ik ptz.ru ukrainische KriegsnachtigalenSerie: DER LANGE SCHATTEN VON LEMBERG. Deutsch-ukrainische Partnerschaft unter dem Hakenkreuz, Teil 3/4

Kurt Nelhiebel

Bremen (Weltexpresso) - Die Bundesrepublik Deutschland war von ihrer Vergangenheit eingeholt worden. Vorwürfe gegen einen amtierenden Bundesminister wegen seines Verhaltens während der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft ließen sich nicht mehr ignorieren. Zwar versuchte die CDU, den Ruf nach Konsequenzen durch den Einwand zu ersticken, wer Oberländers Rücktritt verlange, verbünde sich mit Kommunisten, aber auch namhafte Unionspolitiker erhoben Bedenken gegen den Vertriebenenpolitiker, so dass die SPD zu Recht von einem »dummen Argument« sprechen konnte.

Auch die Freien Demokraten betrachteten Oberländers Verbleiben als eine zunehmende Belastung für die Bundesrepublik. Die Kritik zielte nun auch auf den Patriarchen Konrad Adenauer. Sechs Monate waren inzwischen seit Beginn der Affäre vergangen, ohne dass der Bundeskanzler sich zu den Vorwürfen geäußert hatte. Die Lage war prekär. Konnte Adenauer seinen Vertriebenenminister fallen lassen und gleichzeitig an Dr. Hans Globke als Staatssekretär im Kanzleramt festhalten, obwohl der sich als Mitverfasser des NS-offiziellen Kommentars zu den so genannten Blutschutzgesetzen der Nazis nicht weniger kompromittiert hatte?

Der Regierungschef war in Zugzwang geraten. Die CDU/CSU-Fraktion hatte nämlich – genervt vom politisch unergiebigen Tauziehen um die Zukunft des Ministers und vom Verlangen der SPD nach einem Untersuchungsausschuss – Oberländer im April 1960 fallen gelassen und seine Beurlaubung angeregt. In seiner mitunter hemdsärmeligen Art erweckte Adenauer am 12. April 1960 vor verblüfften Journalisten den Eindruck, als verstehe er die ganze Aufregung nicht. Jeder wisse doch, dass Oberländer »tief braun« gewesen sei.  Seine persönliche Integrität stehe aber außer Zweifel. Der Minister war, wie es hieß, von der Aufsehen erregenden Äußerung des Bundeskanzlers so gekränkt, dass er seine unausweichlich gewordene Demission noch einmal um zwei Wochen hinauszögerte, ehe er am 3. Mai 1960 seinen Rücktritt einreichte. Mit dem Ausgang des Ostberliner Prozesses hatte sein Entschluss nichts zu tun. Oberländers Rücktritt war nicht die Folge eines Drucks von außen, sondern von innen. Seine eigenen Parteifreunde wollten den Minister, der zu einer Belastung geworden war, loswerden. Auch Adenauer musste am Ende nachgeben. Der Abgang Theodor Oberländers war eine Zäsur. Zum ersten Mal musste ein Bundesminister wegen seiner NS-Vergangenheit den Stuhl räumen. Ausschlaggebend war, dass über den »Fall Oberländer« hinaus die Glaubwürdigkeit der Bundesrepublik Deutschland auf dem Spiel stand . Am Ende reklamierten viele die Vaterschaft für diesen, wie die SPD formulierte, ,»Sieg des Moralischen in der Politik«. Wie alles begonnen hatte, schien weitgehend vergessen.

Jahre später stand ich Theodor Oberländer in Fulda gegenüber, als dort eine Zivilkammer des Landgerichts dessen Klage wegen des Artikels vom September 1959 behandelte. Zeugen aus Israel, die den Einmarsch des Bataillons »Nachtigall« in Lemberg miterlebt hatten, berichteten schreckliche Dinge. Eine konkrete Belastung Oberländers ließ sich nach Überzeugung des Gerichts aber nicht nachweisen. Im Herbst 1973, vierzehn Jahre nachdem der Stein gegen Oberländer ins Rollen gekommen war, erzwang der Bundesminister im Ruhestand ein Schmerzensgeld in Höhe von 15.000 Mark. Die strafrechtlichen Ermittlungen gegen den ehemaligen Verbindungsoffizier des Bataillons »Nachtigall« waren bereits ein halbes Jahr nach dem Ausscheiden Oberländers aus der Regierung von der Bonner Staatsanwaltschaft mangels Tatverdachts eingestellt worden. In dem Beschluss hieß es, nach dem Einmarsch deutscher Truppen in Lemberg sei es zu einem Pogrom gegen Juden gekommen, den Angehörige verschiedener national-ukrainischer Bewegungen entfesselt hätten. An diesen Ausschreitungen hätten deutsche Wehrmachtsangehörige nicht teilgenommen. Nicht auszuschließen sei jedoch, so die Bonner Staatsanwaltschaft weiter, dass sich einzelne, namentlich nicht feststellbare ukrainische Angehörige des Bataillons »Nachtigall« entgegen den eindeutigen Befehlen des Bataillonskommandeurs Dr. Herzner und des Verbindungsoffiziers Oberländer an Ausschreitungen beteiligten.

In einer der vielen gerichtlichen Auseinandersetzungen, die der zurückgetretene Minister in der Folgezeit noch anstrengte, kam der spätere Bundespräsident Gustav Heinemann als Anwalt auf das Bonner Verfahren zurück. Er gab zu bedenken, dass der Einstellungsbeschluss einige Unklarheiten offen gelassen habe, die durchaus eine Belastung Oberländers bedeuten könnten. Aber diese Akten wird weder ein Richter noch ein Historiker jemals einsehen können. Sie wurden nach Angaben des Nachrichtenmagazins »Der Spiegel« vom 3. Oktober 1983 als »nicht archivwürdig« vernichtet. Für den Ehrenrat der Union im Bundestag lag gegen den Parteifreund nichts vor, was dessen Verbleiben in der Fraktion hätte in Frage stellen können. So durfte Oberländer, wenn schon nicht als Minister, so doch immerhin als Abgeordneter, seine ostpolitischen Thesen, in denen manch einer »völkische und ideologische Kreuzzugsideen« erblickte, ungehindert weiter verbreiten. Nachfolger des gestrauchelten Ministers wurde – nach einem Interregnum – im Oktober 1963 der CDU-Abgeordnete und Präsident des Bundes der Vertriebenen, Hans Krüger. Er musste nach drei Monaten suspendiert werden, weil seine Mitwirkung an Todesurteilen eines NS-Sondergerichts bekannt geworden war. Mangelnde Sensibilität gegenüber den Opfern der Nazityrannei erklärt nur unvollständig die politische Blindheit, die in der Nachkriegszeit im Umgang mit der personellen Hinterlassenschaft der Hitlerzeit an den Tag gelegt worden ist. (Schluss folgt).

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