Gehalten in der Andreaskirche zu Bremen anläßlich eine Vortrags zum Ukrainekrieg
Helmut Hafner
Bremen (Weltexpresso) - Die christliche Religion, mit der ich aufgewachsen bin, setzt sich in ihren Schriften für Frieden und Gewaltlosigkeit ein. Das christliche Liebesgebot schließt sogar die Feindesliebe ein. Gleichwohl ist die 2000jährige Geschichte des Christentums auch eine Geschichte der Gewalt. Im Namen Jesu wurden von Christen Kriege geführt, ganze Völker ausgerottet, Menschen verbrannt, zerstückelt, gequält. Kein Kontinent der Erde ist so mit Blut durchtränkt wie das christliche Europa.
In seinem Buch „Die Klage des Friedens“ aus dem Jahr 1517 lässt Erasmus von Rotterdam (1466-1536) den Frieden sagen:
„Wenn ich das Wort Mensch höre,
laufe ich eilends hin
wie zu einem eigens für mich geborenen Wesen,
voll Vertrauen, dass ich dort Ruhe finde.
Wenn ich den Titel Christen höre,
eile ich noch schneller herbei,
voll Hoffnung, dass ich bei ihnen sicherlich herrschen werde.
Aber so tief es schmerzt,
ich muss gerade hier voller Scham gestehen:
die Marktplätze, die Gerichtshöfe, die Rathäuser und Kirchen dröhnen bei ihnen vom Streit wie nirgends bei den Heiden.“
Der Friede will dann bei der Schar der Gebildeten Zuflucht suchen. Doch auch dort muss er schmerzlich feststellen:
„Hier finden Kriege anderer Art statt,
nicht so blutig zwar, aber nicht weniger unsinnig...
Die zerfleischen sich gegenseitig auf dem Schreibpapier,
und jeder schießt auf den anderen seine tödlichen Wortspitzen ab.“
Am Ende fragt der Frieden,
ob nicht wenigstens im Herzen eines Menschen für ihn Platz ist
und er muss feststellen:
„Aber nicht einmal das wurde mir zu teil,
ein- und derselbe Mensch kämpft mit sich selbst,
die Vernunft führt Kriege mit den Leidenschaften
und obendrein kämpfen die Leidenschaften untereinander.“
Was Erasmus so realistisch beklagt, hat im vergangenen Jahrhundert mit den Weltkriegen und Völkermorden unbeschreibliche Tiefpunkte erreicht.
Wir sind heute stolz auf die Aufklärung, die circa 250 Jahre nach dem Text von Erasmus Licht bringen wollte und sollte in das menschliche Dunkel.
Die Philosophen Adorno und Horkheimer haben 1944 ein Buch geschrieben mit dem Titel „Dialektik der Aufklärung“, das mit den Sätzen beginnt:
"Seit je hat Aufklärung... das Ziel verfolgt, von den Menschen die Furcht zu nehmen und sie als Herren einzusetzen. Aber die vollends aufgeklärte Erde strahlt im Zeichen triumphalen Unheils."
Im 19. Jahrhundert haben sich dann die Träume vom grenzenlosen Fortschritt und allgemeinen Wohlstand entwickelt. Es war das Jahrhundert der Verheißungen in alle Richtungen.
Aber das 20. Jahrhundert hat die Verheißungen zurückgenommen, es wurde, so hat es die Philosophin Agnes Heller einmal in Bremen formuliert, das Jahrhundert der Katastrophen: "Der Übermensch wurde der Untermensch, die Kultur wurde gerichtet, nicht gerettet,... Die Vorurteilslosigkeit wurde zum Rassismus, die Entwicklung der ... Technologie wurde zur Technik der Vergasung..."
Die Niederlage der Menschenfeindlichkeit 1945 hat die Menschenfeindlichkeit nicht beseitigt.
Die Organisierung von Bosheit und Gemeinheit ist immer wieder möglich.
Schon länger erleben wir ja die zunehmende Trennung von Politik und Macht. Die entfesselten Kräfte der Globalisierung entziehen sich nationalstaatlicher Kontrolle. Die territoriale Souveränität des Nationalstaats erodiert. Er verliert seine Problemlösungskompetenz und damit seine Schutzfunktion.
Die Hegemonie der neoliberalen Ideologie hat dazu geführt, dass sich das solidarische Denken in unserer offenen Gesellschaft aufgelöst hat.
Gesellschaftliche Solidarität wurde zu Gunsten individueller Selbstverantwortung verdrängt. Es ist Sache des Einzelnen geworden, für sein persönliches Überleben in einer zersplitterten und unberechenbaren Welt zu sorgen. Aber seine Ressourcen dafür sind unzulänglich.
Das allgemeine Gefühl der Verunsicherung und der Bedrohung löst zwischenmenschliche Bande auf und schürt das Misstrauen aller gegen alle. Jeder ist für den anderen ein potentieller Gegner und KNationalistische und rechtspopulistische Parteien sind in vielen Ländern im Aufwind. In manchen stellen sie schon die Regierung. Aus dem Traum Europa könnte wieder ein Alptraum werden.
Das Europäische Haus ist ein großes Haus mit vielen Räumen, vielen Türen, vielen Kulturen und vielen Arten von Menschen. Dieses Haus bewahrt die europäische Vielfalt und den Reichtum, der sich aus dieser Vielfalt ergibt. Erst das sichert den Frieden.
Foto:
Andreaskirche
©Landesamt für Denkmalpflege Bremen