Ein grünes Mäntelchen für den globalen Kapitalismus
Klaus Philipp Mertens
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Die Grünen haben ihre Kanzlerkandidatin für die Bundestagswahl nominiert: Annalena Baerbock. Und was passierte sonst noch?
Im März wurde ein Programmentwurf veröffentlicht. Er trägt den Titel „Deutschland. Alles ist drin“. Nach Einschätzung des Co-Vorsitzenden Robert Habeck sei das Papier eine Vitaminspritze für das Land. Und er erläuterte: „Wir wollen einen Aufschwung schaffen, der über das rein Ökonomische hinausgeht. Einen Aufschwung, der das ganze gesellschaftliche Leben in seiner Stärke und Vielfalt erfasst: Bildung und Kultur, Arbeit und Digitalisierung, Spitzenforschung und Wissenschaft.“ Die Kanzleraspirantin ergänzte: „Deutschland kann so viel mehr. Diese Dekade kann ein Jahrzehnt des mutigen Machens und des Gelingens werden. Ein Jahrzehnt des Modernisierens.“
Da stellt sich dem aufmerksamen Beobachter die Frage, warum denn die Regierungen der letzten 16 Jahre das nicht gemacht oder warum sie es nicht geschafft haben. Ganz zu schweigen von den rot-grünen Koalitionen der Jahre 1998 bis 2005. Denn solche Absichten hören sich doch gut an. Gibt es möglicherweise Widerstände, die man mit wohlklingenden Worten nicht brechen kann? Und wer widersteht dort? Und warum?
Eine indirekte Antwort könnte in dem Programmpunkt „Ein Ordnungsrahmen für eine sozial-ökologische Marktwirtschaft“ enthalten sein. Dort heißt es: „Wir müssen unsere Wirtschaft auf die Ziele der Klimaneutralität ausrichten und eine Kreislaufwirtschaft etablieren. Den wirtschaftlichen Aufbruch nach der Corona-Krise und die ökologische Modernisierung wollen wir zusammenbringen. Dazu braucht es eine sozial-ökologische Neubegründung unserer Marktwirtschaft.“
Wie aber richtet man die Wirtschaft auf Klimaneutralität aus? Welche Hebel müssten dazu umgelegt werden? Unternehmen wägen grundsätzlich Kosten und erwartbare Erträge gegeneinander ab. Dabei denken sie durchaus mittel- und langfristig. Wenn Innovationen durch Schulden finanziert werden müssen, damit die Liquidität sichergestellt bleibt, schreckt das einen praktischen Ökonomen nicht. Lediglich manche Politiker überfällt bei dem Gedanken an Schulden eine kleinkrämerische Angstneurose.
Firmen, vor allem große Konzerne, beschäftigen hingegen andere Sorgen. In einer kapitalistischen Wirtschaftsordnung wollen und müssen sie vorrangig an ihre Profitmargen, die Renditeforderungen der Aktionäre und Gesellschafter, die Alleinstellungsmerkmale ihrer Produkte, umfassende Bedarfsweckung bei den Konsumenten oder die Sicherung ihrer Vertriebswege denken. Auch ein sozial-ökologischer Wandel, so schön er im grünen Bilderbuch auch aussieht, muss sich rechnen. Selbst dann, falls der Staat mit Milliarden Euro die Bildung neuer Strukturen unterstützen sollte. Denn diese Gelder müssen aus Steuern und Abgaben finanziert werden. Dazu reichen die derzeitigen Einkünfte des Staates nicht aus. Ganz abgesehen davon, dass dieser auch die Kosten der Corona-Pandemie auf alle, auf Bürger und Gewerbetreibende, verteilen muss. Ein Wandel, der diesen Namen verdienen würde, wird zwangsläufig zu höheren Unternehmenssteuern und zu erhöhten Abgaben auf alles führen, was nicht ökologisch ist. Beispielsweise Plastikprodukte, Verbrennungsmotoren, Energie aus fossilen Quellen, Wegwerfprodukte oder exzessive Landwirtschaft. Ein „Schneller raus aus der Kohle“ reicht da nicht.
Pauschale Aussagen wie „Konsequent gegen Steuerhinterziehung und -vermeidung vorgehen“ und „Konzerne angemessen besteuern“ klingen bereits nach Vorhaben, deren Umsetzung nicht geplant ist. Weil andernfalls tatsächlich an den Grundfesten einer kapitalistischen Wirtschaft gerüttelt werden müsste.
Ein konsequent angegangener Wandel würde ebenso das Geflecht der sozialen Sicherung treffen, beispielsweise eine Bürgerkrankenversicherung für alle. Die wird zwar als Zukunftsprojekt erwähnt, doch zunächst sollen Privatkassen erlaubt bleiben. Lediglich die gröbsten Nachteile für gesetzlich Versicherte seien zu beseitigen. Etwa das Warten auf Facharzttermine oder die Zuzahlung zu Brillengestellen. Eine Bürgerversicherung würde jedoch die Einnahmen verbessern und sie ließe es zu, die Ausgaben gerechter und nach medizinischen Notwendigkeiten vorzunehmen. Stattdessen wird von einer kapitalgedeckten Altersvorsorge als sinnvoller Ergänzung der gesetzlichen Rente gefaselt. Ein indirekter Freibrief für das gegenwärtige Banken- und Finanzsystem, das „stabiler und nachhaltiger“ gemacht werden soll. Jetzt weiß man endgültig, was Grüne darunter verstehen.
Wie es leider zu erwarten war, fehlt jedes Wort über ein Verbot der Immobilienspekulation, über einen allenfalls zeitlich eng begrenzten Erwerb von Eigentum an Grund und Boden (Pacht auf 35 Jahre) und die Hinwendung zum ausschließlich gemeinnützigen Wohnungsbau. Damit keine falschen Hoffnungen aufkommen, lautet ein Programmpunkt: „Erwerb von Wohneigentum erleichtern“.
Bei der Vorstellung des Programms forderte Annalena Baerbock zwar, dass die Politik über sich hinauswachsen müsse. Über den dann notwendigen Mut zu unpopulären Maßnahmen sprach die sonst so eloquente Vorsitzende, die gern Regierungschefin werden möchte, jedoch nicht. Und selbst beim wiederholten Lesen des Papiers fand ich keinen Hinweis auf notwendige Steuererhöhungen oder die Schaffung gesetzlicher Rahmenbedingungen für den Umbau der Wirtschaft. Auch nicht im Kapitel „Wir fördern Unternehmergeist, Wettbewerb und Ideen“.
Richtigerweise sollte der Titel des Programms geändert werden in: „Deutschland. Alles bleibt so, wie es ist. Außer der Farbe.“ Denn tatsächlich reiht sich in diesem Heft Füllstoff an Füllstoff. Alles Dramaturgie, wie man am Theater sagt. Lediglich in einem Punkt ist man deutlich. Die Grünen gendern. Sie bedienen sich einer falschen Grammatik und Rechtschreibung, erfinden Begriffe, welche die Tatsachen nicht beschreiben, sondern in manipulativer Weise verklären. Diese Partei hat längst ihr Zenit erreicht, mittlerweile ist sie auf dem Marsch nach rückwärts.
Foto:
Annalena Baerbock, die Kanzlerkandidatin der Grünen
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Info:
Text © Klaus Philipp Mertens
Mertens & Medien, Non-Profit-Publikationen,
Frankfurt am Main 2021