Tagesschau25wollen die männlichen Herrscher durch einen Erlaß in Afghanistan absichern

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Na so was! Das Verbot gilt für „Orte, die gewöhnlich von Frauen benutzt werden“, heißt die Unterüberschrift in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) am letzten Tag des Jahres, am 31. Dezember 2024. Dabei wähnt man sich im Mittelalter. Was die Überschrift und der folgende Artikel nämlich verschweigen, ist die umgekehrte Sicht: Frauen können durch verhängte Fenster die Welt draußen nicht mehr sehen!

Der Hinweis auf das Mittelalter war sowieso falsch. Das ist eine Redensart, die einsichtig klingt und jeder weiß, was gemeint ist, sie ist und war aber, was Frauen angeht, grundfalsch. Das weiß man schon lange, daß im ‚finsteren Mittelalter‘ für einen guten Teil der Frauen, der gesettelten bürgerlichen Frauen und vor allem den Handwerkerwitwen, das Leben mit mehr Selbständigkeit und Selbstverwirklichung gestaltet werden konnte als Jahrhunderte später. Aber jetzt zu den Taliban in Afghanistan, die die Frauen zurück in die Abgeschiedenheit ihrer Häuser verdammen, wo sie alles tun sollen, damit es den Männern drinnen und draußen gut geht.

Die Meldungen über ein Arbeitsverbot für Frauen haben wir schon hinter uns, nachdem sie schon nicht mehr in der Schule lernen dürfen, noch Universitäten besuchen (übrigens ein merkwürdiger Ausdruck: eine Universität besuchen! Man besucht sie ja nicht, sondern absolviert eine wissenschaftliche Bildung, heute eher Ausbildung) dürfen, kam als nun wortwörtlich allerletzte Meldung, daß sie nicht mehr als Hebammen Frauen helfen dürfen, ihre Kinder möglichst schonend und sicher zur Welt zu bringen. So viel Frauenverachtung, ja Vernichtung von Frauen hatte man nicht mal den Taliban zugetraut. Wer soll denn jetzt den Geburtsvorgang begleiten. Männer? Natürlich nicht, denn das ist ja noch schlimmer, als arbeitende Frauen. Ach so, eine Decke über die Frau und nur eine Öffnung für den Teil des Körpers, der ja angeblich durch eine Vollverschleierung besonders geschützt werden soll und durch den die Säuglinge geboren werden? Wie widersinnig. Aber mit Sinn hat das Vorgehen und die Ideologie dieser männlichen Islamisten sowieso nichts zu tun.

Also erneut zurück zu den Fenstern. In dem FAZ-Artikel wird auf ein Dekret Bezug genommen, demnach der Einbau von Fenstern in Wohnhäusern verboten ist, „durch die von Frauen genutzte Bereiche einzusehen wären.“ Neubauten dürfen also keine Fenster haben, durch die man „ den Hof, die Küche, den Nachbarsbrunnen und andere Orte, die gewöhnlich von Frauen benutzt werden“ sichten kann. Als Begründung führen laut FAZ der Talibanführer und sein Regierungssprecher an, „Frauen bei der Arbeit in der Küche, im Hof oder beim Wasserholen aus dem Brunnen zu sehen, kann zu obszönen Handlungen führen.“

Obszön ist, solche Obszönität direkt in einen Erlaß zu schreiben, der angeblich zum Schutz der Frauen dienen soll, tatsächlich aber ihre Gefangennahme im eigenen Haus bedeutet. Man stelle sich vor, wie bei uns ganze Häuserfronten ohne Fenster neu gebaut würden, denn am Abend kann man bei Licht natürlich in alle Fenster hineinschauen und auch Frauen sehen, da Fensterläden nicht mehr gebaut, Rollläden nicht mehr genutzt oder gar nicht mehr eingebaut und auch Vorhänge seltener geworden sind.
Wie furchtbar, wenn das Licht nicht mehr nach drinnen dringt und man in einem verdunkelten, die Welt nicht mehr sichtbaren Raum leben muß. Und das soll der Sicherung der in ihnen lebenden Frauen dienen? Nein, umgekehrt. Männer sollen gesichert werden, durch den Anblick von Frauen nicht mehr zu merken, daß sie potentiell Männer mit einem Geschlechtstrieb sind, der durch den Anblick von Frauen geweckt werden könnte. (Auch typisch, daß Männerliebe für die Taliban überhaupt kein Thema ist.) Also ein Erlaß zur Sicherung von Männern, auf daß sie ihre Unschuld bewahren? Wie absurd und menschenverachtend Frauen gegenüber, wenn man sie auf ein Objekt für Männeraugen reduziert.

Was uns dabei auffiel, ist, daß der FAZ-Artikel, für den wir ja dankbar sind, daß er erscheint, übrigens gekennzeichnet mit der Autorenbezeichnung F.A.Z., das staatliche Dekret zitiert, aber es bei der Sicht aus Männeraugen beläßt und überhaupt nicht darauf eingeht, was die fensterlosen Häuser für die bedeutet, die nur in den Häusern leben und sich nicht auf Straßen, Cafés, also öffentlichen Plätzen aufhalten sollen: die Frauen selbst!

So wird im Erlaß einerseits der fensterlose Neubau thematisiert, aber auch die Nachbauten bestehender Häuser vorgeschlagen: „Bei bestehenden Fenstern sollen die Besitzer den Angaben zufolge ermutigt werden, eine Mauer zu bauen oder die Aussicht zu blockieren, um ‚Belästigungen der Nachbarn zu vermeiden‘.“

Der Artikel informiert weiter darüber, daß den in Afghanistan tätigen Nichtregierungsorganisationen (NGOs), die sich noch trauen, Frauen zu beschäftigen, mit dem Entzug ihrer Lizenz gedroht werde, denn Frauenarbeit ist seit Dezember 2022 verboten. Das sei nötig, um „die gesellschaftlichen Normen und die öffentliche Sicherheit“ aufrechtzuerhalten. Nicht der Mörder, die Ermordete ist schuld, nach dieser Devise müssen Frauen unsichtbar werden. Und das im 21. Jahrhundert! Warum wehren sich in anderen muslimischen Ländern übrigens Frauen und Männer nicht gegen eine solche, den Islam pervertierende Politik der Taliban? Das wird dem Westen überlassen, der dies in solchen Artikeln nur halbherzig tut, weil eben nur die Absichten der männlichen Dominanz Ausgangspunkt sind und nicht die Auswirkungen auf Frauen, die aus der Öffentlichkeit zu verschwinden haben.

Und um nicht mißverstanden zu werden, wir halten den Abdruck dieses Artikels für wesentlich und sehr gut, vermissen nur die Auswirkungen auf Frauen, die dann in der vierten Spalte durch eine weitere Ungeheuerlichkeit doch noch angesprochen werden. Die Taliban hätten den Zugang für Frauen für Parks und anderen öffentlichen Plätzen „blockiert“. Einem „Tugend“-Gesetz nach dürfen Frauen sogar in der Öffentlichkeit nicht mehr ihre Stimme erheben. „Sie dürfen weder singen noch rezitieren oder laut vorlesen.“ Das wirkt sich auch auf Radio- und Fernsehsendungen aus. Weg mit dem Anblick von Frauen jeglicher Art und ihre Verbannung in den häuslichen Bereich ohne Fenster nach draußen.

Diese armen afghanischen Mädchen und Frauen, die zudem – erneut laut Dekret – ihr Gesicht und ihren Körper zu bedecken haben, wenn die Gefahr besteht, daß nicht verwandte Männer sie sehen.

Noch einmal, wo bleibt der gemeinsame Aufschrei von männlichen und weiblichen Muslimen in den anderen islamischen Ländern? Was sagt der siebzigjährige Recep Tayyip Erdoğan dazu, der lebenslänglich in der Öffentlichkeit stehen möchte und gerade die türkische Verfassung ändern will, damit er lebenslang Präsident sein könnte? Beispielsweise. Natürlich nichts.

Frauen werden in islamischen Ländern potentiell versteckt, hinter Mauern verbannt, lichtlos. Denn, wo es keine Fenster mehr gibt, fehlt Licht und die Aussicht auf die Welt. Eine Tragödie.