Bildschirmfoto 2024 01 02 um 23.23.31 Zum Jahresbeginn stellt sich Israels Armee auf einen länger dauernden Krieg im Gazastreifen ein


Redaktion tachles

Tel Aviv (Weltexpresso) - «Die Ziele des Krieges erfordern einen längeren Kampf, und wir bereiten uns entsprechend vor», sagte Armeesprecher Daniel Hagari am Sonntagabend. Das Militär müsse im Voraus planen, «mit dem Wissen, dass wir während dieses ganzen Jahres weitere Aufgaben erfüllen und weiterkämpfen müssen». Uno-Vertreter beschrieben die Lage im Gazastreifen zuletzt als täglichen Überlebenskampf.
Man passe die Truppenaufstellung nun dementsprechend an und erlaube einigen Reservisten diese Woche die einstweilige Rückkehr zu ihren Familien und an ihren Arbeitsplatz, schilderte Hagari. Dies werde Israels Wirtschaft entlasten und es den Reservesoldaten ermöglichen, «Kraft für die bevorstehenden Aktivitäten« in diesem Jahr zu sammeln. Die Kämpfe würden weitergehen und die Reservisten weiter benötigt. Zudem setze man die Ausbildung aller Offiziere fort.

Nach jüngsten Angaben des Uno-Palästinenserhilfswerks UNRWA sind 40 Prozent der Menschen in Gaza von einer Hungerkatastrophe bedroht. «Jeder Tag ist ein Kampf ums Überleben, um das Finden von Nahrung und Wasser», erklärte der Gaza-Direktor von UNRWA, Thomas White. In den vorübergehenden Unterkünften mit Zehntausenden Vertriebenen auf engstem Raum nehmen Krankheiten nach Angaben des Uno-Nothilfebüros zu. Gesundheitsdienste seien überfordert. Immer wieder neue von Israel angeordnete Vertreibungen machten ihre Aufgabe noch schwieriger.

Der Krieg in Gaza dauert mittlerweile fast drei Monate an. Auslöser war das schlimmste Massaker in der Geschichte Israels, das Terroristen der islamistischen Hamas sowie anderer extremistischer Palästinenserorganisationen am 7. Oktober in Israel verübt haben.

Israel reagierte mit massiven Luftangriffen und begann Ende Oktober mit einer Bodenoffensive. Ziel ist die völlige Zerstörung der Hamas. Angesichts der katastrophalen humanitären Lage in dem abgeriegelten Küstengebiet und der hohen Zahl ziviler Opfer geriet Israel zuletzt international immer mehr in die Kritik. Die Zahl der getöteten Palästinenser beläuft sich nach Angaben der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde auf 21’978. Die Zahlen lassen sich nicht unabhängig überprüfen.

Israelische Ermittler rekonstruieren aktuell anhand von rund 200’000 Fotos und Videos sowie 2000 Zeugenaussagen das Massaker vom 7. Oktober in der Absicht, ein Gerichtsverfahren gegen die Verantwortlichen einzuleiten, wie das «Wall Street Journal» berichtete. Es dürfte das bedeutendste Verfahren seit dem Prozess gegen den NS-Verbrecher Adolf Eichmann in Israel im Jahr 1961 werden. Dieser hatte während der Zeit des Nationalsozialismus Millionen Juden in Vernichtungslager deportieren lassen. Eichmann wurde zum Tode verurteilt und gehängt.

Gerichtsmedizinische Beweise, die der Zeitung nach eigenen Angaben von israelischen Beamten zur Verfügung gestellt wurden, zeigten unter anderem, dass einige Opfer bei lebendigem Leibe verbrannt worden seien. Auf Fotos seien Verstümmelungen an Körpern der Opfer zu sehen, darunter auch der Geschlechtsorgane von Männern und Frauen. Die Leichen von Frauen und Mädchen wiesen demnach diverse Anzeichen sexueller Gewalt auf. Die Hamas bestreitet, Kinder getötet und Frauen vergewaltigt zu haben.

29 israelische Soldaten durch Unfall oder Eigenbeschuss getötet.

Jeder Sechste der seit Beginn der Bodenoffensive im Gazastreifen gefallenen israelischen Soldaten ist versehentlich durch eigene Kameraden oder einen Unfall getötet worden. Die israelische Armee bestätigte am Montag entsprechende Medienberichte. Dies betreffe insgesamt 29 Soldaten. 18 davon seien durch Beschuss eigener Truppen ums Leben gekommen. Zwei weitere wurden durch einen versehentlich gelösten Schuss getötet und neun weitere durch Unfälle etwa mit Munition.

In der Neujahrsnacht gab es in Israel unterdessen erneut Raketenalarm in mehreren Städten. An der Grenze zum Gazastreifen und im Landesinnern heulten die Sirenen, wie die Armee mitteilte. Der bewaffnete Arm der islamistischen Hamas, die Kassam-Brigaden, reklamierte Raketenangriffe auf den Grossraum Tel Aviv für sich. Nach israelischen Medienberichten wurden mehr als 20 Raketen Richtung Israel abgefeuert. Die meisten seien abgefangen worden. Nach Angaben des Rettungsdienstes wurden zunächst keine Verletzten gemeldet.

Die Armee berichtete, den Kommandeur der Hamas-Einheit «Nuchba» (deutsch: «Elite») in Dair al-Balah im zentralen Abschnitt des Küstenstreifens bei einem Luftangriff getötet zu haben. Er sei führend an dem Terrorangriff am 7. Oktober beteiligt gewesen. Von der Hamas gab es dazu zunächst keine Reaktion. Am Montag dauerte auch der gegenseitige Beschuss an Israels Grenze zum Libanon an.
Bei einem israelischen Luftangriff im Gazastreifen wurde nach Medienberichten auch ein ehemaliger Minister der Palästinensischen Autonomiebehörde getötet. Scheich Jussef Salama, ehemaliger Minister für religiöse Angelegenheiten sowie Prediger in der Al-Aqsa-Moschee in Jerusalem, sei am Sonntag durch einen Angriff auf sein Haus im Flüchtlingsviertel al-Maghasi getötet worden, berichtete die palästinensische Nachrichtenagentur «Wafa». Auch Angehörige des 68-Jährigen seien dabei verletzt worden. Die Ehefrau des Ministers starb nach palästinensischen Angaben später an ihren Verletzungen.

Unterdessen kam es bei Angriffen jemenitischer Huthi-Rebellen auf Handelsschiffe im Roten Meer zu einer direkten Auseinandersetzung mit dem US-Militär. Die proiranische Gruppe habe ein dänisches Containerschiff von vier kleinen Booten aus mit Kleinwaffen angegriffen und versucht, auf das Schiff zu gelangen, teilte das zuständige US-Regionalkommando mit. Ein Sicherheitsteam an Bord habe das Feuer erwidert. US-Kräfte seien dann eingeschritten.

«Die Hubschrauber der US-Marine erwiderten das Feuer in Selbstverteidigung, versenkten drei der vier kleinen Boote und töteten die Besatzungen», hiess es. «Das vierte Boot floh aus dem Gebiet.» Auf US-Seite habe es keine Schäden oder Verletzte gegeben.

Seit Ausbruch des Gaza-Krieges greifen Huthi immer wieder Schiffe mit angeblich israelischer Verbindung im Roten Meer an. Auch greifen sie Israel immer wieder direkt mit Drohnen und Raketen an.

Foto:
IDF-Soldaten im Einsatz im Gazastreifen
©tachles

Info:
Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 2. Januar  2024