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Zum 75. Geburtstag des Grundgesetzes am 23. Mai, Teil 3/3 

Conrad Taler

Bremen (Weltexpresso) - Im Deutschlandvertrag von 1952 hat sich die Bundesrepublik Deutschland gegenüber den Westmächten verpflichtet, den Verfolgten des Naziregimes zumindest jene Rechtsstellung zu garantieren, die das US-Entschädigungsgesetz vorsah, und zwar „ohne Diskriminierung irgendwelcher Gruppen oder Klassen verfolgter Personen“. Gegen diese Verpflichtung verstieß die Bundesrepublik nicht nur mit dem Ausschluss von Kommunisten von Entschädigungen nach dem Bundesentschädigungsgesetz, sondern auch mit ihrem Verhalten gegenüber Opfern des NS-Regimes nach der Wiedervereinigung.


Mit dem Gesetz vom 22. April 1992 über die Entschädigung solcher Opfer in den neuen Bundesländern werden Leistungen ebenfalls vom Verhalten der Anspruchsberechtigten nach dem Zusammenbruch des Nationalsozialismus abhängig gemacht und damit in Prämien für politisches Wohl verhalten in der Gegenwart umgewandelt.


Aber manch einem genügte es nicht, Opfer nationalsozialistischer Verfolgung mit dem Entzug von materiellen Leistungen dafür zu bestrafen, dass sie ihre Weltanschauung nicht preisgeben wollten,  sie sollten auch in ihrer moralischen Existenz getroffen werden. Franz Josef Strauß erklärte: „Wer als Antifaschist gelten will, der muss Anti- Totalitarist sein, der muss gegen alle totalitären Systeme sein.“ (Frankfurter Rundschau, 14. Januar 1987).  Der „Antifaschismus“ sei eine Wortschöpfung der Kommunisten, die sich zu Tarnzwecken schon in den 30er Jahren dieses Firmenschild zugelegt hätten,  schrieb die rechtsradikale „Deutsche Wochenzeitung“ am 5. Oktober 1979.  Ähnlich äußerte sich der stellvertretende CSU-Vorsitzende Friedrich Zimmermann im „Bayern-Kurier“ vom 6. Oktober 1979: „‘Antifaschismus’ ist ... eine Vokabel zur Verschleierung der Gründe, aus denen die Kommunisten ... gegen Hitler waren und kämpften ... Sie dient zur Verschleierung der Ziele des Kommunismus und überdies als Brücke einer verlogenen Gemeinsamkeit, auf die vor allem die Sozialdemokratie gelockt werden soll.“  Hingegen meinte der nordrhein-westfälische Kultusminister Jürgen Girgensohn (SPD), ehemals Angehöriger der Waffen-SS: „Ich unterscheide sehr wohl, wer im Zweiten Weltkrieg die anderen Völker überfallen und die Juden vergast hat - das waren die Rechtsradikalen und nicht die Kommunisten. Die saßen in Konzentrationslagern.“ Als es Ende der 1980er Jahre in Berlin zu einem Konflikt wegen einer katholischen Ausstellung über den Widerstand gegen Hitler kam, wandte sich die damalige Bürgermeisterin und Schulsenatorin Hanna-Renate Laurin (CDU) dagegen, den kommunistischen Widerstand wegzulassen. In einem Brief schrieb sie: „Ich kann Ihre Auffassung nicht teilen, den kommunistischen Widerstand von anderem, so genanntem freiheitlichen Widerstand wertend zu unterscheiden. Wer gegen Hitler aufstand, tat dies im Namen der Menschlichkeit.“ (AP, 11. Juli 1988). 

 

Dass der Neonazismus immer noch und schlimmer denn je sein Unwesen treibt, wird man schwerlich den Antifaschisten anlasten können. Dafür haben andere geradezustehen, auch jene, die dem Antifaschismus einen Platz in der Gesellschaft verwehren möchten und dabei fragwürdige intellektuelle Allianzen nicht scheuen. Angefangen vom ehemaligen SS-Untersturmführer Erich Kernmayer über Franz Josef Strauß bis hin zur Politikwissenschaftlerin und ehemaligen Adorno- Schülerin Antonia Grunenberg spannt sich der Bogen derer, die im Antifaschismus nicht den Reflex auf die Bedrohung der Welt durch den Faschismus sehen, sondern das Phantasieprodukt antideutscher kommunistischer Weltverschwörer. Für Erich Kernmayer, unter dem Schriftstellernamen Erich Kern Verfasser rechtsradikaler Bücher und zeitweiliger Bundespressereferent der Waffen-SS-Hilfsorganisation HIAG, hatten Hitlergegner seit ihrer Emigrationszeit „ein innerlich gestörtes Verhältnis zum deutschen Volk, das ja in seiner erdrückenden Masse weder emigriert ist noch sich in einem Widerstand befand“ (Erich Kern, „SPD ohne Maske“, National-Verlag, Hannover 1971, S. 42). Der CSU-Vorsitzende und bayerische Ministerpräsident Strauß erklärte: „Diese Volksfront- und Antifa-Mythologie birgt die Gefahr der Selbstzerstörung eines normalen Geschichtsbildes.“ (Frankfurter Rundschau, 14. Januar 1987). Bei Antonia Grunenberg heißt es: „Der Antifaschist war innerlich zerrissen ... Der Antifaschist war im Grunde ein unpolitischer Mensch ... er war heimatlos, nicht nur weil man ihm die Heimat genommen hatte, sondern weil er die demokratische Republik zugrunde gerichtet hatte, das sozialistische Reich der Zukunft nicht hatte aufbauen können und schließlich Opfer und Täter im Stalinismus wurde.“ („Antifaschismus - ein deutscher Mythos“, Rowohlt Taschenbuchverlag 1993). 

 

Für Antonia Grunenberg sind Antifaschismus und Kommunismus beliebig austauschbar. Sie argumentiert damit  im Grunde wie einst die SED, die sich für die Inkarnation des Antifaschismus hielt. Kühn behauptet die Politikwissenschaftlerin in Anspielung auf die Prozesse gegen Stalins Widersacher Bucharin, Sinowjew, Radek und Kamenew, ihre Ermordung sei „auch im Namen der anti-faschistischen Moral“ erfolgt. (S. 68) Stalins antijüdische Affekte sind ihrer Ansicht nach Ausdruck eines „antifaschistischen Antisemitismus“ (S. 190). Wer wie Antonia Grunenberg meint, sein Publikum mit der banalen Botschaft beeindrucken zu können, für die Kommunisten sei „die Niederlage des nationalsozialistischen Terrorsystems ein Sieg“ gewesen, der übersieht, dass „alle Hoffnung der Menschheit auf der Niederlage Hitlers beruhen musste“, wie Thomas Mann sich 1941 ausdrückte. Für ihn war das Wort antifaschistisch noch fünf Jahre nach Kriegsende eine geläufige Metapher zur Kennzeichnung einer konsequent demokratischen Einstellung. Als der Kalte Krieg weltweit Unheil zu stiften begann, warnte er sein Gastland USA vor der Versuchung, „den Faschismus als Waffenbruder zu akzeptieren. Alles wäre besser, wenn Amerika ernsthaft antifaschistisch wäre.“ (Aus: „Frage und Antwort“, Albrecht Knaus Verlag, Hamburg 1983, S. 317). Erika und Klaus Mann verstanden unter Antifaschismus die Zusammenarbeit „aller edleren Elemente des deutschen Geistes, ... die sich einig sind in ihrer unbedingten, leidenschaftlichen Ablehnung des Naziungeistes“.

 

Lange bevor in Deutschland Ausländer wieder um ihr Leben fürchten mussten, hatte sich 1981 in Paris ein internationaler Schriftsteller-Kongress mit der Renaissance von Ideologien und totalitären Haltungen beschäftigt, die sich der Geschichtsfälschung bedienten und Rassismus gegenüber ausländischen Arbeitern, Antisemitismus und Fremdenhass namentlich gegenüber politischen Flüchtlingen begünstigten. In einer Resolution erklärten die Teilnehmer: „Der Faschismus beginnt immer mit der Intoleranz und der Missachtung des anderen.“ Lenkt die Beschäftigung mit der Vergangenheit wirklich ab von den Problemen der Gegenwart, wie manche behaupten? Ist die Beschäftigung mit dem Faschismus nur die Sache von Leuten, die ein Feindbild brauchten, um „das Abgründige in sich selbst nicht ausloten zu müssen“, wie der Psychologe Arno Plack in seinem Buch „Die Gesellschaft und das Böse“ schreibt?  Die Mordanschläge auf Ausländer sind der grauenvolle Beweis, dass es der Fixierung auf ein eingebildetes Feindbild nicht bedarf, um eine Gänsehaut zu bekommen. Der Antifaschismus hat sich wie das Grundgesetz  nicht überlebt. Nach allem, was sich seit der Wiedervereinigung in Deutschland zugetragen hat, kann nicht mehr zweifelhaft sein, was mehr zu schelten ist - die Unwilligkeit, sich mit dem Rechtsextremismus  auseinanderzusetzen, oder das - wie „Die Zeit“ 1984 formuliert hat - Bestreben vieler Antifaschisten, die Gefahr von rechts zu dämonisieren.

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Info:
Aus Conrad Taler, „Gegen den Wind“, PapyRossa Verlag 2017