kinderweltreise.deRussische Politik verdammen,  nicht russische Kultur und Künstler!

Conrad Taler

Bremen (Weltexpresso) – Im Gefolge des Krieges der Russischen Föderation gegen die benachbarte Ukraine hat sich bei uns  neben Corona  eine Seuche entwickelt, die der Filmproduzent Günter Rohrbach in der Süddeutschen Zeitung 14. März  als Distanzierungswahnsinn bezeichnet. Er knüpft daran die Frage, was uns Deutschen das Recht gibt, russische Kultur mit dem Krieg gleichzusetzen.

Haben wir vergessen, was nach dem Zweiten Weltkrieg gewesen sei, fragt Rohrbach weiter und erinnert  daran, dass Hitlers Chefdirigent Wilhelm Furtwängler wenige Monate nach Kriegsende in der Schweiz ein umjubeltes Konzert gegeben hat, Eine Distanzierung habe man von ihm nicht verlangt. Der russische Dirigent Valeri Gergijew könne auf solche Nachsicht nicht hoffen. Er erfahre mit voller Wucht unsere Verachtung. Bekanntlich wurde er mit sofortiger Wirkung als Dirigent der Münchner Philharmoniker entlassen, weil er die Frage, ob er sich nicht von Putin distanzieren wolle, unbeantwortet ließ.

Genügt also bereits das Schweigen eines Menschen, ihm die in der Verfassung verbrieften Grundrechte abzusprechen, weil dieses Schweigen der Obrigkeit missfällt?  Dieses absolutistische Verhalten passt ins Mittelalter aber nicht in die Neuzeit. Zur Zeit der Hexenverbrennungen wurden in Europa 60 000 religiös Andersdenkende auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Wer da meint, so viel Hirnverbranntheit gebe es zum Glück heute nicht mehr, der lese, was die Stadtväter von Cardiff sich einfallen ließen, um dem Wertecanon der westlichen Welt gerecht zu werden. Sie nahmen Tschaikowsky aus dem Programm, weil man das dem Publikum nicht zumuten könne. Außerdem habe man einen Ukrainer im Ensemble.

Als ich zehn Jahre alt war herrschte auf der böhmischen Seite des Riesengebirges eine  Scharlach-Epedemie und ich musste sechs Wochen  auf der Isolierstation des Kreiskrankenhauses verbringen, wo wir Kinder von einem jüdischen Arzt betreut wurden. Im Jahr darauf, nach dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht, war sein Praxisschild überklebt  und der beliebte Arzt verschwunden. Heute genügt es, wenn ein Dirigent Russe ist, der den Schnüfflern die kalte Schulter zeigt, um ihn vom Pult zu vertreiben Was haben die russischen Olympioniken, die vier Jahre lang geschuftet haben, um an dem Ereignis teilnehmen zu können, mit Putins Krieg zu zu tun, fragt Günter Rohrbach.

Die Deutschen, die damals Adolf Hitler zum Reichskanzler wählten, hätten gewusst,  wen sie da zu ihrem Führer machten. Sie hätten seine Hetzreden gehört, sie hätten den Hass auf die Juden, die Bolschewisten, die Plutokraten und Demokraten aufgesogen, und sich schließlich nicht dagegen gewehrt, in diesem Furor die ganze Welt in Brand zu stecken. Nach dem Zweiten Weltkrieg hätten sie sich geweigert, eine Kollektivschuld zu akzeptieren. Die Weltgemeinschaft habe sich nicht  der Deutung widersetzt, die meisten fanatischen Hitler-Anhänger hätten sich den vollen Umfang der Verbrechen nicht vorstellen können.

Man könne an Gergijew vieles kritisieren, schreibt Günter Rohrbach, aber es stehe uns nicht zu, ihn in eine Zwangslage zu bringen, aus der es keinen ehrenhaften Ausweg gebe. Und Anna Netrebko? Was habe sie getan, um brüsk verstoßen werden? Nicht nur die Ukrainer brauchten unsere Solidarität, sondern auch die unter uns lebenden Russen.  „Es ist nicht ihr Krieg und es sind auch nicht ihre Toten. Übrigens, so sind die Verhältnisse nun mal,  Tschaikowsky hatte einen ukrainischen Großvater.“

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