Frankfurter Buchmesse 2024: Empfang und Lesung am Hessischen Gemeinschaftsstand
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Das muß erst einmal jemand Großkopfiger dem Hessischen Minister für Wissenschaft und Kunst nachmachen! Er hörte 45 Minuten einer Diskussion zu, bevor er das Wort ergriff. Dazu gleich mehr! Wie gut, daß auch diesjährig das Land Hessen den Gemeinschaftsstand „Literatur in Hessen“ auf der Frankfurter Buchmesse organisiert hat. Dort bietet das Land 27 hessischen Verlagen und einer Verlagsauslieferung die Möglichkeit, sich auf der wichtigsten Buchmesse der Welt zu präsentieren.
In der Einladung hieß es: „Eine besondere Sache ist die kombinierte Lesung und Diskussion über den in diesem Jahr erschienen Band 'Demokratie gestalten. Eine Aufforderung zum Handeln' mit anschließendem Empfang. Zur Diskussion über das Buch DEMOKRATIE GESTALTEN. Eine Aufforderung zum Handeln, erschienen bei der FAZ , waren die Herausgeber Frank E.P. Dievernich, Jasmin Schülke, Paula Macedo Weiß und der Mitautor Joachim Unseld gekommen, die von der Moderatorin Sarah Tacke ins Gespräch über dies Buch und die darin enthaltende aktuelle Bestandsaufnahme demokratischen Denkens und Handelns gebracht wurden, was nicht schwer war, denn wie wichtig ihnen dieses Anliegen ist, wurde deutlich. „. Das Buch ist ein Aufruf, Demokratie nicht nur als gegeben hinzunehmen, sondern sie aktiv zu gestalten, damit wir auch in Zukunft die Früchte einer pluralen und freiheitlichen Gesellschaft ernten können. „ hieß es in der Einladung. Und auch, daß anschließend Staatsminister Timon Gremmels gemeinsam mit Frau Dietlind-Grabe-Bolz (Vorsitzende des Hessischen Literaturrats) und Herrn Lothar Wekel (Vorsitzender des Landesverbands des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels) offiziell begrüßen und in den privaten Plausch überleiten wird.
„Demokratie gestalten“ lautet der Untertitel des knallgrünen Bandes, der auf dem Umschlag in Silhouette die Paulskirche erkennen läßt, Symbol für Demokratie,a ber auch für Aufklärung und Handeln. Für wie wichtig, weil notwendig diese Aufforderung ist, kam im Gespräch deutlich zum Ausdruck. Es stimmt ja, wenn ein Satz fällt wie: „Demokratie war immer da, selbstverständlich“, denn nicht die heutige Generationen, sondern die Kriegs-und Nachkriegsgenerationen haben mit dem Grundgesetzt und in Hessen der Hessischen Verfassung Freiheit und Recht zur öffentlichen Norm gemacht. Und es stimmt auch, wenn es weiter heißt: Jetzt wird unsere Demokratie angegriffen, wir müssen sie verteidigen!“ l
Erst kam Frank Dievernich zu Wort, der den Beitrag JUGEND UND DEMOKRATIE – IHR SEID GEMEINT verfaßt hatte und anschaulich darlegte, wie wichtig es ist, daß die vorhandenen Rechte von den Betroffenen auch genützt und in mündliches oder schriftliches Beteiligen umgesetzt werden. Erst heute hat mir gegenüber wieder mal einer gesagt, man könne hier ja nicht offen reden, das sei verboten. Solch ein Unsinn! Man soll sich nicht rassistisch äußern und keine Flaggen verbrennen, aber ich habe noch nie erlebt, daß jemandem der Mund verboten wurde, selbst mir nicht, die ich immer wieder in guter Journalistenmanier wider den Stachel löcke. Also Jugend und Demokratie, das ist gebongt. Daß davor aber Hürden bestehen, machte dann der Beitrag des Frankfurter Verlegers Joachim Unseld deutlich, der einem angesichts des Verkaufs des durch seine Stiefmutter okkupierten Suhrkampverlages eh immer schon leid tut. Er wurde aufgefordert, aus seinem Beitrag vorzulesen, was ein neues Faß aufmachte, die schwindende Lesefähigkeit von Schülern, aus denen dann halbanalphabetische Erwachsene werden.
In der Tat ist das eine gewaltige Aufgabe, wo doch prozentual z.B. das dirigistisch geführte Kuba eine bessere Analphabetenrate hat als Deutschland. Immer noch der Nachhall einer gesellschaftlichen Situation Kubas nach der Revolution, wo das Lesen- und Schreibenkönnen der Auftakt zur tätigen Teilhabe an der Gesellschaft bedeutete. Mal ganz abgesehen davon, daß insbesondere die Moderatorin genau hinhörte, als Unseld von den jährlich neu erscheinenden 70 000 Büchern sprach und unserer Kompetenz das noch wahrnehmen zu können, wandte er sich dann dem elementaren Schulstoff zu: dem Lesekönnen. Daß die Lesekompetenz abnimmt, ist überall zu lesen. Man versteht sie nur irgendwie nicht. Daddeln die jungen Leute nicht dauernd auf ihren Handys und schicken sich Botschaften. Eigentlich schon, nur sind das oft banale Begriffe des Alltags und keinerlei geistige Herausforderungen, wo Nachdenken und Formulieren die Folge wäre. Wenn ich aber schon einen Text nicht lesen, nicht verstehen kann, kann ich nichts damit anfangen. Der Abschlußtext in seinem Beitrag lautet: „Um es mit den Worten eines der großen Schriftsteller zu sagen, dem berühmten Mario Vargas Llossa:‘Ich bin fest überzeugt, daß ein Land, in dem man viel liest, eine stärker verankerte Demokratie besitzt, als Länder, in denen Romane gering geschätzt werden.‘“ Schön gesagt. Hoffentlich wahr.
Jasmin Schülke, die im Band vor allem Interviews mit bekannten Frankfurtern geführt hat, soll nicht unter den Tisch fallen. Sie hatte genug Material gesammelt, um die Fragestellung der Gefährdung der Demokratie zu konkretisieren, wobei Demokratie immer auch bedeute, mit Veränderungen umgehen zu können. Das ist vor allem angesichts der Ängste, die eine schnellebige Gesellschaft mit ständigem wirtschaftlichem Nieder- und Untergang und Neugründungen, einfach vermittelt, notwendig, so etwas wie Resilienz zu erwerben.
Eine andere Tonart schlug dann Minister Gremmels,an dessen Vorname Timon auch sofort Bildungsbewußte herausfordert, wissen die doch, daß der Name aus dem Griechischen stammt und mit Ehre zu tun hat. Er war nämlich als Minister für die schönen Dinge angekündigt worden und das ist ja auch so, wenn unsereiner einen Ministerposten übernehmen sollte, soll schon Literatur, Kunst , Musik und Wissenschaft, ach ja, Film auch dabei sein. Während wir noch immer staunten, daß ein Minister stehend – wenige konnte sitzen – eine Dreiviertelstunde der Diskussion zugehört hatte, kam er dann zu wesentlichen Anforderungen wie denen, daß die Kompetenz zwischen Nachricht und Meinung unterscheiden zu können, ebenfalls Grundlage für demokratische Prozesse sei.
Was für uns Journalisten zu verfolgen ist, sind Aussagen wie die, daß die Hirnentwicklung durch fehlendes Lesen und auch fehlendes Vorlesen negativ verläuft, weil bestimmte Hirnareale nicht gefordert und somit nicht benutzt werden, was dazu führen kann, daß der Betreffende Ja und Nein, Wahrheit und Lüge nicht mehr unterscheiden kann. Die vorgenommene Digitalisierung unserer Schulen, nicht überall nur Absicht, ist also nicht das Gelbe vom Ei, sondern kann, wenn das Lesen nicht für wichtiger, ja selbstverständlich gehalten wird, sogar die Staatsbürgerkompetenzen untergraben. Na dann, Gute Nacht!
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Info:
Dievernich, Schülke, Macedo Weiß (Hg.), Demokratie gestalten. Eine Aufforderung zum Handeln, Frankfurter Allgemeine Zeitung 2024
ISBN 978 3 96251 182 1