Eisenstein „Panzerkreuzer Potemkin“ wird uraufgeführt

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Berlin (Weltexpresso) - Zum Abschluss des Jahres 2025 möchten wir mit diesem Newsletter an ein filmisches Großereignis vor 100 Jahren erinnern. Am 21. Dezember 1925 wurde in Moskau ein Film uraufgeführt, der eine ästhetische Revolution auslöste, der in der Stummfilm-Zeit mit seiner Bildsprache und politischen Haltung stilbildend wurde. Sergej M. Eisenstein hatte den Auftrag bekommen, zum 20-jährigen Jubiläum der ersten Russischen Revolution von 1905 die revolutionäre Bewegung an verschiedenen Orten filmisch nachzuzeichnen. Schon früh entschloss sich Eisenstein, den Matrosenaufstand in Odessa exemplarisch ins Zentrum zu stellen.


Ausgehend von der Rebellion der Matrosen des Panzerkreuzers Potemkin, entwickelte der Regisseur das Revolutionsgeschehen. Die Proteste der Matrosen wegen unzureichender Verpflegung werden blutig niedergeschlagen, doch bei der Aufbahrung des getöteten Wortführers zeigten tausende Menschen ihre Solidarität. Das zaristische Regime sah keine andere Möglichkeit, als Truppen in den Hafen zu schicken, die mit großer Brutalität den Protest und die Solidarität der Bevölkerung niedermetzelten. 

Es ist die Eindringlichkeit der Bildersprache, die diesen Film bis heute für jeden Betrachter verstehbar macht. Nach den Bilder der Gewalt gegen die rebellierenden Soldaten erleben die Betrachter im Hafen von Odessa ein Solidaritätsfest. Typen, die als „Student“, „Kriegsversehrter“, „Mutter“, „Lehrerin“, „Kind“ und „Begüterter“ charakterisiert werden, unterstützen die Matrosen und stehen symbolisch für jene gesellschaftlichen Gruppen, die für den Aufstand zu gewinnen sind. Diese friedliche Stimmung wird unterbrochen durch das eingeblendete Wort „Plötzlich“. Panik bricht aus.

Damit beginnt eine der bekanntesten Szene der Filmgeschichte, die „Treppenszene von Odessa“. Man sieht Soldaten, die oftmals in Großaufnahme durch ihre Stiefel und Gewehre anonymisiert und auf ihr Gewaltpotenzial reduziert sind. Die Menschen rennen die riesige Steintreppe am Hafen hinunter. Manche brechen zusammen, bleiben liegen und werden überrannt. Die Soldaten marschieren im Gleichschritt über die Körper hinweg. Immer wieder wechselnd zeigen totale und halbtotale Einstellungen die Masse und in Nahaufnahme Einzelne. Das Bildtempo steigert sich, unterstützt durch eine stetig ansteigende Melodie, welche durch Trommelschläge die Gewehrsalven imitiert.

Ein Junge wird von Gewehrsalven getroffen, anklagend, mit dem Körper des toten Kindes im Arm, steigt die Mutter langsam aufwärts den Soldaten entgegen. Ungerührt schießen diese. Eine andere Mutter mit Kinderwagen kommt auf der Treppe ins Bild. Sie wird getroffen, ihrer Hand entgleitet der Kinderwagen. Den hinunterrollenden Kinderwagen begleitet der Film mit Nahaufnahmen des weinenden Babys, Bildern mordender Soldaten und blutenden Gesichtern von Menschen. Am Ende stürzt der Kinderwagen um und in den Sturz hinein schneidet Eisenstein Großaufnahmen eines Kosaken, der im Blutrausch mit seinem Säbel zuschlägt. 

Von da an wartet der Betrachter nur noch auf eine Reaktion auf diese blinde Wut der Soldaten. Sie kommt. Das Geschützrohr des Panzerkreuzers dreht sich – in starkem Kontrast zu den schnellen Massaker-Szenen – langsam in Richtung Stadt und feuert auf den Sitz des Generalstabs im Theater von Odessa. Rauch steigt auf. Am Schluss meutern auch weitere Schiffe. An den Masten flattern die roten Fahnen der Revolution. 

Eisenstein inszenierte mit diesem Film ein eindrucksvolles Historiengemälde der Revolution, die zwar noch nicht erfolgreich war, aber die Voraussetzung für den Sieg der Oktoberrevolution 1917 schuf. Die überwältigende Wirkung seiner Komposition verdankt der Film einer Darstellung, bei der es Sergej M. Eisenstein gelang, Partei zu ergreifen für die Revolutionäre des Jahres 1905 und gleichzeitig das Publikum mit Hilfe seiner Bildersprache, der damit ausgelösten Gefühle und Empfindungen auf die Seite der unterdrückten Massen und der Revolutionäre zu holen. 

Der Film sei ein „revolutionäres Lehrstück mit emotionaler Überzeugungskraft“, heißt es in einer Laudatio. Diese Kunst der Revolution erzählt von der Befreiung der Unterdrückten. Deshalb hat selbst 100 Jahre nach der Uraufführung der Film „Panzerkreuzer Potemkin“ nur wenig von seiner Wirkungskraft verloren, auch wenn der soziale Kontext heute ein anderer ist.

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