Bildschirmfoto 2024 09 04 um 02.38.22Gewerkschaften und Israel gegen Netanyahu

Redaktion tachles

Tel Aviv (Weltexpresso) - Ein großer Proteststreik sowie die grössten Massenproteste in Tel Aviv seit Kriegsbeginn sollten Regierungschef Binyamin Netanyahu dazu bewegen, einen Deal mit der islamistischen Hamas zur Freilassung der verbliebenen Geiseln einzugehen. Unterstützer der Regierung kritisierten, die Protestbewegung spiele damit der Terrororganisation Hamas in die Hände und ermutige diese nur zur Beibehaltung einer harten Verhandlungsposition.


Ein Arbeitsgericht ordnete am Montagmittag ein vorzeitiges Ende des Streiks an, weil dieser politisch motiviert sei.

Die israelische Armee hatte am Sonntagmorgen bekanntgegeben, dass kurz zuvor sechs Geisel-Leichen in einem unterirdischen Tunnel im Süden des Gazastreifens entdeckt worden waren. Das israelische Gesundheitsministerium teilte nach Medienberichten mit, die Geiseln seien etwa 48 bis 72 Stunden vor der Autopsie der Leichen aus nächster Nähe erschossen worden. Ein Hamas-Sprecher sagte dagegen, die Geiseln seien durch israelisches Bombardement ums Leben gekommen.


Der israelische Aussenminister Israel Katz kündigte nach dem Tod der sechs Geiseln eine harte Reaktion an. <Die Terrororganisation Hamas hat sechs Geiseln brutal hingerichtet, um Angst zu säen und zu versuchen, die israelische Gesellschaft zu spalten», schrieb Katz auf X. «Israel wird mit voller Wucht auf dieses schändliche Verbrechen reagieren. Die Hamas ist verantwortlich und wird den vollen Preis zahlen.»

Aus Protest gegen den schleppenden Verlauf der Verhandlungen über eine Freilassung von 101 verbliebenen Geiseln streikten die Beschäftigten vieler Organisationen und Behörden. Viele Städte und Gemeinden schlossen sich dem Protest an, andere verweigerten dies, weil sie eher der Regierung nahestehen.
Beim Flugverkehr auf dem internationalen Flughafen Ben Gurion bei Tel Aviv kam es nach Medienberichten zu Störungen und Verzögerungen, obwohl die Flughafenbehörde mitgeteilt hatte, alles werde planmässig verlaufen.

Ein israelisches Arbeitsgericht wies den Gewerkschafts-Dachverband jedoch an, den landesweiten Proteststreik, der eigentlich 24 Stunden dauern sollte, um 14.30 Uhr Ortszeit zu beenden. Die Richterin Hadas Jahalom habe eine entsprechende einstweilige Verfügung verhängt, berichteten israelische Medien übereinstimmend.
Als Begründung habe sie erklärt, es handele sich um einen «politischen Streik». Sie folgte damit einem Antrag des Finanzministers Bezalel Smotrich. Smotrich lehnt ebenso wie der rechtsextreme Polizeiminister Itamar Ben Gvir Zugeständnisse an die Hamas ab und drohte Ministerpräsident Netanyahu mehrfach mit dem Platzen der Regierung.
Bei den grössten Massenprotesten seit Beginn des Gaza-Kriegs vor fast elf Monaten forderten Demonstranten am Sonntagabend ein sofortiges Abkommen. In Tel Aviv und anderen Städten kam es in der Nacht teils zu Zusammenstössen mit der Polizei. Nach Polizeiangaben wurden 29 Menschen festgenommen.

Teilnehmer der Protestkundgebung blockierten am Abend eine zentrale Schnellstrasse. Medienberichten zufolge warfen sie Steine, Zäune, Nägel und Metallgegenstände auf die Fahrbahn, entzündeten ein Feuer und schossen Feuerwerkskörper in die Luft. Die Polizei habe die Strasse schliesslich geräumt und dabei Blendgranaten eingesetzt.
«Wir werden sie nicht im Stich lassen», skandierten Demonstranten in Tel Aviv mit Blick auf das Schicksal der Geiseln, die sich noch in der Gewalt der Islamisten befinden. Sie marschierten mit blau-weissen Nationalflaggen auf zentralen Strassen der Stadt. Auf einer Bühne waren symbolisch die Särge der sechs getöteten Geiseln aufgebahrt.

Die indirekten Verhandlungen zwischen Israel und der Hamas, bei denen neben den USA auch Katar und Ägypten als Vermittler fungieren, kommen seit Monaten nicht von der Stelle.
Nach Informationen der «Washington Post» wollen die Vermittler den Konfliktparteien in den kommenden Wochen ein letztes Mal einen Vorschlag für ein Abkommen vorlegen. Sollten beide Seiten auch diesen wieder nicht akzeptieren, könnte es das Ende der Verhandlungen bedeuten, wurde ein ranghoher Beamter der Regierung von US-Präsident Joe Biden zitiert. Der Fund der toten Geiseln in Gaza habe die Dringlichkeit eines Abkommens gezeigt.

Hauptstreitpunkt bei den Verhandlungen ist derzeit die Frage, wie lange israelische Truppen am Philadelphi-Korridor im Süden Gazas an der Grenze zu Ägypten stationiert bleiben dürfen. Israels Sicherheitskabinett entschied kürzlich, an der Kontrolle des Korridors festzuhalten.

In einer Erklärung der Angehörigen der Entführten hiess es dazu, Netanyahu und seine Koalitionspartner hätten damit beschlossen, das Abkommen über eine Waffenruhe für den Korridor «zu torpedieren, und verurteilen die Geiseln damit wissentlich zum Tod».
 

Foto:
Menschen demonstrieren gegen Netanyahu und seine Politik am Montag in Tel Aviv

Info:
Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 2.September 2024