Jacques Ungar
Tel Aviv (Weltexpresso) - Die Knesset-Kommission für Verfassung, Recht und Justiz verabschiedete am Montag die Übersendung der ersten Gesetzesvorlage für die Rechtsreform zur ersten Lesung im Parlamentsplenum. Diese wird wahrscheinlich schon in den nächsten Wochen stattfinden. Die Vorlage wurde als «Veränderung des Grundgesetzes: Rechtswesen» formuliert. Sie würde der Regierung Kontrolle über die richterliche Wahlkommission durch fünf ihrer neun Mitglieder verleihen. Zudem wäre nur eine einfache Mehrheit nötig, um Richter für die Gerichte des Landes zu ernennen.
Die Sitzung der Verfassungskommission war begleitet von zahlreichen Ausdrücken der Gewalt und Diskrepanz der Ansichten. Während der Kommissionssitzung protestierten Angehörige der Opposition, indem sie Befürworter der Reform anschrien und Slogans des Widerstands rezitierten, bis sie letztlich von Angehörigen des Knesset-Personals gewaltsam aus dem Raum entfernt werden mussten. Premier Netanyahu rief die Opposition auf, endlich Verantwortungsbewusstsein zu zeigen und aufzuhören, das Volk in die Konfrontation zu zerren.
Die Opposition erklärte sich aber an landesweiten Massendemonstrationen vom Montagabend entschlossen, weiter zu demonstrieren und zu protestieren. An die Demo wurden mit dutzenden von Autobussen hunderte von Bürgerinnen und Bürger nach Jerusalem gefahren. An der steigenden Spannung konnte auch ein Angebot des Likuds wenig ändern, zu Vermittlungsgesprächen zusammenzusitzen. Die Opposition erklärte sich zu solchen Gesprächen nur bereit, wenn für deren Dauer das Vorantreiben der Rechtsreform gestoppt würde.
Die Koalition ihrerseits wollte aber «nicht einmal eine Minute lang» die Vorbereitungen der Rechtsreform unterbrechen.
Nicht einmal Präsident Isaac Herzog konnte daran mit seinem Kompromissvorschlag etwas ändern. Ron Huldai, der Bürgermeister von Tel Aviv, warnte davor, dass Israel auf eine «Diktatur und Blutvergiessen» hinsteuere, wenn die Regierung den Plan für die Rechtsreform vorantreibe. «Das werden wir nicht zulassen», sagte Huldai, der hinzufügte, dass dies die Geschichte der Welt sei: «Länder werden zu Diktaturen durch die Benutzung demokratischer Werkzeuge».
Das Knessetmitglied Benny Gantz, Anführer der Partei für nationale Einheit, die gegen die Rechtsreform ist, twitterte: «Wir sind in einer Notfallsituation, und wir sind in einem Kampf. Unser Kampf ist jedoch für Israels Demokratie und kein Kampf zwischen uns. Schmerz und Angst haben ihren Platz, doch wir müssen den gewaltsamen Dialog und die Konfrontation auf beiden Seiten unverzüglich beenden, denn das führt uns in den Abgrund.»
Wahrscheinlich findet die erste Lesung zur Justizreform schon nächste Woche im Parlamentsplenum statt
©tachles
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Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 15. Februar 2023