Bildschirmfoto 2024 02 06 um 22.09.38Ein Rückblick aus aktuellem Anlass

Kurt Nelhiebel

Bremen (Weltexpresso) – Dem Chefredakteur des „Israelitischen Wochenblattes“ in Zürich, Kurt Roschewski, flatterte im März 1964 ein Text auf den Tisch, der ihm den Atem verschlug. Er offerierte ihn seiner Leserschaft mit den Worten: „Dieser Tage erhielten wir aus Frankfurt die folgende Mitteilung“:

„Man fragt sich, welcher Teufel die Ordenskanzlei des deutschen Bundespräsidenten geritten hat, als sie einen Mann zur Auszeichnung mit dem Großkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland vorschlug, dessen Namen im Zusammenhang mit der nationalsozialistischen Verfolgung in höchst unangenehmer Erinnerung ist. Wir meinen den ehemaligen Direktor im IG-Farbenkonzern und vormaligen SS-Obersturmbannführer Dr. Ing, Heinrich Bütefisch.

Bütefisch wurde vom alliierten Militärtribunal in Nürnberg 1948 wegen der nachgewiesenen Beteiligung an der Versklavung und Tötung der Zivilbevölkerung, von Kriegsgefangenen und Konzentrationslager-Insassen zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt. Bütefisch war mitverantwortlich für die Verwendung und die Behandlung von Häftlingen des Lagers Auschwitz-Monowitz in den Unternehmungen des IG Farben am selben Ort. An der Verbindung zwischen SS und IG Farben profitierten diese beiden in großem Ausmaße. Als Mitglied des Freundeskreises von Himmler unterstützte Bürefisch im Auftrag seiner Firma die SS auch durch direkte Finanzbeiträge.

Durch eine solche Ordensverleihung, die man kaum für möglich gehalten hätte, wird das Ansehen der deutschen Bundesrepublik nicht gerade gestärkt. Man muss sich fragen, wie es geschehen konnte, dass Bundespräsident Lübke so unvollständig über die Vergangenheit Dr. Bütefischs unterrichtet wurde und dass ihm dessen Mitwirkung an den verabscheuungswürdigen Vorkommnissen in Auschwitz unbekannt blieb.“

Diesen Artikel schickte ich an das „Israelitische Wochenblatt“ der Schweiz, nachdem es mir nicht gelungen war, die zuständigen Stellen in Deutschland mit einer Schlagzeile auf der ersten Seite der in Frankfurt am Main erscheinenden Wochenzeitung DIE TAT wachzurütteln und zur Rücknahme dieser Beleidigung von Millionen Opfern des Holocaust zu bewegen. Mein Artikel auf der ersten Seite der Ausgabe vom 21. März 1964 lautete folgendermaßen:

Es war in der Woche der Brüderlichkeit. In vielen Städten der Bundesrepublik fanden würdige Veranstaltungen statt. Staatsmänner und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens gaben gut klingende Erklärungen ab. In der Frankfurter Paulskirche wurde in Anwesenheit des Bundespräsidenten Dr. Lübke dem verdienstvollen Wissenschaftler Prof. Dr. Fritz Kauffmann der „Paul-Ehrlich und Ludwig-Darmstädter-Preis“ verliehen. Bei dieser Gelegenheit mahnte der Bundespräsident zur Ehrfurcht und wies auf die „schrecklichen und verabscheuungswürdigen Vorkommnisse“ hin, die jetzt im Auschwitz-Prozess zur Sprache kommen.

Doch welch fataler Zufall: Einige Tage zuvor war dem stellvertretenden Aufsichtsratsvorsitzenden der Ruhrchemie AG, Dr. Ing. Heinrich Bütefisch das Große Bundesverdienstkreuz verliehen worden. Der nordrhein-westfälische Wirtschaftsminister Gerhard Kienbaum hatte es ihm im Namen des Bundespräsidenten in Oberhausen überreicht - demselben Dr. Heinrich Bütefisch, der 1948 vom Militärgerichtshof in Nürnberg zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt worden war, weil er nachweislich für die Ausbeutung von 300 000 Häftlingen des KZ-Lagers Auschwitz verantwortlich gewesen ist. Er hatte vornehmlich jüdische Männer und Frauen von den SS-Sklavenhaltern für ein geringes Entgelt „gemietet“. Es ist derselbe Dr. Bütefisch, der als SS-Sturmbannführer und Wehrwirtschaftsführer dem Freundeskreis Himmlers angehörte und im Auftrag der IG-Farbenindustrie der SS größere Geldsummen zur Verfügung gestellt hatte, u.a. einmal 100.000 Reichsmark. (Siehe „Die Tat“ Nr. 10 vom 7. 3. 1964).

Der Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland ist am 7. September 1951 durch den damaligen Bundespräsidenten Prof. Heuss in dem Wunsche gestiftet worden, verdienten Männern und Frauen des deutschen Volkes und des Auslandes Anerkennung und Dank sichtbar zum Ausdruck zu bringen, wie es in der Präambel des Erlasses heißt. Über alle Ordensvorgänge, die nach den aufgestellten Richtlinien vertraulich behandelt werden, wacht die Ordenskanzlei des Bundespräsidialamtes. Es wäre gewiss nicht uninteressant einmal zu analysieren, wer sich im Laufe der letzten Jahre so große persönliche Verdienste um Staat und Volk erworben hat, um mit dem Großkreuz, dem Großen Bundesverdienstkreuz oder dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet zu werden. Dass ehemalige Hitlergenerale wie Speidel und Heusinger und der ehemalige Regierungsrat im Nazi-Innenministerium der spätere Staatssekretär Dr. Globke zu den Dekorierten gehören, haben wir bereits früher mit Empörung zur Kenntnis nehmen müssen. Und sie sind ganz gewiss nicht die einzigen, die trotz ihrer Mitwirkung an Maßnahmen des nationalsozialistischen Unrechtsstaates zu den „neuen Herren“ geworden sind.

Jetzt also gehört auch der Dr. Heinrich Bütefisch zu der Elite der Ordensträger. Diese Auszeichnung zur Zeit der Woche der Brüderlichkeit und des Auschwitz-Prozesses mutet uns wie eine teuflische Satire an. Was soll man dazu sagen, dass in Frankfurt einigen der übelsten Menschenschinder und Totschläger von Auschwitz der Prozess wegen der „schrecklichen und verabscheuungswürdigen Vorkommnisse““ gemacht wird, um die Worte des Bundespräsidenten zu gebrauchen, und dass zur gleichen Zeit im Namen des Bundespräsidenten einem gerichtsnotorisch als Sklavenausbeuter Bestraften des Großen Bundesverdienstkreuz verliehen wird? Was sagt die Öffentlichkeit, was sagen die übrigen Träger des Verdienstordens zu diesem unwürdigen Akt, der uns die Schamröte ins Gesicht treibt?

Oder soll damit etwa die „Aussöhnung“ eingeleitet werden, von der Bundeskanzler Erhard auf dem CDU-Parteitag in Hannover gesprochen hat? Der Orden für Bütefisch ist ein makabrer Beitrag zur Wochen der Brüderlichkeit, dessen Beurteilung auch auf jene zurückfällt, die diese unglaubliche Verhöhnung der Auschwitz-Opfer inszeniert haben. (Schluss folgt).

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©Zeitung DIE TAT vom 21.3.1964