DIE LINKE hilftStellen die LINKEN die richtigen Fragen? Und haben sie überzeugende Antworten?

Juliane Schätze

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Auf dem Wahlparteitag der Partei „Die Linke“ am 19. und 20. Juni 2021 in Berlin wurde über das Programm für die Bundestagswahl am 26. September 2021 debattiert.

Und parallel dazu über das Erscheinungsbild der Partei. Denn die Umfragen zeigen einen deutlichen Abwärtstrend, sowohl in ihren Kerngebieten in Ostdeutschland als auch im Westen. Die LINKE vermittelt der Öffentlichkeit seit über einem Jahr zunehmend den Eindruck, innerlich zerstritten zu sein, ja, sich sogar zu zerfleischen. Selbst die ihr Wohlgesonnenen sehen sie unmittelbar am Abgrund stehen und Gefahr laufen, in der Bedeutungslosigkeit zu versinken. Konkret: Die Fünf-Prozent-Hürde für den Einzug in den Bundestag nicht überwinden zu können.

Streit wie der um Sahra Wagenknecht und deren, als Buch vorgebrachten Attacken gegen die sogenannte „Lifestyle-Linke“ in der Partei, die Forderung nach ihrem Parteiausschluss und die Empfehlung Oskar Lafontaines, den Spitzenkandidaten der Saarland-Linke nicht zu wählen, verunsichern Stammwähler und Sympathisanten und erst recht die zu anderen Parteien Abgewanderten.

Sowohl die Partei- und Fraktionsspitze als auch die anwesenden sowie digital zugeschalteten Delegierten zeigten sich diszipliniert. Es gab kein Drumherum- und Schönreden, sondern die konsequente und strikte Aufforderung zur Geschlossenheit. Die Co-Parteivorsitzende Susanne Hennig-Wellsow hatte zuvor Oskar Lafontaine besucht und zu vermitteln versucht. Ihr gegenüber erklärte Lafontaine, der Vorsitzender der Linksfraktion im saarländischen Landtag ist, die Probleme im Saarland als einen „Sonderfall“. Denn gegen den Linken-Landesvorsitzenden und vorgeschlagenen Spitzenkandidaten Thomas Lutze ermittele die Staatsanwaltschaft Saarbrücken. Es sei in dieser Situation undenkbar, dass er gewählt würde und die Partei vertrete.

Einigkeit herrschte in allen Strömungen, dass der Wiedereinzug in den Bundestag Vorstand und Mitgliedern eine große, bislang kaum dagewesene Anstrengung abfordere. Die Differenzen mit Sahra Wagenknecht spielten in den Diskussionen keine Rolle mehr und galten als ausgeräumt. Zumindest nach außen erweckte die LINKE den Eindruck, wieder fester geschlossen zu sein. Das Parteitagsmotto „Sozial und klimagerecht. Jetzt!“ wirkte zwar nicht sehr originell, aber es scheint derzeit auf der Linie sozialistischer und sozialdemokratischer Parteien zu liegen.

Das mit knapp 88 Prozent beschlossene Wahlprogramm versucht diese Linie im Detail aufzulösen und sie gleichzeitig mit der zentralen Botschaft zu verbinden, nämlich, dass die LINKE gebraucht werde. Ob sie mit der Formulierung ihrer Forderungen jedoch durchweg eine glückliche Hand hatte, sei dahingestellt. Ob sie tatsächlich die Interessen relevanter Teile der Bevölkerung im künftigen Bundestag vertreten kann, wird von einer realistischen Zielgruppendefinition abhängen. Die Schlagworte, die der Co-Fraktionsvorsitzende Dietmar Bartsch in den Raum warf, wirken eher holzschnittartig und stellenweise oberflächlich. Zwar ist Klimapolitik, konkret das Erreichen der Klimaneutralität bis 2035, eine Klassenfrage, genauer gesagt eine, die den Kapitalismus infragestellt, aber sie darf nicht auf zu schlichte Lösungen reduziert werden. Synthetisch konstruierte Gegensätze wie den zwischen „Polofahrern und Tesla-Jüngern“ werden bei den Nachdenklichen nicht verfangen. Die SPD hat diese Gruppe bereits zu großen Teilen verloren. Die LINKE sollte den Irrtum nicht kopieren.

Karl Marx würde vermutlich weinen, erführe er von Dietmar Bartschs Kurs gegen Reiche und Mächtige. Denn es müsste nach den Erkenntnissen des großen roten Urgroßvaters den Sozialisten und Kommunisten vorrangig darum gehen, die im Kapitalismus herrschenden Strukturen zu verändern, die zu Ausbeutung von Mensch und Natur, Ungerechtigkeit und Wohlstand zu Lasten anderer sowie zu nicht kontrollierbarer Herrschaft einschließlich Kriegen führen. Die Reichen sind beispielsweise auch deswegen reich, weil zu viele Normalverdiener Waren bei Amazon oder Zalando kaufen oder dem Datenkraken Google vertrauen, trotz gut funktionierender Alternativen. Oder weil sie kurzlebige Produkte erstehen, die in der Summe teurer sind als langlebige und nachhaltig hergestellte.

Friedrich Engels konstatierte einst (im sogenannten „Anti-Dühring“) mit Blick auf die Volkswirtschaften Englands, Deutschlands, Frankreichs und der USA, dass die kapitalistische Gesellschaft vom mangelhaften Bewusstsein der an ihr Beteiligten lebe. Diese Erkenntnis eignete sich als Prolegomenon eines realistischen linken Wahlprogramms. Doch noch sucht man es dort vergeblich.

Fazit: Die LINKE ist zwar willig, aber sie steht sich an vielen Ecken noch selbst im Weg.

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Plakat „Die Linke hilft“
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