GEWINNER & VERLIERER

Klaus Jürgen Schmidt

Norddeutschland (Weltexpresso) – Bald nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs traten die Gegensätze zwischen den ehemaligen Teilnehmermächten der Anti-Hitler-Koalition – dem Vereinigten Königreich (Großbritannien), Frankreich und den U.S.A. auf der einen und der UdSSR auf der anderen Seite – zutage.
Durch die Unterzeichnung der Pariser Verträge am 23. Oktober 1954 im Zuge der Westintegration der Bundesrepublik Deutschland wurde diese zum NATO-Beitritt eingeladen. Am 6. Mai 1955 trat sie dem westlichen Militärbündnis bei.

> NATO & FOLGEN

Am 16. März 1955 kündigte US-Präsident Dwight D. Eisenhower für den Kriegsfall den Einsatz taktischer Nuklearwaffen gegen militärische Ziele an. Am 13. März 1957 gab das U.S.-Hauptquartier in der Bundesrepublik bekannt, die U.S.-Streitkräfte mit Kernwaffen auszurüsten. Als Reaktion unterbreitete der polnische Außenminister Adam Rapacki der UN-Vollversammlung den Rapacki-Plan, der die Bildung einer atomwaffenfreien Zone vorsah, welche die Volksrepublik Polen, die Bundesrepublik Deutschland und die Deutsche Demokratische Republik umfassen sollte, später um die Tschechoslowakei erweitert.

Am 23. Mai 1957 beschloss der Nordatlantikrat die von den USA entwickelte Nuklearstrategie der „Massiven Vergeltung“. Die U.S.A. starteten am 30. Januar 1961 erstmals eine Interkontinentalrakete (ICBM) vom Typ Minuteman aus einem verbunkerten Silo. Mit der darauf folgenden Stationierung von sowjetischen Mittelstreckenraketen auf Kuba kam es im Oktober 1962 zur Kubakrise. Niemals zuvor war ein Atomkrieg so wahrscheinlich gewesen wie zu diesem Zeitpunkt.

Bis in die 1960er Jahre hinein war das westliche Bündnis seinem Kontrahenten klar überlegen, was atomare Sprengköpfe und Trägermittel anbelangte. Offiziell galt die Strategie der massiven Vergeltung: Als Antwort auch auf einen konventionellen Angriff sah die NATO den sofortigen und umfassenden Einsatz von Kernwaffen gegen die UdSSR und den Warschauer Pakt vor. Allerdings änderte der starke Ausbau des sowjetischen nuklearstrategischen Potentials seit Anfang der 1960er die Lage.

> WARSCHAUER PAKT & FOLGEN

Wegen des NATO-Beitritts der Bundesrepublik Deutschland war am 14. Mai 1955 der Warschauer Pakt gegründet worden. Er war ein von 1955 bis 1991 bestehender militärischer Beistandspakt des sogenannten Ostblocks unter der Führung der Sowjetunion. Der Warschauer Pakt bildete im Kalten Krieg das Gegenstück zum U.S.-amerikanisch geprägten NATO-Bündnis.

Am 21. August 1968 erfolgte der Einmarsch von Truppen des Warschauer Pakts in die Tschechoslowakei und beendete den „Prager Frühling“. Am 12. November 1968 verkündete der sowjetische Staats- und Parteichef Leonid Breschnew die Breschnew-Doktrin über die begrenzte Souveränität sozialistischer Staaten.

Das politische und ideologische System der Sowjetunion blieb als Folge immenser Rüstungskosten extrem geschwächt zurück und musste sich schließlich in der Gorbatschow-Ära auf eine Neuordnung Europas einlassen, die ausschließlich von den Interessen des U.S.A.-geführten Politik- und Wirtschafts-Eliten bestimmt war und mit dem Abzug aller russischen Truppen hinter die eigenen Grenzen endete.

Mit dem Fall des Eisernen Vorhangs erodierten die Strukturen des Warschauer Paktes zunehmend, woraufhin sich dieser 1991 offiziell auflöste.

> NATO & FOLGEN

Am 1. Oktober 1970 tagte erstmals die Euro-Group, die europäische Gruppe von NATO-Mitgliedstaaten in Brüssel, und beriet über den Lastenausgleich für die U.S.-Stationierungen in Europa. Am 2. Dezember 1970 verabschiedete die Euro-Group ein „Programm zur Verbesserung der Verteidigung“ bis 1975 und Kosten im Umfang von 420 Millionen US-Dollar, wobei die Bundesrepublik Deutschland rund 40 % übernahm.

Am 1. August 1975 wurde die KSZE-Schlussakte unterzeichnet, die einen ersten echten Schritt zu partnerschaftlicher und friedlicher Zusammenarbeit in Europa darstellte.

Am 28. Oktober 1977 hielt Bundeskanzler Helmut Schmidt vor dem Internationalen Institut für Strategische Studien in London eine Rede und betonte die wachsende Disparität im Bereich der Mittelstreckenraketen bei gleichzeitiger nuklear-strategischer Parität zwischen den Supermächten.

Der folgende NATO-Doppelbeschluss aus dem Jahre 1979 ist bis heute umstritten, denn die Nachrüstung von Mittelstreckenraketen in Europa und das gleichzeitige Verhandlungsangebot an die UdSSR führten nicht sofort zur erhofften Entspannung. Der Doppelbeschluss wurde von Friedensaktivisten in ganz Europa während ihrer Ostermärsche scharf kritisiert. Ob diese erneute Verschärfung des Wettrüstens den Zusammenbruch des Ostblocks mit verursacht hat, oder ob diese Länder ohnehin vor dem wirtschaftlichen Kollaps standen, ist bis heute umstritten.

Zu den folgenden „neuen Ideen“ zählt die 1992 vereinbarte Bereitschaft der NATO zu „Out-of-Area“-Einsätzen. Nach Ermächtigung durch den UN-Sicherheitsrat oder der OSZE sind nun auch Einsätze außerhalb des NATO-Territoriums möglich. Folge dieses Beschlusses waren die aktiven Kriegseinsätze der NATO mit den Luftangriffen gegen Jugoslawien während des Kosovokrieges. Dieser Vorgang wird kritisiert, denn weder wurde ein Mitgliedstaat der NATO angegriffen, noch gab es eine Ermächtigung des UN-Sicherheitsrates.

Auf dem NATO-Gipfel in Madrid 1997 am 8. und 9. Juli 1997 war Polen, Ungarn und Tschechien ein NATO-Beitritt angeboten und mit der Ukraine eine NATO-Ukraine-Charta über eine „besondere Partnerschaft“ vereinbart worden. Ende 1997 wurden die Beitrittsprotokolle mit Polen, Tschechien und Ungarn, drei ehemaligen Warschauer Pakt-Staaten, unterzeichnet. Nach der Ratifizierung der Beitrittsurkunden wurde ihr Beitritt am 12. März 1999 wirksam.

> HÄTTE ES EINEN AUSWEG AUS DER SACKGASSE GEGEBEN?

Wladimir Putin, Präsident der Russischen Föderation
Auszüge aus dem Wortprotokoll seiner Rede im Deutschen Bundestag am 25.09.2001

... Die Berliner Mauer existiert nicht mehr; sie ist vernichtet. Es wäre angebracht, sich heute daran zu erinnern, wie es dazu gekommen ist. Ich bin mir sicher, dass großartige Veränderungen in Europa, in der ehemaligen Sowjetunion und in der Welt ohne bestimmte Voraussetzungen nicht möglich gewesen wären. Ich denke dabei an die Ereignisse, die in Russland vor zehn Jahren stattgefunden haben.
Diese Ereignisse sind wichtig, um zu begreifen, was bei uns vor sich gegangen ist und was man von Russland in der Zukunft erwarten kann. Die Antwort ist eigentlich einfach: Unter der Wirkung der Entwicklungsgesetze der Informationsgesellschaft konnte die totalitäre stalinistische Ideologie den Ideen der Demokratie und der Freiheit nicht mehr gerecht werden. Der Geist dieser Ideen ergriff die überwiegende Mehrheit der russischen Bürger. Gerade die politische Entscheidung des russischen Volkes ermöglichte es der ehemaligen Führung der UdSSR, diejenigen Beschlüsse zu fassen, die letzten Endes zum Abriss der Berliner Mauer geführt haben. Gerade diese Entscheidung erweiterte mehrfach die Grenzen des europäischen Humanismus, sodass wir behaupten können, dass niemand Russland jemals wieder in die Vergangenheit zurückführen kann.

(Beifall)

Was die europäische Integration betrifft, so unterstützen wir nicht einfach nur diese Prozesse, sondern sehen sie mit Hoffnung. Wir tun das als ein Volk, das gute Lehren aus dem Kalten Krieg und aus der verderblichen Okkupationsideologie gezogen hat. Aber hier – so vermute ich – wäre es angebracht, hinzuzufügen: Auch Europa hat keinen Gewinn aus dieser Spaltung gezogen. Ich bin der festen Meinung: In der heutigen sich schnell ändernden Welt, in der wahrhaft dramatische Wandlungen in Bezug auf die Demographie und ein ungewöhnlich großes Wirtschaftswachstum in einigen Weltregionen zu beobachten sind, ist auch Europa unmittelbar an der Weiterentwicklung des Verhältnisses zu Russland interessiert.

(Beifall)

Niemand bezweifelt den großen Wert der Beziehungen Europas zu den Vereinigten Staaten. Aber ich bin der Meinung, dass Europa seinen Ruf als mächtiger und selbstständiger Mittelpunkt der Weltpolitik langfristig nur festigen wird, wenn es seine eigenen Möglichkeiten mit den russischen menschlichen, territorialen und Naturressourcen sowie mit den Wirtschafts-, Kultur- und Verteidigungspotenzialen Russlands vereinigen wird.

(Beifall)

... Ich bin überzeugt: Wir schlagen heute eine neue Seite in der Geschichte unserer bilateralen Beziehungen auf und wir leisten damit unseren gemeinsamen Beitrag zum Aufbau des europäischen Hauses.

(Beifall)

> WAS PASSIERTE STATTDESSEN?

Russlands Präsident Putin bezeichnete bereits 2007 auf der Münchner Sicherheitskonferenz die Erweiterungsabsichten der NATO als eine Gefährdung der russischen Sicherheitslage und eine „ernste Provokation“.

Am 5. Februar 2010 genehmigte der damalige Präsident Russlands Dmitri Medwedew eine neue Fassung der russischen Militärdoktrin. Darin heißt es, die NATO sei nach wie vor eine militärische Gefahr für Russland

Russland unterstützte einen separatistischen Aufstand in der Ostukraine, der kurz nach der Annexion der Halbinsel Krim durch Moskau im Jahr 2014 ausbrach.

Seit Frühjahr 2021 sorgt ein massiver Aufmarsch russischer Truppen in Grenznähe in der Ukraine und im Westen für Besorgnis und nährt die Angst vor einer Eskalation der Feindseligkeiten.

Die NATO „Enhanced Forward Presence“ ist eine Aufrüstungsinitiative an der NATO-Ostflanke des Bündnisses und wurde am 8. und 9. Juli 2016 auf dem NATO-Gipfeltreffen in Warschau, Polen, beschlossen. Sie soll der Abschreckung Russlands dienen und basiert auf der Verlegung multinationaler Kampftruppen (auch aus Deutschland) mit rotierend jeweils rund 1000 Soldaten zu Ausbildungs- und Übungszwecken in die baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen sowie nach Polen.

HALT!

Bevor Sie Ihre Buchhaltung schließen – hier melden sich die beiden neuen Frauen-Stimmen in der Führung deutscher Außen- und Verteidigungspolitik mit dem Hinweis auf zwei NATO-Positionen, die dauernd vergessen werden:

Der Gründer der Enthüllungsplattform Wikileaks, Julian Assange, kann grundsätzlich aus dem NATO-Land Großbritannien an das NATO-Land U.S.A. ausgeliefert werden. Er sitzt wegen des Verstoßes gegen Auflagen in einem britischen Gefängnis, nachdem er rund sieben Jahre in der ecuadorianischen Botschaft in London verbracht hatte, um einer Auslieferung in die U.S.A. zu entgehen. Ein Berufungsgericht in London hat im Dezember 2021 die Ablehnung des U.S.-Auslieferungsantrags für Julian Assange gekippt. Anfang vergangenen Jahres war die Auslieferung des 50-jährigen Assange unter Berücksichtigung seines psychischen und gesundheitlichen Zustands und die zu erwartenden Haftbedingungen in den U.S.A. untersagt worden. Der Wikileaks-Gründer hatte schwerste Kriegs- und Menschenrechtsverletzungen der NATO-Führungsmacht dokumentiert.

Eine U.S.-Airbase im NATO-Mitglied Deutschland spielt eine wichtige Rolle, wenn unbemannte Flugkörper im Anti-Terror-Kampf Menschen getötet werden. Medien und Whistleblower berichteten schon seit Jahren darüber, die offizielle Bestätigung seitens der Bundesregierung liegt aber erst seit Ende November 2016 vor: Ramstein, größte U.S.-Militärbasis in Europa, wird zur Weiterleitung von Signalen für Drohnen-Angriffe in Asien und Afrika genutzt. Diese Antwort erhielt der Linken-Abgeordnete Andrej Hunko von Staatsminister Michael Roth im – seinerzeit noch unionsgeführten – Auswärtigen Amt.


Foto:
©ARD / KJS-Archiv

Info:
https://www.bundestag.de/parlament/geschichte/gastredner/putin/putin_wort-244966
https://www.tagesschau.de/ausland/europa/assange-auslieferung-113.html
https://www.dw.com/de/ramstein-deutschlands-standort-im-drohnen-krieg/a-36777491


Quelle: