Sechs Jahre nach dem Ersten Weltkrieg
FIR
Berlin (Weltexpresso) - Sechs Jahre nach dem Ersten Weltkrieg stellten die alliierten Siegermächte fest, dass die außenpolitische Isolation Deutschlands durch den Rapallo-Vertrag 1922 durchbrochen war und sich das Land nach dem wirtschaftlichen Kollaps durch Ruhrkampf und Hyper-Inflation 1923 wieder zu erholen begann. So reifte bei den Siegermächten die Erkenntnis, dass man eine europäische Mittelmacht nicht dauerhaft ausschließen konnte.
Voraussetzung für eine „Normalisierung“ und die Einbindung des ökonomischen Potentials Deutschlands in die westliche Hemisphäre waren Sicherheitsgarantien, die die geopolitischen Interessen insbesondere Englands und Frankreichs berücksichtigten. Dazu gehörten die Sicherheit der Grenzen des Versailler Vertrages und die Einbindung Deutschlands in die Institution des Völkerbundes, in dessen Rahmen Konflikte zwischen beteiligten Staaten gelöst werden sollten. Frankreich und Belgien bestanden zudem auf einen Sicherheitskorridor, der mit einer Entmilitarisierung des Rheinlandes festgelegt werden sollte.
Zu diesem Zweck trafen sich – nach diplomatischen Geheimverhandlungen im Vorfeld - vom 5. bis 15. Oktober 1925 im schweizerischen Locarno Vertreter von sieben europäischen Staaten, nämlich Deutschland, Großbritannien, Frankreich, Belgien, Italien, Tschechoslowakei und Polen, zu einer Konferenz, von der sie im Schlussprotokoll erklärten, sie habe dazu gedient, „gemeinsam Mittel zum Schutze ihrer Völker vor der Geißel des Krieges zu suchen und für die friedliche Regelung von Streitigkeiten jeglicher Art, (…) zu sorgen“.
Deutschland war zu dieser Zeit kein gleichwertiger Verhandlungspartner. Noch hielten ausländische Truppen Teile des Staatsgebietes besetzt. Es gab Beschränkungen für die militärische Größe und die Waffenproduktion. Außerdem musste Deutschland noch erhebliche Reparationen entrichten. Gleichzeitig waren die Westmächte interessiert, die Spannungen mit Deutschland zu reduzieren, um es fester an ihre eigene Politik zu binden.
Deutschland verpflichtete sich im zentralen Dokument der Locarno-Verträge, dem sogenannten West- oder Rheinpakt, einen Zustand zu akzeptieren, an dem es ohnehin nichts ändern konnte. Die Grenzen gegenüber Frankreich und Belgien wurde ausdrücklich bestätigt und auf jede Revision verzichtet. Das bedeutete, Deutschland anerkannte die Rückkehr von Elsass und Lothringen zu Frankreich und von Eupen-Malmedy zu Belgien an. Zudem versicherte Deutschland, die Artikel 42 und 43 des Versailler Vertrages dauernd zu respektieren,also das Verbot militärische Anlagen vor den Grenzen der beiden Nachbarn anzulegen und zu unterhalten.
Vergleichbares wurde für die Grenzen im Osten, die zur CSR und zu Polen, nicht geregelt. Mit beiden Staaten schloss Deutschland jeweils sogenannte Schiedsverträge, in denen vereinbart wurde, dass sie sich im Falle von Streitigkeiten dem Urteil von internationalen Kommissionen beugen würden. Faktisch bedeutete das, und die Beteiligten konnten darüber nicht im Zweifel sein, dass Deutschland von nun an Auslandsgrenzen zweierlei Qualität besaß. Diese unterschiedliche Gewichtung war übrigens ein Ergebnis der Haltung Großbritanniens, dass sich gegen Grenzgarantien für Polen ausgesprochen hatte. Die damalige polnische Regierung war zu sehr von der Unterstützung der Westmächte abhängig, als dass sie eine andere Regelung in diesen Verhandlungen hätte durchsetzen können.
Ein Ausdruck der geopolitischen Verhältnisse in Europa war, dass die Sowjetunion in keiner Phase in diese Verhandlungen eingebunden war. Zudem gehörte sie nicht zum Völkerbund. Auch wenn es in den Verträgen nicht formuliert war, zielten diese „Sicherheitspolitik“ darauf, dem Deutschen Reich im Osten „freie Hand“ zu lassen, während im Westen die Grenzen gesichert waren.
Völkisch-nationalistische Kräfte protestierten lautstark gegen diesen „Verzichtsvertrag“, konnten aber gut mit der gewachsenen Rolle Deutschlands in Europa leben. Selbst die Hitler-Regierung behauptete 1933, dass man keinerlei Gebietsansprüche gegen Frankreich habe. Man fordere nur „Gleichberechtigung“ im Völkerbund, worunter man das Recht zur Aufrüstung und Kriegsvorbereitung verstand, einen Krieg, den man insbesondere um „Lebensraum im Osten“ zu führen gedachte.
Locarno hat vor 100 Jahren zwar Regelungen für Sicherheit in Westeuropa gebracht, eine gesamteuropäische Lösung brachte dieses Vertragswerk jedoch nicht. Wir wissen heute, Frieden in Europa ist nur möglich, wenn die Sicherheitsinteressen aller Länder angemessen berücksichtigt werden. Dafür tritt die FIR – auch mit Blick auf die Locarno-Verträge – ein.
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Quelle: FIR Newsletter 2025-42 dt.
FIR: Fédération Internationale des Résistants, internationale Dachorganisation von Verbänden antifaschistischer Widerstandskämpfer