tagesschau verheugenDer ehemalige EU-Kommissar Verheugen ist der Ansicht, Kiew treibe die Atom-Mächte in einen Konflikt

Conrad Taler

Bremen (Weltexpresso) - Die Ukraine versucht nach den Worten des ehemaligen EU-Kommissars Günter Verheugen verzweifelt, dass das Engagement des Westens und der Nato die Grenze zur direkten Intervention überschreitet.

In einem Interview mit dem Weser-Kurier vom 28. August sagte der SPD-Politiker, das hätte die direkte Auseinandersetzung der beiden Super-Atommächte zur Folge und wäre der Schritt in den Abgrund. „Wir müssen also unsere ganze Kraft dafür einsetzen, um Russland und die Ukraine an den Verhandlungstisch zu bekommen“, fügte er hinzu. Er halte es für einen Fehler, die Strategie der Ukraine bedingungslos zu unterstützen, ohne Verhandlungsbereitschaft zu verlangen, und zwar ohne Vorbedingungen.

In der Tat habe der Westen Russland nicht mehr viel anzubieten. Dennoch glaube er, dass die Option einer engen Kooperation mit der EU für Russland immer noch attraktiv sei. Wenn man in Deutschland sage, dass man mit diesen Verbrechern nichts mehr zu tun habe könne, möchte er auf unsere Vergangenheit hinweisen. „Wir haben einen Krieg angefangen, der alle Maßstäbe gesprengt hat, trotzdem wurde uns nach 1945 wieder die Hand gereicht.“

Er habe den Eindruck, sagte der ehemalige EU-Kommissar, dass in allen europäischen Ländern die öffentliche Skepsis gegenüber der jetzigen Ukraine-Politik wachse. Die große Mehrheit der Deutschen sei zwar dafür, dass man der Ukraine beisteht, aber gleichzeitig auch fordert, dass der Krieg so schnell wie möglich beendet wird und Friedensverhandlungen begonnen werden. „Das Gemetzel muss beendet werden“. Das sei die wichtigste Aufgabe der deutschen und europäischen Politik.

Scharfe Kritik übte Verheugen an der grünen Außenpolitik. Sie mache unsere angeblichen moralischen Ansprüche zum Maßstab für alles, ohne sie durchsetzen zu können. Die Welt ändere sich dramatisch. Die einflussreichsten Regionen der Zukunft lägen nicht in Europa oder Nordamerika, sondern in Asien, Lateinamerika und Afrika. Die Welt sei so beschaffen, dass man nur mit Gesprächsbereitschaft und im Dialog unter Beachtung der gegenseitigen Interessen einen Weg finde, in Frieden miteinander zu leben.

Beim Krieg in der Ukraine handle es sich nicht um einen Kampf zwischen zwei rivalisierenden Systemen. „Meine Freiheit ist nicht durch Russland bedroht“, fügte Verheugen wörtlich hinzu. Es bestehe kein Zweifel daran, dass Russland der Aggressor sei. Aber man müsse auch die Vorgeschichte dieses Krieges kennen, um ein sachliches Urteil zu fällen. Die Misker Abkommen hätten eine Lösung für die inneren Konflikte in der Ukraine bringen sollen. Unter anderem sollten die Rechte der russischen Minderheit gesichert werden. Zur vollen Wahrheit gehört nach Ansicht Verheugens, dass die Verantwortlichen in Kiew nicht einen Tag lang daran gedacht hätten, die im Minsk--2-Abkommen vorgesehenen Maßnahmen umzusetzen. Schuld an der gegenwärtigen Situation sind nach seiner Meinung die in der Ukraine herrschenden Oligarchen und „ihre Marionetten“ in der Politik. Diese Herrschaft und die endemische Korruption seien die seit dreißig Jahren ungelösten Hauptprobleme des Landes.

Foto:
©tagesschau