Jacques Ungar
Tel Aviv (Weltexpresso) - Alfred Hitchcock, der weltberühmte Altmeister des Thrillers, hätte wohl die größte Mühe bekundet, hätte man ihm die Aufgabe gestellt, dem Drama das sich am Montag in Jerusalem breit machte, wirkungsvoll Paroli zu bieten.
Nach den ersten Sondierungsgesprächen, die Präsident Reuven Rivlin am Montag mit Vertretern diverser Parteien im Hinblick auf die Vergabe der Aufgabe der Führung der Koalitionsgespräche erledigt hatte, musste er wohl oder übel einsehen, am Abend kaum gescheiter gewesen zu sein wie am Morgen zuvor. Parteichefs, die anfänglich keinen Hehl daraus gemacht hatten, diesen oder jenen Kandidaten vorzuziehen, machten kurz vor Ende der Beratungen eine Kehrtwende und zogen es vor, keinem der Politiker ihre Stimme zu geben.
Rivlin sah sich gezwungen einzugestehen, dass er auf diese Weise keinem der Parteien die Aufgabe der Regierungsbildung würde übertragen können. Das mag sehr wohl Zweckpessimismus gewesen sein, doch das war die Situation am Montagabend. Das kann sich in den nächsten Tagen durchaus noch ändern, doch das sind vorläufig kaum mehr als Spekulationen. Die inoffiziellen Kontakte gingen bis in die späten Stunden der Nacht vom Montag auf den Dienstag hinein, doch Zählbares war nicht zu melden.
Erbitterte Konkurrenz erhielt das Ringen um das erste Amt des Regierungsbildners erwartungsgemäss im Gerichtsgebäude, das kaum einen Steinwurf entfernt ist von der Präsidentenresidenz. Premier Binyamin Netanyahu hatte nämlich in dem gegen ihn laufenden Bestechungsprozess zum Beginn der Zeugenaussagen der Anklageseite auf Richterbeschluss persönlich zugegen zu sein. Er benutzte die Präsenz im Gerichtssaal und vor dem Gebäude dazu, aus seinem Herzen keine Mördergrube zu machen, sondern verbal aus dem Vollen zu schöpfen. So ließ er kein gutes Haar an einem ehemaligen führenden Mitarbeiter der Mediengesellschaft Walla, der in präzisen Worten darstellte, wie Netanyahu und zwei mit ihm angeklagte Ehepaare alles Mögliche getan hatten, um die Erzeugnisse dieses Verlages für die persönlichen Belange des Regierungschefs einzusetzen. Der Mann wird wahrscheinlich noch einige Wochen aussagen. Für Überraschungen dürfte also gesorgt sein.
Bekannte Journalisten waren in der Beurteilung des Gesehenen und Gehörten äußerst kritisch Netanyahu gegenüber. So meinte ein Experte, Netanyahus ungezügelte Angriffe gegen Staatsinstitutionen und Mitarbeiter hätten seinesgleichen in der israelischen Prozessgeschichte zu suchen. «Was will er?», fragte sich ein TV-Kommentator. «Hat er denn überhaupt kein historisches Verantwortungsbewusstsein?»
Am ersten Tag der Beweisführung der Anklage wurde massenweise scharfe Munition verschossen, doch steht zu glauben, dass die diesbezüglichen Schatullen und Säcke von Verteidigung und Anklage noch randvoll sind. Die Frage, ob Volk und Berichterstatter im Verlaufe des Montags in der Person von Binyamin Netanyahu tatsächlich den potentiellen Nachfolger von Reuven Rivlin im Amt des Staatspräsidenten erlebt hat (wie dies in Likud-Kreisen orakelt wurde), wollen wir an dieser Stelle nicht stellen und schon gar nicht versuchen, zu beantworten.
Foto:
Ein Polit-Drama, wie auch Israel es wohl noch nie erlebt hat.
Info:
Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 6. 4. 2021
Erbitterte Konkurrenz erhielt das Ringen um das erste Amt des Regierungsbildners erwartungsgemäss im Gerichtsgebäude, das kaum einen Steinwurf entfernt ist von der Präsidentenresidenz. Premier Binyamin Netanyahu hatte nämlich in dem gegen ihn laufenden Bestechungsprozess zum Beginn der Zeugenaussagen der Anklageseite auf Richterbeschluss persönlich zugegen zu sein. Er benutzte die Präsenz im Gerichtssaal und vor dem Gebäude dazu, aus seinem Herzen keine Mördergrube zu machen, sondern verbal aus dem Vollen zu schöpfen. So ließ er kein gutes Haar an einem ehemaligen führenden Mitarbeiter der Mediengesellschaft Walla, der in präzisen Worten darstellte, wie Netanyahu und zwei mit ihm angeklagte Ehepaare alles Mögliche getan hatten, um die Erzeugnisse dieses Verlages für die persönlichen Belange des Regierungschefs einzusetzen. Der Mann wird wahrscheinlich noch einige Wochen aussagen. Für Überraschungen dürfte also gesorgt sein.
Bekannte Journalisten waren in der Beurteilung des Gesehenen und Gehörten äußerst kritisch Netanyahu gegenüber. So meinte ein Experte, Netanyahus ungezügelte Angriffe gegen Staatsinstitutionen und Mitarbeiter hätten seinesgleichen in der israelischen Prozessgeschichte zu suchen. «Was will er?», fragte sich ein TV-Kommentator. «Hat er denn überhaupt kein historisches Verantwortungsbewusstsein?»
Am ersten Tag der Beweisführung der Anklage wurde massenweise scharfe Munition verschossen, doch steht zu glauben, dass die diesbezüglichen Schatullen und Säcke von Verteidigung und Anklage noch randvoll sind. Die Frage, ob Volk und Berichterstatter im Verlaufe des Montags in der Person von Binyamin Netanyahu tatsächlich den potentiellen Nachfolger von Reuven Rivlin im Amt des Staatspräsidenten erlebt hat (wie dies in Likud-Kreisen orakelt wurde), wollen wir an dieser Stelle nicht stellen und schon gar nicht versuchen, zu beantworten.
Foto:
Ein Polit-Drama, wie auch Israel es wohl noch nie erlebt hat.
Info:
Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 6. 4. 2021