Vom Schweigen der Medien über das Wesen eines Populären

 

Klaus Philipp Mertens

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Er ist fast schon zu einem festen Bestandteil in den Fernseh-Talkshows geworden: der AfD-Politiker Alexander Gauland. Und weder Anne Will nach Frank Plasberg erwähnen bei der Vorstellung ihres Gastes die so genannte Gauland-Affäre vor fast 30 Jahren. Obwohl diese als Schlüssel zu dessen politischem Selbstverständnis taugt.

 

Und so trägt die Quotenhysterie der öffentlich-rechtlichen Anstalten dazu bei, dass Zuschauer und Zuhörer nachweislich den Eindruck gewinnen, dass die AfD so staatsgefährdend wie von (zumeist linken) Kritikern vermutet, nicht sein könnte. Denn die Legalität politischer Forderungen wird vom Durchschnittsbürger, also jenem, der in der vielbeschworenen Mitte der Gesellschaft lebt, abgeleitet von der Art und Weise ihrer Beachtung in den öffentlichen Medien. Wer in der Nachbarschaft akzeptierter politischer und gesellschaftlicher Repräsentanten seine Sicht, und sei sie noch so abstrus, artikulieren darf, scheint nach dem Eindruck der Mitte nicht völlig im moralischen Abseits zu stehen. Parallel zu solchen Inszenierungen vergießen die Sender, die ihre journalistischen Unzulänglichkeiten zumindest gelegentlich erahnen, dann ein paar Krokodilstränen über die politischen Ziele der von ihnen wirksam ins Bild gerückten Hetzer. Aber das kommt dann bei denen, die längst desensibilisiert sind, kaum noch an.

 

Alexander Gauland sollte nach demokratischem Verständnis eigentlich eine Persona non grata sein. Zum einen wegen seiner aktuellen politischen Positionen, aber auch wegen jener aus seiner Zeit als CDU-Politiker. Und nicht zuletzt deswegen, weil er nicht bereit und in der Lage ist, Irrtümer und Irrwege einzugestehen.

 

1989 versetzte Staatssekretär Gauland, der von Ministerpräsident Walter Wallmann zum Chef der Hessischen Staatskanzlei berufen worden war, den für die Verbindung zu den Kirchen und Religionsgemeinschaften verantwortlichen Leitenden Ministerialrat Rudolf Wirtz (SPD) und ersetzte ihn durch Wolfgang Egerter (CDU). Letzterer galt als Rechtsaußen seiner Partei und es wurden ihm Verbindungen zu diversen rechtsgerichteten Organisationen nachgesagt, u.a. zum faschistischen sudetendeutschen Witikobund. Ignatz Bubis, damals Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde in Frankfurt, verhinderte schließlich die endgültige Ernennung Egerters.

 

Als Grund für Wirtz‘ Versetzung wurde von Gauland eine angebliche Kritik aus den Kirchen sowohl an dessen Amtsführung als auch an dessen Person genannt. Gauland weigerte sich, die Kritiker namentlich zu nennen, bekräftigte seine Handlung jedoch durch die Abgabe einer eidesstattlichen Erklärung, in der es hieß, dass „Vertreter der Kirchen und Religionsgemeinschaften [...] Vorbehalte hinsichtlich der Persönlichkeit und des Verhaltens“ von Wirtz‘ geäußert hätten.

 

Hintergrund war offenbar die Klage des Limburger Bischofs gegen das Land Hessen, das einen Diplomstudiengang „Katholische Theologie“ per Erlass und ohne Zustimmung der Kirche an der Frankfurter Universität eingerichtet hatte. Wirtz war zwar mit den organisatorischen Veränderungen betraut gewesen, die politische Entscheidung war jedoch auf der Ministerebene der bis 1987 sozialdemokratischen Landesregierungen gefallen.

 

In beiden von Wirtz gegen seine Versetzung angestrengten Verwaltungsgerichtsprozessen unterlag dieser, wobei die eidesstattliche Erklärung Gaulands für die Entscheidungen ausschlaggebend war. Wirtz‘ Strafanzeige gegen Gauland wegen des Verdachts der Abgabe einer falschen eidesstattlichen Erklärung wurde 1992 schließlich eingestellt.

 

Der evangelische Theologe Martin Stöhr übte 1992 heftige Kritik an den Vorgängen: „Der Fall Egerter war ein öffentlicher Skandal. Hier testete ein Politiker [Alexander Gauland], wie weit man in den letzten Jahren den Bogen nach rechts schlagen kann, ohne auf öffentlichen, das heißt auch auf kirchlichen Widerstand zu stoßen. Man kann weit gehen, zu weit wie heute mit Entsetzen zu sehen ist.“

 

Diese Stellungnahme steht im krassen Gegensatz zu den heute noch zu hörenden Äußerungen einiger Politiker und Journalisten, Gauland sei ein liberaler Geist gewesen.

 

Nach der von der SPD gewonnenen Hessischen Landtagswahl von 1991 wurde Wirtz rehabilitiert und 1992 in sein früheres Amt wieder eingesetzt. Das Land übernahm die Prozesskosten und zahlte dem Beamten eine Entschädigung. Im Übrigen wurde Stillschweigen über die Einzelheiten vereinbart.

 

Ein interner Briefverkehr der 5. Kammer des Hessischen Verwaltungsgerichts, der erst 2005 bekannt wurde, belegt, dass Gauland eine falsche eidesstattliche Erklärung abgegeben hatte.

 

Rudolf Wirtz übergab das Aktenmaterial aus den Verwaltungsgerichtsprozessen und den staatsanwaltlichen Ermittlungen dem prominenten Schriftsteller Martin Walser. Es wurde Grundlage eines Schlüsselromans zur Gauland-Affäre, der 1996 unter dem Titel „Finks Krieg“ erschien.

 

 

Info:

 

Martin Walser:

Finks Krieg

Suhrkamp Verlag

Frankfurt 1996

ISBN 978-3-518-40791-2

 

Achtzehn Jahre lang war der Beamte Stefan Fink in dem Amt tätig, das er selbst aufgebaut hat, dann verliert seine Partei die Landtagswahl, der neue und junge Staatssekretär Tronkenburg teilt dem Beamten Fink mit, er werde 'umgesetzt'. Es habe massive Beschwerden gegeben über Finks Amtsführung. Jetzt wird es für Fink ein Kampf um seine Ehre. Fink war mit Leidenschaft Beamter. Beruf und Leben sind ihm untrennbar geworden. Sein Kampf um Rehabilitierung macht ihn zur Unperson. Auch als seine eigene Partei wieder an die Macht kommt, hört der Kampf nicht auf. Der Beamte Fink hat auch Helfer. Aber je länger er seinen Krieg führt, desto mehr muss er erfahren, daß sein Krieg eben nur SEIN Krieg ist. Für keinen so notwendig wie für ihn. Stefan Fink trennt sich von dem Beamten Fink, der diesen Krieg führt. Ein Selbstentzweiungsgespräch beginnt.“

(Aus einer vom Verlag verbreiteten Rezension)

 

Hinweis der Redaktion: Dieser fiktive Roman nach der Wirklichkeit von Martin Walser gehört auf das Nähkästchen jeglicher Person, die sich für Hessen und die damaligen Verhältnisse, die nicht weit von den heutigen sind, interessieren. Auf das Nähkästchen, damit auch andere Familienmitglieder oder Freunde das Buch sehen, das gemessen an seiner Qualität viel zu wenig bekannt ist.