Die AfD rüstet Biedermänner und Biederfrauen zu Brandstiftern auf
Klaus Philipp Mertens
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Die Partei namens AfD, die der ostdeutsche Bürgerrechtler Friedrich Schorlemmer richtigerweise lieber als Bande bezeichnet sehen möchte, hat sich ein Programm geschrieben. Mit dessen Forderungen will sie „weg vom linken, rot-grün verseuchten, leicht versifften 68er Deutschland“ (so der stellvertretende Vorsitzende Jörg Meuthen).
Wer diesen Katalog auf seine Kernaussagen hin untersucht, wird zu der Erkenntnis gelangen, dass sie auf breitestem Nichtwissen beruhen. Einem Nichtwissen, das sich quer durch sämtliche Kultur-, Staats- und Naturwissenschaften zieht (man denke beispielsweise an die Infragestellung der Klimaveränderung durch Schadstoff-Emissionen und die Unbedenklichkeitserklärung zur Kernenergie). Auf der Grundlage dieser intellektuellen Defizite wird systematisch ein Konstrukt aus Vorurteilen entwickelt. Offensichtlich existiert diese AfD in einer Parallelwelt und möchte in der Bundesrepublik eine Parallelgesellschaft installieren.
Zur Abrundung der Islam-Phobie und den diversen Versuchen, Fremdenfeindlichkeit salonfähig zu machen, fehlt eigentlich nur noch die Forderung nach der Wiedereinführung der Nürnberger Gesetze (Gesetz zum Schutz des deutschen Blutes und der deutschen Ehre, Reichsbürgergesetz, Reichsflaggengesetz) sowie Handlungsanweisungen à la Wannseekonferenz (Endlösung). Damit könnte sich dann endgültig eine neue völkische Spießerideologie breitmachen. Ein anti-solidarischer und undemokratischer Ständestaat gehört zu den Grundüberzeugungen dieser Leute, an denen die Aufklärung sowie soziale und sexuelle Emanzipationsbestrebungen spurlos vorübergegangen sind. Beatrix von Storch, eine der stellvertretenden Vorsitzenden und typische Vertreterin der ewig Vorgestrigen, macht bei jeder Gelegenheit deutlich, in wessen Hände das Land gehört: Nämlich in die jener Junker, die 1918 ungestraft in die Republik entlassen wurden und diese alsbald in die nächste Katastrophe führten.
Dass die AfD in einigen Landtagen vertreten ist, also nach demokratischen Regeln gewählt wurde, taugt nicht als Qualitätsbeweis und ist kein Anlass, mit ihr anders umzugehen als mit einer Politbande. Adolf Hitlers Schläger- und Mördergruppe wurde in der Reichstagswahl vom 5. März 1933 ebenfalls demokratisch gewählt. Es sollte die letzte Reichstagswahl sein, an der mehr als eine Partei teilnehmen konnte.
Mit solchen Volksvertretern kann man nicht reden, geschweige denn inhaltlich verhandeln, weil jede mit ihnen erzielte inhaltliche Einigung eine Preisgabe demokratischer Güter darstellen würde. Die Demokratie benötigt um ihrer Selbsterhaltung willen dringend eindeutiger Tabus. Also klare Kennzeichnungen dessen, was trotz aller notwendigen Pluralität und allem gebotenen politischen Streit nicht mehr akzeptabel ist. Die Stigmatisierung der AfD muss zum gemeinsamen Ziel aller demokratischen Parteien werden.
Was bedeutete eine Stigmatisierung und was könnte sie bewirken?
AfD, Pegida und Co. sprechen, nein: schreien lauthals, über die von ihnen so benannte „Lügenpresse“. Warum eigentlich? Mutmaßlich doch, weil ihre faschistoiden Sprüche dort nicht verbreitet werden. Dieses Stigma der Demokraten scheint zu wirken, auch wenn es ausgerechnet im Bereich des öffentlich-rechtlichen Rundfunks Brüche aufweist (z.B. Talkshows, zu denen um der Quote willen auch Vertreter der AfD-Bande eingeladen werden). Man fühlt sich deklassiert, an den Rand gestellt, als nicht gesellschaftsfähig abgestempelt. Und so soll es sein. Ein Diskurs ist mit diesen Menschen nicht möglich (mangels Kenntnissen, Bildung und Charakter). Auch mit Recep Tayyip Erdoðan kann man nicht über Demokratie und Menschenrechte diskutieren. Solche Tugenden lassen ihn kalt. Nur wenn man ihn als Primitivling bezeichnet (wie das der Kabarettist Jan Böhmermann tat), rastet er aus; denn als einen solchen sieht er sich ganz und gar nicht.
Wer sich mit der Geschichte der undemokratischen Sprache beschäftigt, beispielsweise das „Wörterbuch des Unmenschen“ von Dolf Sternberger, Gerhard Storz und Wilhelm E. Süskind oder Victor Klemplerers „Lingua Tertii Imperii“ zur Hand nimmt, stößt auf eine antidemokratische Strategie, die in Goebbels‘ Giftküche entwickelt wurde. Nämlich bürgerliche Freiheiten und Humanität durch den Gebrauch herabwürdigender Sprache zu diskreditieren. So wurden beispielsweise Ehepaare, die beide einer Erwerbsarbeit nachgingen, als Doppelverdiener bezeichnet. Ein Begriff, der in bildungsfernen und konservativen Schichten noch heute gebräuchlich ist (der Schoß, aus dem die AfD gekrochen kam, verfügt bekanntlich über eine lange schwarz-braune Tradition). Das vorliegende Parteiprogramm der AfD weist solche Diskriminierungen durch Sprache bzw. durch bewusste Fehldeutungen (vor allem im Sozialbereich) in Hülle und Fülle auf. Und setzt damit jenen Mittelschichten-Ungeist fort, der Empfänger von Sozialtransfers als Schmarotzer bezeichnet.
Es gehört an manchen Stammtischen und Gasthaustresen zum guten Ton, sich seiner im Straßenverkehr begangenen Ordnungswidrigen zu brüsten. Ich frage dann regelmäßig zurück, ob man sich bereits zur Gruppe der Kleinkriminellen zählen würde (zumeist muss ich dann die Flucht antreten). Manche Mitmenschen sind auch stolz darauf, keine Bücher zu lesen, sie besäßen dafür zu wenig Zeit. Ich schlage in solchen Fällen vor, einen Alphabetisierungskurs zu beginnen, diese Zeit sei gut investiert. Kurzum: Dreistigkeit und Dummheit sind so lange gesellschaftsfähig, bis ihnen nicht widersprochen wird. Wer nicht mehr auf Beifall hoffen darf, wenn er einen ordinären, rassistischen oder sexistischen Witz erzählt, unterlässt es. Auch ein Bordellbesucher behält seine Leidenschaft zumeist für sich - es fehlt ihr der gesellschaftliche Konsens, das Stigma der Anstößigkeit wirkt. Wer wegen seiner Mitgliedschaft in der AfD oder seines Votums für diese Gruppe mit der herabsetzenden Verachtung der anderen rechnen muss, verstummt und wird bald wieder zum Mitläufer einer Mehrheitsgesellschaft (auf eine Bekehrung oder Umkehr ist leider nicht zu hoffen).
Info:
Zur Vertiefung des Themas „Undemokratische Sprache“ sei folgende Lektüre empfohlen:
Victor Klemperer
LTI Lingua Tertii Imperii
Notizbuch eines Philologen
Reclam Verlag
978-3-15-020365-1
Hingegen ist das erwähnte „Wörterbuch des Unmenschen“ leider vergriffen.