Gerichtliches BetreuungsverfahrenDemokraten bleiben vor Gericht in der Regel allein –Neonazis triumphieren

Kurt Nelhiebel

Bremen (Weltexpresso) – Sieben Jahre hat es gedauert, bis die Justiz ein Urteil zum Überfall von Rechtsradikalen auf eine Kirmesgesellschaft im thüringischen Ballstädt gefällt hat; zwei Beschuldigte erhielten geringe Freiheitsstrafen auf Bewährung, gegen zwei andere war das Verfahren eingestellt worden.

Das spricht nicht von einem sonderlichen Interesse der Justiz an der Ahndung von  Straftaten. Was ihr Verhalten zum öffentlichen Skandal macht sind die Absprachen  mit den Angeklagten. Die Staatsanwaltschaft hatte ihnen versprochen, dass sie bei einem Geständnis mir geringen Strafen auf Bewährung rechnen könnten. Der thüringische SPD-Landtagsabgeordnete Denny Müller sagte dazu, juristisch möge alles seine Ordnung haben, gesellschaftlich sei die Signalwirkung aber katastrophal.

Wie so oft hat auch in diesem Fall der Bundesgerichtshof die Weichen in die falsche Richtung gestellt. Er hatte vor einem Jahr das ursprüngliche Urteil, das längere Haftstrafen ohne Bewährung vorsah, aufgehoben, weil seiner Meinung nach die Beweise  nicht gereicht hätten.

So kam es zu dem Deal mit den Angeklagten, der die Sache beschleunigen sollte, in der Öffentlichkeit aber auf wenig Verständnis stieß.

Das veranlasste  jetzt die Vorsitzende Richterin Rathemacher bei der Urteilsverkündung zu einer Strafpredigt, in der sie unter anderen den Medien „Stimmungsmache gegen die Justiz“ vorwarf. Der Überfall habe zwar stattgefunden, sei aber nicht motiviert politisch gewesen. An die Kritiker gerichtet sagte sie, einigen sei hier der innere Kompass verloren gegangen.  Wer den Rechtsstaat angreife, müsse seinen Standpunkt  zur Haltung gegenüber dem freiheitlich-demokratischen System hinterfragen.

Mit anderen Worten: Wer die Justiz wegen allzu großer Milde gegenüber Neonanzis kritisiert, setzte sich dem Verdacht aus, die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu untergraben.  Andersherum wird ein Schuh daraus. Wer den demokratischen Rechtsstaat und seine Bürger im Kampf gegen Rechtsextremismus und Rassismus allein lässt, ermutigt die rechten Feinde der Demokratie zur Fortsetzung ihres Tuns. Die Justiz allein ist nicht der Rechtsstaat, sondern  ein Teil von ihm.

Der Fall Ballstädt ist nur ein Beispiel von vielen anderen.  1984 hob der Bundesgerichtshof das Urteil gegen einen Mann auf,  der Parolen wie „Ausländer raus“ und „Türken raus“ an die Wände gesprüht hatte und deswegen zu 26 Monaten Haft verurteilt worden war. Das sei keine Volksverhetzung. Bei der Parole „Juden raus“ liege das auf der Hand, aber das lasse sich nicht ohne weiteres auf andere Äußerungen übertragen, bei denen allgemein bekannte Erfahrungen fehlten. (3 StR – 36/84). Als der hessische Generalstaatsanwalt Fritz Bauer Beteiligte an den Massenmorden von Auschwitz wegen Mittäterschaft zur Verantwortung ziehen wollte, scheiterte er damit am Bundesgerichtshof, der in jedem Einzelfall einen Tatnachweis verlangte. Erst Jahre später wurde dieses Fehlurteil im Fall Demjanjuk halbwegs korrigiert.

Der Sprecher der Beratungsstelle für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt in Thüringen, Frank Zobel,  sagte nach dem Ballstädter Urteil, weder die unmittelbar Betroffenen noch diejenigen, die gegen die bestens organisierte Neonazi-Szene und ihre rechtsterroristischen Strukturen vorgehen wollen, könnten sich auf die Thüringer Justiz  verlassen. Den Ego-Trip vermutete Sigmund Freud bei Menschen, die durch unsoziales bis aggressives oder zerstörerisches Verhalten geprägt sind. Dass auch Institutionen von niederen Trieben befallen sein können, war ihm wahrscheinlich nicht bewusst.

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Weinende Justizia
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