Bundeskanzleramt swDas neue Bundeskabinett zwischen fachlicher (Nicht-) Eignung und biologistischem Proporz

Klaus Philipp Mertens

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Die Kabinettslisten von SPD, Grünen und FDP werfen Fragen auf über die Eignungskriterien für Regierungsämter.

Die SPD hat am 6. Dezember, dem Tag des Nikólaos, ihre Kabinettsmitglieder vorgestellt. Einmal abgesehen vom künftigen Gesundheitsminister Karl Lauterbach, dem allgemein anerkannten Epidemiologen und Corona-Experten, rufen andere Besetzungen eher Skepsis hervor. Zumindest dann, wenn man fachliche Kompetenz als Maßstab setzt. Und nicht die Zugehörigkeit zu einem Landesverband, einem Geschlecht, einer sexuellen Orientierung oder einer Hautfarbe.

So soll die bisherige Justizministerin Christine Lambrecht Verteidigungsministerin werden. Insbesondere ihre Äußerungen zur Verfassungsmäßigkeit der Corona-Schutzverordnungen fielen negativ auf. Ihr Freiheitsbegriff ähnelte dem der FDP, die damit vor dem Bundesverfassungsgericht scheiterte. Jetzt avanciert sie zur Oberkommandierenden der Bundeswehr (in Friedenszeiten). Das sagt viel über den Stellenwert dieses Ministeriums aus. Und zu wenig über Friedenspolitik, insbesondere über Abrüstung, Auslandseinsätze und internationale Deeskalation.

Hessens SPD-Chefin Nancy Faeser ist für das Amt der Innenministerin vorgesehen. Besondere Akzente hat sie als Vorsitzende der SPD-Landtagsfraktion in Wiesbaden in diesem Bereich nicht gesetzt. Der aalglatte und umstrittene hessische Innenminister Peter Beuth (CDU) konnte ihr trotz seiner Skandale stets entkommen.

Mit Klara Geywitz befördert der künftige Kanzler eine Politikerin, mit der er sich vor zwei Jahren gemeinsam, aber erfolglos, um den Parteivorsitz bewarb. Sie wird Bundesministerin für Bauen und Wohnen. Was sie außer dem gemeinsamen Scheitern sonst noch für diese Position qualifiziert, bleibt bislang verborgen.
Svenja Schulze, bislang Umweltministerin ohne besonders glückliche Hand, übernimmt das Entwicklungshilfeministerium. In diesem konnte Gerd Müller (CSU) Zeichen im Rahmen des Möglichen setzen. Die engen Grenzen des Handelns wurden ihm durch das Kabinett Merkel-Scholz gezogen. In der Welt draußen waren Herausforderungen und Erwartungen hingegen riesig. Er hat diese gesehen und den Benachteiligten seine Stimme gegeben.

Arbeitsminister Hubertus Heil wird im Amt bleiben. Darin hatte er sich erkennbar für den Mindestlohn stark gemacht, um eine besonders gravierende Folge von Gerhard Schröders Arbeitsmarktreformen zu reparieren, die er aber prinzipiell nicht infrage stellt.

Mit der Position des Kanzleramtsministers wird Scholz‘ Vertrauter Wolfgang Schmidt belohnt. Er war im Finanzministerium als Staatssekretär die Stimme seines Herrn, die anscheinend auch angesichts von Cum-Ex und Wirecard nicht laut wurde.

Die FDP kann Schlüsselministerien besetzen wie das der Finanzen (Christian Lindner), des Verkehrs (Volker Wissing), der Justiz (Marco Buschmann) und der Bildung (Bettina Stark-Watzinger). Ministerin und Minister befürworten nach allem, was man bisher über sie weiß, den Vorrang privatwirtschaftlicher Interessen gegenüber gemeinwirtschaftlichen. Lindner vertritt die Klientel der Steuervermeider, Wissing den Raum und Ressourcen verbrauchenden Individualverkehr. Buschmann plädiert für eine Rechtsauffassung, die das formale Recht konserviert und die Rechtswirklichkeit einschließlich notwendiger Gesetzkorrekturen vernachlässigt. Dies wurde besonders deutlich bei der Verfassungsbeschwerde gegen die Bundesnotbremse bei der Corona-Pandemie. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung dagegen betont, dass Freiheit kein absoluter Begriff sein kann und immer im Kontext von Menschenwürde und dem Recht auf Leben und Gesundheit zu verstehen ist.

Für Frau Stark-Watzinger bedeutet Bildung nicht Teilhabe aller am gesellschaftlichen Entwicklungsprozess, sondern eine Art Karriereprogramm, das frühzeitig in sämtliche Bildungseinrichtungen implementiert werden soll. Wer von dieser hierarchischen Hühnerleiter herunterfällt, hat seine Chancen vertan. So wird Bildung zum marktwirtschaftlichen Regulativ menschlicher Emanzipation. Freiheit á la FDP ist die Freiheit zum Tode (z.B. die Tolerierung der Impfgegner) und die Freiheit zum sozialen Abstieg (weil die unterschiedlichen Ausgangspositionen eine Chancengleichheit verhindern).

Die Grünen haben sich das neu geschaffene Wirtschafts- und Klimaministerium gesichert. Robert Habeck, der auch Vizekanzler wird, soll es übernehmen. Er verfügt über vergleichbare Erfahrungen als Minister für Energiewende, Landwirtschaft und Umwelt in Schleswig-Holstein (2012 bis 2018), wo er auch stellvertretender Ministerpräsident war. Habeck neigt dazu, mit sich selbst zu kollidieren. Er sagt manches anders, als er es gemeint hat. Ob er in solchen Fällen von seinen schriftstellerischen Eingebungen überrollt wird, ist unklar. Möglicherweise sind solche Eskapaden auch Symptome einer Selbstüberschätzung oder der Fehleinschätzung von Realitäten.

In geradezu naiver Weise vertraut die Partei das Außenministerium einer Dilettantin an, nämlich Annalena Baerbock. Wer ihr während des Wahlkampfes genau zugehört hat, wird sich über ihre sprachliche Unbeholfenheit gewundert haben. Sie erweckte den Anschein, Aufgaben und Probleme nicht zu durchdenken und Sachlagen vorschnell zu bewerten. Am Ende führte das zu Phrasen, die peinlich waren. Der künftigen Chefdiplomatin möchte man ein intellektuelleres Instrumentarium wünschen.

Der für das Ernährungs- und Landwirtschaftsministerium vorgesehene Cem Özdemir ist zwar ein politischer Profi, aber für dieses Amt wäre objektiv Anton Hofreiter besser geeignet. Doch er wurde offenbar dem Proporz geopfert.

Die künftige Familienministerin Anne Spiegel verfügt über entsprechende Erfahrungen in der rheinland-pfälzischen Landesregierung. Steffi Lemke, die das Umweltministerium leiten wird, kann auf eine breite politische Erfahrung verweisen. Sie war 1989 Mitbegründerin der Grünen in der DDR. Über den Kulturbegriff von Kulturstaatsministerin Claudia Roth wird möglicherweise bald und dann sehr häufig gestritten werden.

Dem Kabinett Scholz werden neun Männer und neun Frauen angehören. Das wirkt auf den ersten Blick ausgewogen. Doch angesichts der Vorabqualifikationen mehrerer Mitglieder sind Zweifel erlaubt. Theoretisch hätte es qualitativ bessere Besetzungen geben können. Vor allem, wenn man den Fortschritt wagen will. Ein ähnlich großes Hindernis für eine erfolgreiche Arbeit sind jedoch die inhaltlichen Unterschiede zwischen den Parteien, auch wenn diese zurzeit kosmetisch übermalt werden. Bereits das Stolpern bei den gebotenen, aber nicht vollständig umgesetzten Corona-Maßnahmen wirkte ernüchternd.

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