Die Bereitschaft zur Integration von Flüchtlingen nimmt ab

Klaus Philipp Mertens

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - „Die Verhältnisse kippen.“ Das Bielefelder Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung (IKG) warnt vor dem Wiedererstarken „integrationshemmender Meinungen“.


Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Staatsministerin Aydan Özoguz (SPD), bestätigt die Forschungsergebnisse, die am 7. Juli in Berlin vorgestellt wurden. Den Wissenschaftlern ist bei ihrer Studie auch aufgefallen, dass Alteingesessene und solche Zuwanderer, die vor einer Generation und früher ins Land kamen, am gleichen Strang der Ablehnung ziehen. 28 Prozent der Gesamtbevölkerung sprechen sich für eine stärkere Willkommenskultur aus, 37 Prozent lehnen diese ab.

Die wichtigsten Kriterien für eine Willkommenskultur mit konsequenter Integration sind die Achtung der politischen Institutionen und Gesetze durch die Neuankommenden, die schnelle Beherrschung der deutschen Sprache, soziales Engagement und eine normale Erwerbstätigkeit statt Konkurrenz auf dem Billiglohnsektor. Herkunftsländer und religiöse Konfessionen spielen eine eher geringe Rolle.

Eingeborene und zugewanderte Deutsche sind offensichtlich vereint in der Akzeptanz und der Verteidigung übergeordneter Werte, die eine Gesellschaft zusammenhalten. Neben dem Recht auf Asyl sowie den zusätzlich aus der UN-Flüchtlingskonvention abzuleitenden Menschenrechten gibt es, so kann man aus der Studie schließen, auch eine in der Verfassung verankerte Bestandssicherung der herrschenden Rechtsordnung. Grundgesetz, allgemeines Recht (BGB), Verwaltungs-, Steuer- und Strafrecht bilden einen gesellschaftlichen Konsens ab, dessen Ursprünge vor allem in der Aufklärung und der abgeschlossenen Säkularisierung des einstmaligen christlichen Abendlands liegen.
Die letzten zweihundert Jahre deutscher Geschichte zeigen jedoch auch, dass das Prinzip Veränderung mehr als je zuvor zu den Grundelementen dieser Gesellschaft gehört. Das zeigen die zahlreichen Beispiele für eine gelungene Integration seit dem 19. Jahrhundert. Deutlich wird das in der Emanzipation der arbeitenden Bevölkerung, der Frauen, vieler Minderheiten, dem Kampf um ein allgemeines und freies Wahlrecht und nicht zuletzt im Auf- und Ausbau des Sozialstaats.

Jeder Integration von Neubürgern aus anderen Ländern stehen diese gewachsenen, wenn auch einer permanenten Wandlung unterzogenen Strukturen gegenüber und vielfach auch entgegen. Dabei ist nicht das Begehren auf Einlass in diese Gesellschaft das entscheidende Kriterium, sondern die Frage, ob Integration die positiven Errungenschaften eines die Generationen übergreifenden Prozesses fördert oder sie ganz bzw. in Teilen in Frage stellt und in ihr Gegenteil verkehrt.

Ein Flüchtling (männlich oder weiblich) aus dem arabischen Raum, der sich in Deutschland niederlassen möchte, muss akzeptieren, dass er schneller als ein hier Geborener die Landessprache erlernen und beherrschen muss. Als zu erreichender Standard sollte dabei das Hauptschulniveau gelten, ohne das ein Einstieg in qualifizierte Berufe unmöglich ist. Ebenso muss ein Einwanderer die Rechtsordnung vollumfänglich als verbindlich anerkennen, selbst wenn er - wie die meisten Bundesbürger - nicht sämtliche Gesetze kennt.

Und er muss verinnerlichen, dass der Stellenwert der Religion hierzulande mittlerweile ein völlig anderer ist als in seiner Heimat. Dabei ist die Religion als solche gar nicht das Hindernis, sondern es sind die Gesellschaftsstrukturen in den Herkunftsländern, die sich im religiösen Bekenntnis widerspiegeln. Die christlichen Konfessionen in Deutschland haben längst die Frage nach dem Bild des Menschen und weniger die Frage nach (einem) Gott ins Zentrum ihres Glaubens gerückt. Fundamentalistische Tendenzen im Katholizismus und bei evangelikalen Gruppierungen stellen im Wesentlichen Minderheitenmeinungen dar. Caritas und Diakonie werden als die zeitgemäßen Äußerungen des Christentums und als Beispiele für dessen gesamtgesellschaftliche Verantwortung wahrgenommen. Und nicht etwa der Streit um ein gemeinsames Abendmahl von Katholiken und Protestanten, die Wiederverheiratung Geschiedener oder die nach wie vor verkrampfte katholische Sexualmoral. Vom Fürwahrhalten eines Lebens nach dem Tod in einem himmlischen Paradies ganz zu schweigen.

Der traditionelle Islam hingegen, der Hingabe an Gott (und de facto an Männer, politische Herrscher, Autoritäten generell) bedeutet, verträgt sich nicht mit einer säkular geprägten Welt. Was der Philosoph Ludwig Feuerbach 1841 den Christen vorhielt („Das Wesen des Christentums“), gilt heute vorrangig für einen Islam, in dem sich die totalitären und feudalen Herrschaftsverhältnisse der arabischen Welt spiegeln. Dieser wird sich mindestens in der Geschwindigkeit verändern müssen, mit der die Einwanderer gezwungen sind, die deutsche Sprache zu erlernen. Ob sowohl das eine als auch das andere gelingen kann, hängt von einer Willkommenskultur ab, die nicht nur oberflächliche Begeisterung, sondern auch die unaufgebbaren Eintrittsvoraussetzungen vermitteln kann.

Als vor nahezu einem Jahr Flüchtlinge in Deutschland auf Englisch (!) begrüßt wurden („Refugees welcome“), zeichnete sich das vielgestaltige Problem bereits ab. Denn faktisch wurde den Ankommenden signalisiert, dass man sich auf ihre Erwartungen und Lebensgewohnheiten einlassen würde. Exakt das war den Menschen auch von Schleppern in Aussicht gestellt worden. Von einem radikalen Schnitt war nirgendwo die Rede. Der Bruch mit Vergangenheit und Althergebrachtem ist jedoch in allen Epochen der Menschheitsgeschichte typisch für das Schicksal von Vertriebenen und Geflohenen. Erfolgreiche Integration war immer Anpassung an die vorgefundenen Verhältnisse. Das Ausmaß, in dem die Neuen Spuren hinterließen, war abhängig von ihrem praktisch-kulturellen Beitrag, der im positiven Fall als Bereicherung empfunden wurde.

Dass die unreflektierte Willkommenskultur des Spätsommers 2015 über kurz oder lang Brüche zeigen würde, war bei objektiver Analyse der Sachlage zu erwarten. Ebenso vorherzusagen war die Reaktion auf dem rechten bis rechtsradikalen Flügel der deutschen Gesellschaft. Denn dort sammeln sich seit jeher die nichtintegrationsfähigen Eingeborenen, die sich bei jeder Gelegenheit als die Betrogenen und Entrechteten fühlen und nach Schuldigen suchen. Statt ihre tatsächliche oder befürchtete Benachteiligung auf ungelöste soziale Fragen zurückzuführen, wird diese denen angelastet, die auf der sozialen Leiter noch weiter unten stehen. Und da kommen ihnen die Fremden wie gerufen.