Aber auch einen mutigen Gegner: Ulrich Schneider vom Paritätischen Wohlfahrtsverband
Klaus Philipp Mertens
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbands / Gesamtverbands, hat durch vermeintlich parteipolitische Äußerungen den Unmut von CDU, SPD und Grünen auf sich gezogen.
Für die Regierenden ist Ulrich Schneider ohnehin seit Jahren ein Stein des Anstoßes. Von ihnen, aber auch von der interessierten Bevölkerung wird er vor allem wahrgenommen, weil er seit den Auswirkungen der HARTZ-„Reformen“ denen eine Stimme gibt, denen sie zunächst von Rot-Grün und später von Schwarz-Rot genommen wurde.
Denn der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbands weist regelmäßig und nachdrücklich auf die skandalöse soziale Situation von Menschen hin, die zu Randständigen der Gesellschaft gemacht wurden und werden.
Er hat viele öffentliche Auftritte (u. a. in Talk Shows) dazu genutzt, um auf die Verelendung ganzer Bevölkerungsteile hinzuweisen. Und mittlerweile hat er den Gegenstand seiner Arbeit, nämlich Bestandsaufnahme und Analyse der um sich greifenden sozialen Ungerechtigkeit, zum Anlass für ein persönliches politisches Signal genommen. Er wurde Mitglied der LINKEN. Und nicht nur das. Er versicherte seiner neuen Partei, dass diese den Paritätischen bei der Anprangerung und Beseitigung des Unrechts auf ihrer Seite hätte. Dafür wurde er heftig kritisiert; es wurde ihm eine nicht hinzunehmende Parteinahme vorgeworfen.
Doch wäre diese formale inhaltliche Nähe nicht der Fall, besäßen die diversen sozialpolitischen Stellungnahmen des Verbands keinen Wert, wären quasi in den Wind geschrieben. Wenn die anderen Parteien auf diesem Sektor Defizite haben (und das ist nachweislich der Fall; zumeist sind sie die Verursacher des beklagten Elends), sollten sie an deren Beseitigung arbeiten. Dann wären sicherlich auch sie ein Bündnispartner des Paritätischen.
Ausführlich nachlesen kann man alles, was Ulrich Schneider als Schlaglichter in die politische Debatte wirft, in den „Paritätischen Jahresgutachten“. Seit Mai liegt das des Jahres 2016 vor. Es trägt den Titel „Ungleichheit: Ausmaß, Ursachen und Konsequenzen“.
Bereits in der Einleitung heißt es: „Die Wirtschaft hat Konjunktur. Ungleichheit - leider - auch. Das ist keine neue Entwicklung, auch der Paritätische hat in den vergangenen Jahren regelmäßig auf die Gefahr weiter wachsender Disparitäten hingewiesen und Vorschläge für eine sozial gerechte Politik vorgelegt. [...] Zu offensichtlich, zu besorgniserregend haben sich die wachsenden Disparitäten inzwischen manifestiert. Noch vor einem Jahr, bei der Vorstellung des Paritätischen Jahresgutachtens 2015, wurde die zunehmende Armut noch vielfach mit Verweis auf die Relativität des Armutsbegriffs grundsätzlich bestritten. Das hat sich geändert. [...] Wirtschaftliches Wachstum und wachsende Ungleichheit sind kein Widerspruch, sie können Hand in Hand gehen. Die soziale und regionale Polarisierung der Gesellschaft wächst. Die geringe soziale Mobilität im Land entwertet das Aufstiegsversprechen der sozialen Marktwirtschaft und des demokratischen Sozialstaats, gefährdet den sozialen Zusammenhang und ist eine wesentliche Wachstumsbremse für Wirtschaft, Wohlstand und gesellschaftliche Wohlfahrt.“
Unter dem Punkt „Einkommensdisparitäten“ merkt die Studie mit einem Hinweis auf Untersuchungen des Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) an: „Während die realen Einkommen der obersten zehn Prozent um mehr als 15 Prozent stiegen, stagnieren sie in der Mitte der Einkommensverteilung und waren in den unteren Einkommensgruppen sogar rückläufig.“ Und der Paritätische ergänzt diese Angaben: „Doch selbst diese Diagnose bildet das Ausmaß der Einkommensungleichheit nicht ab, wie neuere Auswertungen der Steuerdaten von 27 Millionen in Deutschland lebenden Menschen ergaben. Danach ist die Ungleichheit der Einkommen, getrieben vom Wachstum der Kapitaleinkommen gegenüber anderen Einkommensarten, in den letzten Jahren mit Ausnahme des Krisenjahres 2009 stetig gewachsen.“
Und das Jahresgutachten macht auf weitere katastrophale Entwicklungen aufmerksam: „Etwa 40 Prozent der Bevölkerung verfügen über keinerlei Vermögen, nicht wenige sind dagegen verschuldet. Über 63 Prozent des gesamten Nettovermögens gehören den reichsten 10 Prozent der Bevölkerung, allein das vermögendste Hundertstel der Bevölkerung vereint 29 Prozent der privaten Nettovermögen auf sich.“
Zudem weist der Paritätische auf regionale Disparitäten sowie auf eine unübersehbare und mit konventionellen Instrumenten kaum noch beherrschbare Chancenungleichheit. Und er macht darauf aufmerksam, dass diese Ungleichheit von den Vertretern der neoliberalen Ideologie sogar positiv bewertet und legitimiert werde. Der englische Nationalökonom Adam Smith hat solche Mentalität bereits Ende des 18. Jahrhunderts treffend beschrieben: „Die Glücklichen und Stolzen staunen über die Unverschämtheit des menschlichen Elends und wundern sich, dass dieses es wagen könne, sich vor ihnen zur Schau zu stellen, und dass es sich herausnehme, mit dem ekelhaften Anblick seiner Not die Heiterkeit ihres Glücks zu stören“ („Theorie der ethischen Gefühle“).
Wer sich über Ulrich Schneiders Linksabweichen mokiert, sollte in den Spiegel schauen. Möglicherweise blickt er/sie dann in einen Abgrund von sozialer Kaltschnäuzigkeit.
Info:
Ungleichheit: Ausmaß, Ursachen und Konsequenzen
Paritätisches Jahresgutachten 2016
Herausgeber:
Deutscher Paritätischer Wohlfahrtsverband
Gesamtverband e.V.
Berlin
www.paritaet.org
Autor: Dr. Joachim Rock
Inhaltlich verantwortlich: Dr. Ulrich Schneider
Erschienen im Mai 2016