Metaphysik, die kaum noch etwas infrage stelle, sei endgültig vorbei. Die wissenschaftlichen Errungenschaften und die erkämpften menschlichen Freiheiten hätten Gott lediglich einen Raum an den Grenzen der Erkenntnis übriggelassen, der ständig schmaler würde. Ein solcher Gott, der nur noch die Wissenslücken füllte, sei einem mündigen Menschen nicht zumutbar. Dennoch hielt Bonhoeffer an einer Vorstellung von Gott fest, die aber auf den verkündigten Jesus Christus und seine praktische Ethik reduziert schien.

Andere Denker sahen und sehen vor allem Letzteres anders. Denn das Einzige, was sich beweisen lasse, sei das seit Jahrtausenden existierende Nachdenken, Spekulieren und Phantasieren über die Existenz (eines) Gottes. Der berühmt gewordene ontologische (aus dem menschlichen Sein abgeleitete) Gottesbeweis des Anselm von Canterbury setzt den Glauben an Gott voraus und führt auf der Grundlage dieser Annahme und mithilfe eines Stufenverfahrens von Axiomen, Theoremen und Definitionen zu dem logischen Schluss, dass Gott existieren müsse. Darum handelt es sich um einen Zirkelschluss, dem sämtliche Eigenschaften des logischen Beweises fehlen. Der Mathematiker Kurt Gödel hat Anselms einzelne Erkenntnisschritte zwar als schlüssig und plausibel nachgewiesen. Gleichzeitig aber klargestellt, dass plausible Annahmen nicht zwangsläufig auch gültige Annahmen sein müssen und folglich nicht als reale Prädikate (Aussagen) bezeichnet werden dürfen. Entgegen einem weitverbreiteten Missverständnis hat er Anselms Gottesbeweis auf logische Weise widerlegt.
Folglich lässt sich die Existenz Gottes zwar erfahrungswissenschaftlich (empirisch) verifizieren, nämlich als Gegenstand des Nachdenkens und/oder des persönlichen Fürwahrhaltens belegen. Aber sie lässt sich empirisch nicht falsifizieren, also widerlegen, weil noch niemand Gott gesehen hat. Aus dem faktisch vorhandenen Nachdenken über den Glauben an Gott und der Nichtbeweisbarkeit seiner Nichtexistenz – eben weil der Gegenstand fehlt - lassen sich keine hinreichenden Prädikate (stabile Aussagen) ableiten. Um einen Beweis im mathematisch-logischen Sinn antreten zu können, bedarf es zusätzlicher, also nichtempirischer stabiler Informationen.

Solche Informationen liegen im Hinblick auf Gott einzig und allein als persönliche Überzeugungen vor, die man als „Eingebungen aus dem Nichts“ beschreiben könnte oder als logische Fehlschlüsse. Etwa bei dem untauglichen Versuch, von einem nicht definier- und beweisbaren X auf ein Y zu schließen. Sie taugen nicht als Beweismittel im Sinn mathematischer Axiome bzw. philosophischer Prädikate, weil sie selbst unbewiesen und de facto unbeweisbar sind.

Die Vorstellungen von Gott sind Projektionen menschlicher, im Laufe der Zivilisation gewachsener Idealvorstellungen auf eine metaphysische Ebene, die von dem Philosophen Ludwig Feuerbach in seiner Schrift „Das Wesen des Christentums“ anschaulich und detailliert beschrieben wurden. Und wovon man nicht sprechen, also nichts aussagen kann, darüber muss man schweigen, wie der Sprachphilosoph Ludwig Wittgenstein (1889 - 1951) in seinem „Tractatus logico-philosophicus“ forderte.

Wer aber von der Frage nach Gott nicht lassen mag, sei auf den hilfreichen Gottesbegriff des skeptischen Philosophen Wilhelm Weischedel (1905 - 1975) verwiesen. In seinem Hauptwerk „Der Gott der Philosophen“ (erschienen 1971/72) widerspricht dieser allen Versuchen, Gott substanzhaft zu denken. Gott oder das Göttliche seien lediglich das Vonwoher der Fraglichkeit bei der Suche nach dem Sinn menschlichen Lebens. Je tiefer man in diese Suche einsteige, umso mehr nehme auch die Fraglichkeit zu. Dies führe in letzter Konsequenz dazu, dass die Frage nach Gott offenbleiben müsse, letztlich nicht beantwortet werden könne.

Gott als die ewig offene Frage, Offenbarungen über ihn allenfalls als zu kurz greifende Versuche einer Annäherung an das faktisch Unbeweisbare und keinesfalls als maßgebende Autoritäten: Dogmatiker und Fundamentalisten aller Couleur sind auf dem Irrweg. Und deswegen ergibt es keinen Sinn, ihnen Zugeständnisse zu machen. Zum Beispiel die Tolerierung von auffallenden religiösen Symbolen in der Öffentlichkeit. Oder die Überbewertung des Weihnachtsfestes, dessen Wurzeln in Götzenverehrungen zur Wintersonnenwende und in einer Erzählung aus dem Lukas-Evangelium liegen, die zwischen den Jahren 85 bis 110 nach der Zeitenwende entstand und nicht als historischer Bericht gilt.

Foto:
Bonhoeffer-Statue an der Außenwand der Westminster-Abbey, London

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