Conrad Taler
Bremen (Weltexpresso) - Selten hat man Eroberer so gelassen in die Hauptstadt eines Landes einziehen sehen. Als kämen sie auf einen Sprung zu einem Einlauf vorbei, so bewegten sich die Taliban durch die Straßen von Kabul. Zur selben Zeit machte sich das Personal der amerikanischen Botschaft auf und davon.
Mit der „Mutter aller Bomben“ waren die USA ihren Gegnern noch im April 2017 zu Leibe gerückt. Etwa 20 Tonnen des herkömmlichen Sprengstoffs TNT wendeten sie auf, um ein Tunnelsystem zur zerstören und 36 mutmaßliche Terroristen zu töten. Großen Eindruck hat das nicht gemacht. Vier Jahre später musste sich die stärkste Militärmacht der Welt einer Religion geschlagen geben, die unter dem Sammelbegriff Islam die Welt in Atem hält.
Im Vietnamkrieg hatten sie es noch mit einer politischen Idee zu tun, dem Kommunismus. Auch dort standen ihnen schlecht bewaffnete Kämpfer gegenüber, die zwar aus dem benachbarten China Unterstützung erhielten, die mühsame Last der alltäglichen Kämpfe im Dschungel aber letztlich allein tragen mussten Auch dort endete der Krieg mit einem für die USA demütigenden Ende. Wie jetzt in Kabul flüchteten die letzten Amerikaner per Hubschrauber aus der südvietnamesischen Hauptstadt Saigon.
Hat die westliche Führungsmacht Lehren aus der damaligen Niederlage gezogen? Hat sie ihren Einfluss geltend gemacht, um Freunde und politische Gegner von der Sinnlosigkeit des Wettrüstens zu überzeugen? Nicht einmal der Zusammenbruch des sowjetischen Weltreiches, der nicht das Ergebnis der militärischen Stärke des Westens, sondern der eigenen Schwäche war, führte zu einem Umdenken. Nach wie vor lassen sich die Staatenlenker von dem Irrglauben leiten, ohne militärische Stärke nichts bewirken zu können.
Die anfängliche Zusage der deutschen Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer, nach dem Scheitern der Afghanistanmission müssten auch andere Auslandseinsätze überprüft werden, wird schnell in Vergessenheit geraten. Dazu müsste sich die Bundesrepublik mit Frankreich überwerfen, das in Mali nach dem begehrten Uran für seine Atomwaffen und seine Atommeiler schürft. Die uneingeschränkte Solidarität, die der Sozialdemokrat Gerhard Schröder als Bundeskanzler im Falle Afghanistan den USA gegenüber gelobte, wird die Christdemokratin Kramp-Karrenbauer der Regierung in Paris nicht vorenthalten können.
Was die USA bewogen hat, Afghanistan militärisch ungeschlagen zu verlassen, werden wir so schnell nicht erfahren. Dass die bis vor kurzem amtierende afghanische Regierung ein Marionettenregimes von Washingtons Gnaden war, konnte niemand übersehen. Ihr jetzt die Schuld an dem Desaster zuzuschieben ist unredlich. Auch die afghanischen Streitkräfte tragen nicht die Hauptschuld. Wer Augen hatte zu sehen, dem blieb nicht verborgen, dass die USA längst mit den Taliban unter einer Decke steckten. Zusammen mit ihnen haben sie die Pflöcke für die nächste Zukunft eingeschlagen. Alles andere ergibt keinen Sinn. Die Drogenbosse werden es ihnen danken, wenn sie demnächst zum Einkauf durch die Straßen Kabuls schlendern oder sich gerade in Las Vegas amüsieren.
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Abkommen mit Afghanistan: US Truppenabzug
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