stern mit hammer u sichel kultiges sowjetsymbol top motiv fuer russische t shirts und als autoaufkleberZum Überfall auf die Sowjetunion vor 80 Jahren 

Kurt Nelhiebel

Bremen (Weltexpresso) – In Erinnerung geblieben ist mir die propagandistische Begleitmusik am ersten Tag des Überfalls auf die Sowjetunion.  Ich war damals 14 Jahre und verfolgte das Geschehen mit Skepsis. Mein Vater gehörte zu den Nazigegnern der ersten Stunden und hatte mich darauf vorbereitet, was auf uns zukommt.

Die Sowjetunion, so tönte es damals aus den Lautsprechern der Radios,  sei ein Koloss auf tönernen Füßen, der unter den Schlägen der siegreichen deutschen Truppen schnell zusammenbrechen werde. Unsere Heimat gehörte sei 1938 zum Deutschen Reich und die deutschen Bewohner waren längst nicht mehr so von Hitler begeistert, wie das zu Beginn der Fall gewesen ist. Schon ein Jahr nach dem so genannten Anschluss des Sudetenlandes wurden die wehrfähigen Männer als Soldaten in  den Krieg geschickt. Unter Ihnen war auch der Vater meines Freundes Oswald. Er hat die schlimmsten Schlachten des Zweiten Weltkrieges als  Infanterist an vorderster Front mitgemacht. Auch den als Ostfeldzug verharmlosten Raub- und Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion.

Da fiel selbst für den letzten Landser etwas ab, womit er die Lieben daheim beglücken konnte. Oswalds Vater hatte einem in deutsche Gefangenschaft geratenen sowjetischen Soldaten das Fernglas abgenommen. Da Feldpostpäcken ein bestimmtes Gewicht nicht überschreiten durften, zerlegte er es in zwei Teile, die mein Freund zu Hause wieder zusammenschraubte. In der Mitte des Fernglases prangte ein Sowjetstern mit Hammer und Sichel, Von Stunde an begleitete  uns das Beutestück auf den Streifzügen  durch die nähere Heimat. Wir beobachteten damit das Wild im Wald und die kreisenden Bussarde am Himmel. Über den ehemaligen Besitzer und die Umstände, unter denen es in unsere Hände gelangt war, machten wir uns keine Gedanken.

Mein eigener Vater, dem der Militärdienst wegen seiner Sehschwäche erspart blieb, arbeitete als administrative Hilfskraft bei einer Baufirma, der im Laufe des Krieges auch sowjetische Kriegsgefangene als Zwangsarbeiter bei Regulierungsarbeiten an der Elbe zur Verfügung gestellt wurden. Seine Kontakte zum tschechischen Widerstand ermöglichten es ihm, die Lebensmittelrationen für die Gefangenen immer wieder aufzubessern. Ihn beeindruckte es, mit welcher Andacht die Zwangsarbeiter aus dem fernen Russland sich der mageren Kohlsuppe hingaben. Bevor sie den Löffel in das Essen tauchten, hätten sie ihre Käppi abgenommen und sich bekreuzigt.

Mir ist das deshalb so in Erinnerung geblieben, weil ich mich fragte, warum junge  Menschen aus einem „gottlosen“ kommunistischen Land diese religiöse Geste für so selbstverständlich hielten. Waren sie etwa doch nicht so brutal indoktriniert worden, wie alle Welt damals anzunehmen schien?  Oder hatten sie den Glauben an ein höheres Wesen  mit der Muttermilch aufgenommen, deren Wirkung bekanntlich ein Leben lang anhält?  Heute frage ich mich, wie es kommt,  dass die beiden Begebenheiten nach so langer Zeit aus dem Dunkel der Vergangenheit auftauchen. Hat es vielleicht damit zu tun, dass wir  alle etwas Böses und etwas Gutes mit uns herumtragen? „Zwei Seelen wohnen, ach, in meiner Brust“, lässt Goethe seinen Doktor Faustus sagen.

Hier ist nicht der Platz, darüber nachzusinnen. Es genügt ja, sich am 22. Juni  daran zu erinnern, welches Leid  der Zweite Weltkrieges  für Millionen Menschen heraufbeschworen hat und wohin es wieder führen, kann, wenn der schwelende Hass auf Russland nicht endlich überwunden wird.

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