Redaktion tachles
Tel Aviv (Weltexpresso) - Experten und Quellen erklärten gegenüber Haaretz, dass der großangelegte Angriff, bei dem Tausende von Menschen verletzt wurden, durch eine Überhitzung der Pager-Batterien mittels bösartiger Software oder durch das Einbringen von Sprengstoff in die Geräte vor der Lieferung an die Hizbollah erfolgt sein könnte. Beide Methoden würden komplexe und präzise Geheimdienstoperationen vor der Ausführung erfordern.
Die Serie von Bombenanschlägen auf Funkgeräte der Hizbollahim Libanon am Dienstag, die zu Todesopfern und Tausenden von Verwundeten führte, war wahrscheinlich das Ergebnis einer ausgeklügelten Operation, die ein tiefes Eindringen in das Kommunikationsnetz der Organisation erforderte, unabhängig davon, wer sie durchgeführt hat. Nach Angaben von Sicherheits- und Technikexperten, die gegenüber Haaretz anonym bleiben, gibt es zwei Haupttheorien, die die Explosionen erklären.
Die erste Möglichkeit ist, dass die Hintermänner des Anschlags, ähnlich wie bei der Ermordung des ranghohen Hamas-Agenten Yahya Ayyash im Januar 1996, in die Lieferkette des Telekommunikationsunternehmens eingedrungen sind, das die Hizbollah mit den Funkgeräten belieferte, und kleine Sprengsätze in Tausenden von Geräten platziert haben. Eine andere Erklärung, die von Experten angeboten wird, besagt, dass ein Cyberangriff die Batterien der Geräte zur Überhitzung und Explosion brachte.
„Es war ein reiner Cyberangriff“, schätzte einer der Experten, die mit Haaretz sprachen, und erklärte: ‚Man muss nur ein bösartiges Software-Update einspielen und dann einfach auf ‘Enter' drücken.“ Der Experte führte weiter aus, dass eine voll aufgeladene 50-Gramm-Lithium-Batterie eine Hitze erzeugt, die der Explosion von sieben Gramm TNT entspricht. „Wenn Sie eine Lithium-Batterie kurzschliessen, erhitzt sie sich extrem schnell, innerhalb von Sekunden“, erklärte er.
Andere Quellen halten es jedoch für unwahrscheinlich, dass ein Cyberangriff allein die Art von Explosionen verursacht hat, die auf den Videoaufnahmen von verschiedenen Orten im Libanon zu sehen sind. Sie halten es für plausibler, dass explosive Komponenten während des Herstellungs- oder Lieferprozesses in die Geräte eingebaut wurden. Diesen Quellen zufolge könnte der Sprengstoff tatsächlich aus der Ferne gezündet werden.
Ob durch Infiltration der Lieferkette oder durch Cyberangriffe, die Operation hätte umfangreiche Geheimdienstarbeit erfordert, um die richtigen Geräte ins Visier zu nehmen. Dazu müssten die Nutzer des Funknetzes der Hizbollah kartiert, Schwachstellen identifiziert und der Angriff entsprechend angepasst werden.
Verschiedenen Berichten zufolge überhitzten die Funkgeräte, bevor sie explodierten. Sky News Arabia berichtete unter Berufung auf seine Quellen, dass der Mossad angeblich Sprengstoff in den Batterien platziert und die Explosionen durch Erhöhung der Temperatur ausgelöst habe. Der Bericht behauptete, der verwendete Sprengstoff sei PETN.
Libanesische Sicherheitsquellen, die von Al Jazeera zitiert wurden, stellten fest, dass die Menge des Sprengstoffs 20 Gramm nicht überstieg. Drei libanesische Quellen sagten Reuters, dass es sich bei den Funkgeräten um ein neues Modell handelte, das die Hizbollah kürzlich erworben hatte. Eine Quelle der Hizbollah sagte dem Wall Street Journal, dass eine Theorie darin besteht, dass in den Geräten bösartige Software installiert worden sein könnte.
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Ein Polizeioffizier bei einem Auto, in dem ein Pager explodierte am Dienstag in Beirut,
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100 Verletzte bei erneuten Explosionen im Libanon
Redaktion tachles
Bei erneuten Explosionen zahlreicher elektronischer Geräte sind im Libanon nach Behördenangaben mindestens 100 Menschen verletzt worden. Das libanesische Gesundheitsministerium teilte zudem mit, dass dabei am Mittwoch mindestens ein Mensch getötet wurde. Libanesische Sicherheitskreise hatten der Deutschen Presse-Agentur zuvor berichtet, dass Funkgeräte von Hisbollah-Mitgliedern explodiert seien. Aus Kreisen der schiitischen Miliz hiess es ebenfalls, «drahtlose Geräte wie Walkie-Talkies» seien explodiert.
Augenzeugen im südlichen Vorort Beiruts berichteten: «Wir hören die gleichen Geräusche wie gestern.» Zeitgleich fanden dort Beerdigungen von Mitgliedern der Schiitenorganisation statt, die am Vortag durch explodierende Pager, also tragbare Funkempfänger, getötet wurden. Der ranghohe Hisbollah-Funktionär Hashim Safieddine sagte währenddessen und als Reaktion auf die explodierten Pager vom Vortag: «Diese Aggression hat ihre eigene Strafe und Vergeltung, und die Strafe wird kommen.»
Auf Videos in sozialen Medien war zu sehen, wie sich Panik während der Beerdigungszeremonie verbreitete, nachdem Knallgeräusche zu hören waren. Auch in der Hafenstadt Tyrus im Süden des Landes waren Explosionsgeräusche zu hören, berichteten Menschen von vor Ort. Zahlreiche Krankenwagen seien dort im Einsatz.
Am Dienstag waren an mehreren Orten im Libanon gleichzeitig hunderte Pager explodiert, die Menschen unter anderem in Hosentaschen hatten. Dabei wurden rund 2.800 Menschen verletzt und mindestens zwölf starben an ihren Verletzungen. Unter den Verletzten sollen viele Kämpfer der pro-iranischen Hisbollah sein, die vom Libanon aus gegen Israel kämpft. Deshalb steht die Vermutung im Raum, dass Israel den Angriff gesteuert hat. Israels Armee wollte die neue Welle an Explosionen auf Anfrage erneut nicht kommentieren.
Das israelische Militär teilte mit, dass mehr als 30 Geschosse aus dem Libanon Richtung Israel abgefeuert worden seien. Berichte über Verletzte gab es zunächst nicht.
Info:
Nachdruck der Artikel mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 18. September 2024