Peter Feldmann außert sich zu Vorwurfen 1Die Stadt, ihr politischer Morast und ihre demokratischen Defizite

Ein Leserbrief von Klaus Philipp Mertens

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Wer im Skandal um Frankfurts Oberbürgermeister Peter Feldmann tatsächlich korrupt sei, fragte Juliane Schätze in ihrem Beitrag für Weltexpresso und andere Periodika: https://weltexpresso.de/index.php/zeitgesehen/25738-wer-ist-eigentlich-korrupt

Im Blog der FRANKFURTER RUNDSCHAU wurde daraufhin von einem Leser die Meinung vertreten, dass die Handlung der Stadtverordneten (Aufforderung, Feldmann solle zurücktreten sowie die Einleitung eines Abwahlverfahrens) demokratisch legitimiert sei. Auch wenn über den Fall juristisch nicht entschieden sei und der Oberbürgermeister als unschuldig zu gelten habe. Da an der Kommunalwahl mehr Bürger teilgenommen hätten als an der Direktwahl des Oberbürgermeisters, verfügten die Abgeordneten über eine besondere Autorität.

Dazu ist anzumerken: Eine demokratische Wahl bedeutet nicht, dass auch die Gewählten zwangsläufig Demokraten sind oder im Zuge des Verfahrens zu Demokraten werden. Das beweist die Wahl der AfD in den Bundestag, in Landtage und Kommunalparlamente. Aus der formal demokratischen Reichstagswahl im März 1933 ist die antidemokratische und verbrecherische NSDAP als stärkste Partei hervorgegangen. Ein eindeutiger Beleg dafür, dass sich die demokratische Qualität der Mandatsträger nicht aus der Teilnahme an einer Wahl ableiten lässt, die ja nicht von ihnen, sondern vom Grundgesetz und von den Landesverfassungen festgelegt wird. Sondern sich einerseits in ihrer programmatischen Position (z.B. zu den Grundrechten) und andererseits in ihrem Handeln manifestiert. Eine Wertigkeit des Wählerwillens anhand der Wahlbeteiligung vorzunehmen, wäre angesichts der Verfassungs- und Gesetzeslage eine populistische Eng- und Irreführung.

Tatsache ist, dass eine Mehrheit in der Frankfurter Stadtverordnetenversammlung den gewählten Oberbürgermeister zum Rücktritt aufgefordert und ein Abwahlverfahren beschlossen hat. Sie begründet das mit dem angeblichen Vertrauensverlust, der durch ein anstehendes Gerichtsverfahren ausgelöst würde, dessen Ausgang aber völlig offen ist. Und das sich möglicherweise durch sämtliche Instanzen ziehen könnte, weil von der Staatsanwaltschaft viele Rechtsgüter infrage gestellt werden, etwa der Schutz von Ehe und Familie, der persönliche Datenschutz sowie der Schutz vor Beleidigung und Verleumdung. Die der Öffentlichkeit bekannt gewordenen Details der Anklage erscheinen als nicht plausibel, sogar als willkürlich konstruiert. Wo kämen wir hin, wenn die Instrumentalisierung von Rechtsgütern zu politischen Zwecken zur akzeptierten politischen Strategie würde?

Ich habe mir die Mühe gemacht, die Faktenlage zu ordnen. OB Peter Feldmann wird verdächtigt, eine Wohlfahrtsorganisation dazu gedrängt zu haben, mit seiner damaligen Lebenspartnerin (die er später heiratete und von der er mittlerweile getrennt lebt) einen Arbeitsvertrag abzuschließen, dessen Vergütung und Sonderleistungen die üblichen tariflichen Gepflogenheit deutlich überstiegen. Im Gegenzug soll er dem Sozialverband ein Entgegenkommen bei dessen Vereinbarungen mit der Stadt Frankfurt zugesichert und diese Zusicherung erfüllt haben. Zumindest sei Letzteres von der AWO erwartet worden. Im allgemeinen Sprachgebrauch nennt man ein solches Verhalten Korruption, die Juristen bezeichnen es als Vorteilsgewährung und Vorteilsannahme.
Sollte Feldmanns Partnerin jedoch lediglich außergewöhnliche gute Bedingungen für sich ausgehandelt haben, wäre das nicht strafbar. Denn gemäß BGB gilt hierzulande Vertragsfreiheit. Selbst in den Tarifverträgen öffentlicher Arbeitgeber und in denen ihnen gleichgestellten Körperschaften gibt es Ausstiegsklauseln (z.B. im TVöD). Einige nicht dementierte Äußerungen aus der Staatsanwaltschaft lassen allerdings die Interpretation zu, dass zumindest Amtsträger für das Tun oder Lassen ihrer (Ehe-) Partner eine besondere Verantwortung trügen. Was man als Wiederbelebung längst überwundener Sekundärtugenden deuten kann.

Doch zur Sache: Welche Vorteile hätte OB Feldmann der Arbeiterwohlfahrt realistischerweise verschaffen können? Infrage gekommen wäre zum Beispiel eine aus dem Rahmen fallende hohe Kostenerstattung für den Betrieb von Flüchtlingsunterkünften. Ja, die gab es tatsächlich. Rechtlich verantwortlich dafür war die seinerzeitige Frankfurter Sozialdezernentin, die das allein entscheiden konnte. Gegen die Dame wurde nie ermittelt. Auch wenn die überhöhten Kosten zurückgefordert und von der AWO auch zurückgezahlt wurden, hätte im Kontext der Ermittlungen gegen Peter Feldmann mindestens einem Anfangsverdacht gegen die Dezernentin nachgegangen werden müssen. Doch das hätte nicht in die politische Arithmetik von Grünen, SPD, FDP und CDU gepasst. Und exakt eine solche ist mir, dem investigativen und parteiunabhängigen Staatsbürger, bei der Sicht auf die „Affäre Feldmann“ aufgefallen.

Zu den Ungereimtheiten gehört auch, dass sich zwei Journalisten des Hessischen Rundfunks Frau Feldmanns Personalakte widerrechtlich bei der AWO verschafft und in Teilen veröffentlicht haben. Das war nicht nur Diebstahl, sondern auch ein eindeutiger Verstoß gegen die europäische Datenschutzgrundverordnung, die damals (2019) bereits in deutsches Recht überführt worden war. Ein besonderes Geschmäckle bekam dieser Vorgang zusätzlich durch die Tatsache, dass einer der Journalisten für das rechtskonservativer Magazin CICERO tätig gewesen war, in dem man häufig Freundliches über die AfD lesen kann.

Ich verstehe bis heute nicht, warum Frau Feldmann keine Anzeige erstattete und auf die Zahlung von Schmerzensgeld klagte. Waren es möglicherweise Rechtsberater der SPD, die dem Ehepaar davon abgeraten haben? Riet man ab, weil man zu diesem Zeitpunkt keinen unnötigen Wirbel verursachen wollte? Aber was außer der Wahrheit wäre denn zutage gekommen? Hätten einige SPD-Funktionäre, die ein auffällig gutes Verhältnis zur Immobilien- und Finanzwirtschaft pflegen, sich neue Freunde suchen müssen?

Die vielen Menschen, die in Frankfurt Opfer der Mietervertreibung sind, deren Proteste gegen die Gentrifizierung durch Luxussanierung und Leerstände kein Gehör finden (außer bei Peter Feldmann!), deren Beharren auf einem Bürgerentscheid („Mietentscheid“) vom Vorsitzenden des SPD-Unterbezirks und Planungsdezernenten nicht unterstützt wird, hätten sicherlich aufgeatmet.

Der Planungsdezernent hatte bereits im Jahr 2016 für Irritationen gesorgt, als er dem Drängen von Finanzinvestoren nachzugeben bereit war, die das Hessen-Einkaufzentrum in Bergen-Enkheim überdimensional vergrößern wollten. Zu Lasten des gerade erst eröffneten Mitbewerbers in der Nachbarstadt Hanau. Und zu Lasten der Konsumenten an der östlichen Stadtperipherie, denen die Möglichkeit zu Preisvergleichen beschnitten worden wäre. Es war nicht zuletzt der Protest der Hanauer SPD, welcher die Frankfurter Genossen zum Rückzug zwang. Im Planungsamt widmet man sich seither vorrangig der Konzeption einer Wohnstadt auf der „grünen Wiese“ nahe der Autobahn 5. Diese wäre ein ökologischer sowie klima- und verkehrspolitischer Wahnsinn. Und genauso irreal wie der unlängst veröffentlichte Frankfurter Mietspiegel, für den der Planungsdezernent verantwortlich ist.

Die Vorwürfe gegen OB Peter Feldmann erscheinen mir angesichts der geschilderten Verwicklungen als eine gelenkte politische Kampagne (die Plakataktion „Feldmann entsorgen, jetzt“ ist dafür ein Beleg), die sogar die Justiz zu instrumentalisieren versucht. In diesem Zusammenhang erweist es sich als Nachteil, dass das Justizministerium der Staatsanwaltschaft gegenüber weisungsbefugt ist. Deswegen werden Stimmen von Insidern immer lauter, die politische Einflussnahmen vermuten. Als Urheber genannt werden Uwe Becker, der ehemalige Frankfurter Bürgermeister, und Peter Beuth, der skandalumtobte hessische Innenminister. Die unlängst wegen Unfähigkeit entlassene Justizministerin Eva Kühne-Hörmann soll diese Begehrlichkeiten bei der Frankfurter Staatsanwaltschaft durchgedrückt haben.

Ebenso merkwürdig wie das angebliche Komplott zwischen Zübeyde Temizel, AWO und Peter Feldmann ist die mutmaßlich konstruierte Spendenaffäre. Die AWO hat weder offiziell noch inoffiziell Gelder für Feldmanns Wahlkampf 2018 eingesammelt und weitergeleitet. Die Finanzbuchhaltung, die wegen der Affäre des Geschäftsführerehepaars Richter mehrfach von Internen und Externen überprüft wurde, enthält keine Belege für solche Anschuldigungen. Zudem besitzt ein Oberbürgermeister keine Möglichkeiten, sein Wohlwollen gegenüber einer Wohlfahrtsorganisation in eigenmächtige illegale Unterstützung einfließen zu lassen, es sei denn, er bindet einen oder mehrere seiner Dezernenten ein. Denn Ansprechpartner der AWO sind in Frankfurt das Sozial- und das Bildungsdezernat (Flüchtlingshilfe, Sozialhilfemaßnahmen, Kitas etc.).
Es ist nicht auszuschließen, dass AWO-Funktionäre privat gesammelt haben, was völlig legal wäre, schließlich sind Parteien und ihre Vertreter maßgebliche Träger der politischen Willensbildung. Aber auch ihnen gegenüber ist ein materieller Dank jenseits legaler Wege nicht umzusetzen.
Die Lokalredaktion der FRANKFURTER RUNDSCHAU hat über diese Aspekte zum ersten Mal am 14. Juni berichtet, was angesichts der Schwere der Vorwürfe, der Rücktrittsaufforderung und des beschlossenen Abwahlverfahrens viel zu spät war. Nicht nur bei mir ist der Eindruck entstanden, dass vor allem an der gesellschaftlichen Desinformation gearbeitet wurde und nicht an der gebotenen journalistischen Aufklärung.
Der Preis für Propagandajournalismus gebührt in dieser Sache aber dem Hessischen Rundfunk, der permanent unzureichende Informationen verbreitet und sich dadurch an der Entstehung von Vorurteilen beteiligt.

Für mich ist Peter Feldmann trotz des ihm widerfahrenen Unrechts keine Lichtgestalt. Er ist typisch für die Frankfurter SPD, ist hervorgegangen aus einer Partei, die sich Bildungsferne, Engstirnigkeit, unsolidarisches Verhalten und mangelnde politische Innovationsfähigkeit vorwerfen lassen muss. Aber im Gegensatz zu vielen seiner Parteigenossen verfügt Feldmann über ein Gespür für die Sorgen der „kleinen Leute“. Es ist nicht ausgeschlossen, dass er deswegen für Sozialdemokraten, aber auch für grüne Emporkömmlinge (für FDP und CDU ohnehin) zur unkalkulierbaren Gefahr geworden ist. Und deswegen geopfert werden soll.

Foto:
Ein Bild aus besseren Tagen. Peter Feldmann und die SPD
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