Integration nach den Regeln des Marktes und der Globalisierung
Klaus Philipp Mertens
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - 40.000 Menschen mit türkischen Wurzeln bekunden in Köln ihre Verbundenheit mit dem Despoten Erdogan. In der »Frankfurter Rundschau« wurden zwei junge Türkendeutsche, also deutsche Staatsbürger türkischer Herkunft, zitiert: »Wir verstehen nicht, dass ihr uns nicht versteht. Es geht um unseren Glauben, unsere Kultur, es geht um unser Land.«
In dieser Äußerung offenbart sich das gesamte Verhängnis einer Integration, die nicht gelingen kann. Denn wer trotz einer weithin objektiven deutschen Berichterstattung über die Vorgänge in der Türkei nicht in der Lage ist, das System Erdogan zu begreifen, unterliegt völlig falschen Vorstellungen vom Wesen der Demokratie. Der versteht auch nicht, dass religiöser Glaube ausschließlich ein persönlicher und folglich privater Weg zum transzendenten Heil sein muss. Aber niemals einer, der Gültigkeit für die gesamte Gesellschaft beanspruchen und den säkularen Charakter des öffentlichen Lebens in Frage stellen darf. Und wenn sich dieses mehrfache Unvermögen in der Gesamtheit der geistigen Lebensäußerungen einer Gruppe widerspiegelt, kann es auch nicht zu einem Dialog mit anderen Kulturen kommen. Denn ein Dialog setzt voraus, dass die Gemeinsamkeiten größer sind als die Unterschiede; wobei die Unterschiede nie von zentraler Bedeutung sein dürfen (beispielsweise muss die Todesstrafe, nach der in Köln lautstark gerufen wurde, ein Ausschlusskriterium sein).
In Köln-Mühlheim und in den etwa 70 km entfernten Duisburger Ortsteilen Marxloh und Rheinhausen stößt man nahezu an jeder Ecke auf die misslungene Integration des größten Teils der türkischen Einwanderer sowie jener aus anderer Nationen. Der hohe Anteil der Migranten, deren ghettoähnliche Siedlungen in traditionellen Arbeiterbezirken mit Billigung der Behörden entstanden, führte zu einer Segregation, die alle positiven Schlagworte von Integration Lügen straft. In den dortigen Hauptschulen ist ein Unterricht, der den Kindern einen Abschluss ohne Defizite in Allgemeinbildung und Sprachvermögen ermöglicht, kaum noch zu leisten. Dieses Laissez faire wird seit fast fünfzig Jahren geduldet. Wer es trotz der widrigen Umstände geschafft hat, diese sozialen Klippen zu überwinden, zieht auf Nimmerwiedersehen weg und distanziert sich von den ehemaligen Landsleuten und Nachbarn.
Als ich Mitte der 70er Jahre das Ruhrgebiet aus beruflichen Gründen verließ, kündigte sich diese Misere bereits an. Dennoch waren meine (damaligen) Genossinnen und Genossen in der SPD davon überzeugt: „Das wird sich schon einrenken“. Öffentlichkeitswirksam präsentierte man sich bei passenden Gelegenheiten Arm in Arm mit türkischen Arbeitern und betonte die Solidarität mit ihnen. Doch nach den Fototerminen trennte man sich schnell. Und bei der politischen Konkurrenz äußerte man: „Die sollen das selbst regeln“. Das klang, als ob sich Integration nach den Regeln der Marktwirtschaft umsetzen ließe - ein fataler Irrtum, dem Angela Merkel nach wie vor zu unterliegen scheint.
Sie begreift die Gesamtproblematik, also die aktuelle Flüchtlingskrise und die seit Jahrzehnten ungelöste Integration, als eine Herausforderung, die durch die Globalisierung entstanden sei und nur in diesem Kontext bewältigt werden könnte.
Doch was ist Globalisierung anderes als die Neuverteilung von Herrschaft, Reichtum und Armut zu Lasten der Armen, der Normalmenschen und aller, die ohne einflussreiche Lobby sind? Schade, dass selbst die Partei »Die Linke« das nicht erkennt, wie man der internen Kritik an Sahra Wagenknecht entnehmen kann.
Es ist an der Zeit, endlich die richtigen Fragen hinsichtlich Einwanderung und Integration zu stellen, diese seriös zu beantworten und danach zu handeln. Möglicherweise wird man sich dabei von reinen Gesinnungsethikern den Vorwurf einhandeln, fremdenfeindlich zu sein. Doch der Ethik steht immer die Verantwortung gegenüber und beide Ansprüche müssen im Sinn der praktischen Vernunft zusammengeführt werden.
Die Stimmen von AfD und Pegida etc. können dabei getrost überhört werden, genauso wie jene der Erdogan-Partei AKP.
Foto: Kölner Großkundgebung (c) Süddeutsche Zeitung