Corona VirusArchaische Vorstellungen sind untauglich bei der Corona-Pandemie

Klaus Philipp Mertens

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Eine Frage aus einer  kleinen Redaktionsrunde an vier ausgewählte Autoren: "Also, uns geht es um Folgendes, was derzeit niemand, niemand, niemand ausspricht, weil vielleicht auch niemand daran denkt. Wir aber, die mit Religion nichts am Hute haben, denken daran schon lange: 'Würde ich,wenn ich christlich wäre, nicht die Pandemie immer als eine Strafe Gottes sehen? Die heutige Zeit ist doch aus den Fugen geraten und da läge eine so apokalyptische Interpretation doch nahe, die aber niemand öffentlich zum Thema macht. Nicht mal die Evangelikalen und auch nicht die Altkatholiken. Warum nicht?" Hier Antworten. Die Redaktion



Corona erschüttert die Welt. Doch wird sie daran untergehen? Droht gar ein Strafgericht Gottes, wie fundamentalistische Christen meinen?

Am ersten Tag des neuen Lockdowns, dem 16. Dezember, meldete das Robert-Koch-Institut 27.728 Neuinfizierte und 952 Tote. Einen Tag danach waren es weitere 26.923 Erkrankte und 698 Verstorbene. Solche Zahlen legen einen Vergleich mit den antiken Vorstellungen von einer Apokalypse nahe. Der aus dem Altgriechischen stammende Begriff bedeutet „Entschleierung“ oder „Enthüllung“. Die Gottheit selbst reißt einen Vorhang ein, hinter dem sich der göttlichen Plan einer Zeitenwende seit dem Beginn der Welt verbarg. Denn die Alte Welt ist an ihren vom Menschen selbst verschuldeten Lastern zerbrochen. Durch diese Urkatastrophe wird das endgültige Reich Gottes Wirklichkeit und die Schöpfung ist an ihrem Ziel angelangt: Die Menschen werden bei Gott sein und Gott bei den Menschen. In der „Offenbarung des Johannes“ aus dem späten ersten Jahrhundert n. Chr. heißt es: „Und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid, noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein; denn das Erste ist vergangen“ (Kapitel 21, Vers 4).

Selbst falls man diese Erzählungen ernst nimmt, sie für realistische Voraussagen einer künftigen Welt hält, kommt man nicht umhin, sich mit ihrer ursprünglichen (tatsächlichen) Bedeutung auseinanderzusetzen. Aber auch Skeptikern und Ungläubigen ist angeraten, sich mit ihren Aussagen zu beschäftigen. Schließlich zählen sie zu den weisheitlichen Erfahrungen der Antike, die unabdingbar auch zu unserer Kultur gehören.

Für die Juden war mit der Sintflut-Erzählung (Buch Genesis / 1. Buch Mose) die Epoche des strafenden Gottes vorbei. Der Gott Abrahams, Isaks und Jakobs gab deren Nachfahre Noah sein Wort, künftig nur noch ein gnädiger Gott sein zu wollen. Und er besiegelte seine Zusage mit dem Regenbogen. Solange dieser am Firmament erscheine, wäre dieser Neue Bund gültig. Es wird fortan keine Strafgerichte des Allmächtigen mehr geben. Die Menschen selbst haben ihr Schicksal in der Hand. Im Deuteronomium (5. Buch Mose, Kapitel 30, Vers 19) wird diese Eigenverantwortlichkeit des Menschen betont und gleichzeitig ein Gebot ausgesprochen: "Ich habe euch Leben und Tod, Segen und Fluch vorgelegt, damit du das Leben erwählst und am Leben bleibst, du und deine Nachkommen."

Die Christen haben diese Sicht übernommen. Das endzeitliche Gericht tritt durch Jesu Verkündigung, die sich im Horizont des Judentums bewegt, zurück. Lediglich im Evangelium des Johannes wird die Opfertod-Theologie der altgriechischen Göttervorstellungen neu belebt. Diese hat bei der Abfassung des christlichen Glaubensbekenntnisses, des Nicaeno-Konstantinopolitanums, eine wesentliche Rolle gespielt. Insbesondere bei der Rechtfertigung weltlicher Herrschaft gegenüber der Macht Gottes. Auch Luthers Zwei-Reiche-Lehre hat hier ihren Ursprung. Allerdings war die „Strafe Gottes“ selbst im Mittelalter lediglich ein rhetorisches Zuchtmittel der Kleriker zur Unterdrückung der theologisch ungebildeten Volksmasse.

Die Corona-Pandemie wird ausschließlich von Menschen übertragen, die den Übertragungsweg nicht kapieren und/oder grob fahrlässig (egoistisch) handeln. Die Erinnerung des Menschen an seine Eigenverantwortung, wie sie in Deuteronomium 30, Vers 19, zum Ausdruck kommt, erweist sich im aktuellen Bezug als äußerst konkret.
Deswegen plädiere ich dafür, dass die Verantwortungslosen, insbesondere die von Rechten instrumentalisierten, die Zeche bezahlen müssen. Kurzum: Die Kosten der Pandemie sollen AfD, Identitäre, Querdenker, Verschwörungsideologen und Impfgegner bezahlen. Dazu muss man sich gar nicht auf die Bibel berufen, sondern es reicht das Haftungsrecht des Bürgerlichen Gesetzbuchs aus („Wer schuldet, der haftet auch“; insbesondere § 276).

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