Bildschirmfoto 2021 05 30 um 23.31.35Auch über das Wochenende stand das israelische Koalitionskarussell nicht still. Es steht vielmehr vor den entscheidenden Drehungen

Jacques Ungar

Tel Aviv (Weltexpresso) - Dass in Israel Politiker oft das offiziell arbeitsfreie Wochenende für die Vorbereitung wichtiger Entwicklungen und Beschlüsse benutzen, ist allgemein bekannt. Das galt offenbar auch für das letzte Wochenende im Rahmen der rapide sich ihrem Ende nähernden Koalitionsverhandlungen. So wie es jetzt aussieht, stellte Israel unmittelbar vor Torschluss die «Regierung des Wandels» auf die Beine. Erster Premierminister wird, wenn alles klappt, Naftali Bennett von Yamina sein. Vom September 2023 bis zum November 2025 wird dann Yair Lapid von «Jesch Atid» (Es gibt eine Hoffnung) die Regierungsgeschäfte leiten.

Ende gut, alles gut. So zumindest tönte es am Sonntagmorgen aus allen israelischen Publikationen rechts von der politischen Mitte: Naftali Bennett (Yamina) und Yair Lapid (Neue Hoffnung) war es kurz vor Ablauf der Frist in intensiven Verhandlungen, weitgehend hinter den Kulissen, offenbar gelungen, ein regierungsfähiges Regierungs-Team auf die Beine zu stellen.

Dessen Hauptvorteil beziehungsweise je nach Standort des jeweiligen Beobachters Hauptnachteil ist sein Auskommen ohne den bisherigen Premierminister Binyamin Netanyau und der Likud-Mitglieder auf der Ministerliste, die im Vergleich zur bisherigen deutlich schlanker ausfallen dürfte. Yair Lapid hat übrigens noch am Sonntag einen Vorschlag zur Einschließung des Likuds in die Koalition zurückgewiesen. Der Auftrag, den er von seiner Wählerschaft erhalten habe, bestehe aus der Bildung einer Regierung ohne Beteiligung von Netanyahu und des Likuds, sagte Lapid in seiner Antwort.

Wie die «Jerusalem Post» am Sonntag zu berichten wusste, hatte Bennett Lapid bereits am Freitag dahingehend informiert, dass er bereit sei, zusammen mit dem Oppositionschef eine «Regierung des Wandels» zu bilden. Man kam überein, dass Bennett bis September 2023 das Amt des Premiers versehen würde, während Lapid bis zum Ende seiner Kadenz im November 2025 folgen würde. Beide Seiten sind sich laut Presseberichten darüber im Klaren, dass trotz dieser grundsätzlichen Einigung noch gewisse Divergenzen offen stünden, die man aber im Laufe der Zeit ausräumen wolle. Nachdem man bis dahin eher im Zeitlupentempo vorwärts machte, scheint es jetzt zügig voranzugehen. So könnte die Vereidigungszeremonie des neuen Kabinetts in der Knesset bereits am Mittwoch stattfinden. Rein juristisch gesehen stünde Lapid dazu aber mehr Zeit zur Verfügung: Hat der Oppositionschef erst einmal Staatspräsident Reuven Rivlin davon informiert, dass er im Stande sei, eine Regierung zu bilden, hat er eine Frist von einer Woche, um in der Knesset die Vertrauensfrage zu stellen.

Bis es soweit ist, bleiben alle Beschlüsse, streng genommen, im Rahmen des Spekulativen. Das gilt auch für die Ämterverteilung. Laut israelischen Pressemitteilungen sehen die neuen Herren in der Jerusalemer Balfour-Strasse folgende Verteilung der wichtigsten Portefeuilles vor:
Premierminister: Naftali Bennett (Yamina), alternierender Premier/Aussenminister: Yair Lapid (Neue Hoffnung, Verteidigung: Benny Gantz (Blau-Weiss), Finanzen: Avigdor Lieberman (Israel Beiteinu), Justiz: Gideon Saar (Neue Hoffnung), Erziehung: Ifat Shasha-Biton (Neue Hoffnung), Inneres: Ayelet Shaked (Yamina. Die Kampfgefährtin von Bennett hätte sich sicher etwas originelleres vorgestellt, musste aber offensichtlich dem Koalitionsringen und der vielleicht sturen Treue zu ihren ideologischen Prinzipien nachgeben. Die Alternative wäre wohl das Abwandern in die Opposition gewesen). Transportwesen (Meraw Michaeli, Arbeitspartei.

Für die Arbeitschefin sicher ein Achtungserfolg, der durch die Tatsache noch aufgewertet wird, dass die Vorgängerin im Amt  die einst allgewaltige Miri Regev gewesen ist. Gesundheit (Nitzan Horowitz, Meretz). Interne Sicherheit (Omar Bar-Lev, Arbeit), Umweltschutz (Tamar Zandberg, Meretz), Wirtschaft (Abir Kara, Yamina), Bau und Wohnungswesen (Zeev Elkin (Neue Hoffnung), Kommunikation (Yoaz Hendel, Neue Hoffnung), Religiöse Angelegenheiten (Matan Kahana, Yamina), Kultur und Sport (Chili Tropper, Bauweiss), Landwirtschaft und ländliche Entwicklung (Alon Schuster, Blauweiss), Regional-Kooperation (Esawi Frej, Meretz), Diaspora (Emilie Moatti oder Gilead Kariv, beide Arbeit), Wohlfahrt (entweder ein Minister von Blauweiss oder von Israel Beiteinu), Immigration, (entweder ein Minister von Blauweiss oder Israel Beiteinu). Tourismus (Minister von «Es gibt Hoffnung»), Energie (Minister von Es gibt Hoffnung), Wissenschaft und Technologie (Minister von Es gibt Hoffnung), Jerusalem-Angelegenheiten (Es gibt Hoffnung), Knessetsprecher (Meir Cohen, Es gibt Hoffnung), Finanzkommission, Vorsitz (Oded Forrer, Israel Beiteinu).

Nicht vorgesehen sind in der neuen Regierung folgende Portefeuilles: Strategische Angelegenheiten, Geheimdienste, Gemeinde-Entwicklung, Cyber, Höheres Erziehungswesen und Wasser.

Foto:
Natftali Bennett (links) und Yair Lapid.

Info:
Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 31. 5. 2021