kurt1Namhafter Autor und Jurist warnt vor den Neonazis der AfD und ruft zur demokratischen Mobilmachung auf

Conrad Taler

Bremen (Weltexpresso) – Zu den zahlreichen Publikationsorganen, in denen ich mich als Journalist während des Kalten Krieges für die Entspannungspolitik Willy Brandts gegenüber dem kommunistische Osten eingesetzt habe, gehörte die in Hessen und Nassau erscheinende „Stimme der Gemeinde zum kirchlichen Leben, zur Politik, Wirtschaft und Kultur“.

Sie trug den schlichten Namen „Stimme“. Mitherausgeber war der prominente protestantische Widerstandskämpfer Martin Niemöller, der den Generationen von heute folgende Warnung hinterließ: „Als die Nazis die Kommunisten holten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Kommunist. Als sie die Gewerkschafter holten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Gewerkschafter. Als sie die Juden holten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Jude. Als sie mich holten, gab es keinen mehr, der protestieren konnte.“

kurt2In meinem Arbeitszimmer liegt seit Jahrzehnten eine Ausgabe der „Stimme“ aus dem Jahr 1968, deren grafisch markantes Titelblatt von keinem Besucher übersehen werden konnte. Als Spitzenartikel hatte die Redaktion einen Aufsatz von mir gewählt, der mit der herausfordernden Überschrift „Warum die NPD nicht verboten wird“ bei der damaligen Leserschaft um Aufmerksamkeit warb. Die politisch am äußersten rechten Rand operierende nationaldemokratische Partei war damals vier Jahre alt und erzielte anfangs eine Reihe von spektakulären Erfolgen bei Landtagswahlen. Dementsprechend groß war die Aufregung in Teilen des demokratischen Lagers, das nach einem Verbot rief.

Häufig musste ich in den vergangenen Jahren gegenüber Besucher begründen, woher ich meine Zuversicht nehme, dass es niemals zu einem Verbot der NPD kommen werde. Ich nahm an, die Partei brauche ein Verbotsverfahren allein deshalb nicht zu befürchten, weil sie in wichtigen politischen Fragen eine ähnliche Haltung hatte, , wie sie auch bei der CSU und einer nicht geringen Zahl von Politikern am konservativen Rand der CDU anzutreffen war. Zum Beweis zitierte ich in der „Stimme“ unter anderen den damaligen CDU-Bundestagsabgeordneten Dr. Josef Stecker mit dem auf die NPD zielenden Satz „Was die an nationalen Anliegen und konservativem Gedankengut haben, das praktizieren wir ja täglich.“ Auch dem Bundesvorsitzenden der Freien Demokraten, Walter Scheel, war das aufgefallen. Er schrieb am 27. September 1968 in der Wochenzeitschrift „Der Volkswirt“, es gebe in „gewissen anderen Parteien“ Politiker, die ihre Aktionen gegen die NPD darauf abstellten, deren Propagandathesen mit ebenso gewaltigem Stimmaufwand zu übernehmen. Am Schluss meines Artikels schrieb ich vor 55 Jahren, es bedürfe keiner Prophetengabe um vorauszusagen, dass es niemals zu einem Antrag auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit der NPD kommen wird.

Dann wurde zu meiner Überraschung doch über einen Antrag auf Eröffnung eines Verfahrens zum Verbot der NPD debattiert. Der scheiterte jedoch 2003, weil sich die Richter des zuständigen Senats des Bundesverfassungsgerichts nicht auf die dafür gesetzlich geforderte Zweidrittelmehrheit einigen konnten. Vierzehn Jahre danach beantragte der Bundesrat das Verbot der Nationaldemokratischen Partei, aber auch die Ländervertretung scheiterte. Das Bundesverfassungsgericht hielt der NPD zwar vor, dass sie die freiheitlich demokratischen Grundordnung beseitigen und durch einen autoritären Nationalstaat ersetzen wolle; sie sei mit dem Nationalsozialismus wesensverwandt. Darauf verwiesen unter anderem ihre antisemitische Grundhaltung und ihre Bekenntnis zu führenden Persönlichkeiten der NSDAP Das Gericht sehe derzeit aber keine konkreten Hinweise, dass die Partei mit ihrem Handeln erfolgreich sein könnte. Deshalb sei das Verbot der NPD als präventive Maßnahme des Schutzes der Verfassung nicht notwendig.

Der Autor und Kolumnist der Süddeutschen Zeitung, Heribert Prantl, selber Jurist von hohen Graden, hatte offensichtlich die Untätigkeit des höchsten deutschen Gerichts gegenüber den neonazistischen Verfassungsfeinden vor Augen, als er dieser Tage in seiner Zeitung die Leserschaft zur demokratischern Mobilmachung aufrief. Noch nie sei die Gefahr für die Demokratie in Deutschland so groß gewesen, wie 2024. Noch nie seit Gründung der Bundesrepublik hätten die Neonazis so zahlreich vor den Toren der Macht gestanden, schreibt Prantl in seiner Kolumne vom 29. Dezember 2023 mit Blick in Richtung AfD. Zu einer demokratischen Mobilmachung gehöre es, eine verfassungsfeindliche Partei zu verbieten. Vor den Wahlen des Jahres 2024 sei es dafür zu sspät. Aber es sei nicht zu spät dafür, den Neonazis, die an die Macht drängten, das aktive und das passive Wahlrecht zu entziehen sowie die Fähigkeit, öffentliche Ämter zu bekleiden. „Zuständig dafür ist das Bundesverfassungsgericht.“

Der letzte Satz klingt wie eine Alarmglocke. Die Möglichkeit, den Neonazis in die Parade zu fahren, biete laut Heribert Prantl der Artikel 18 des Grundgesetzes.. Er gehöre zu dem, was man den kleinen Widerstand nenne.. Er sei die offensive Absage an eine fatalistische Toleranz; er sei die Aufforderung zur Intoleranz der Demokratie gegenüber Verfassungsfeinden. Die Gefahr sei noch nie seit 1933 so groß gewesen, dass Neonazis in Regierungsämter einrücken, wie damals. Es gelte, den Weg nach Rechtsaußen zu versperren.

1968 war die Gefahr von Rechtsaußen nicht groß genug, um den Warnungen vor den Neonazis bei den Demokraten zu dem notwendigen Gehör zu verhelfen, diesmal darf es nicht zu spät sein.

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